Akute lymphatische Leukämie: pädiatrische Protokolle für Erwachsene interessant
ASH 2016
Bei der Therapie der akuten lymphatischen Leukämie (ALL) des Erwachsenen tun wir uns noch immer schwerer als die pädiatrischen Kollegen. Nach und nach zeigt sich, dass die aggressiveren pädiatrischen Therapieprotokolle sich auch hier mit größerem Erfolg einsetzen lassen als unsere bisherigen Regimes. Bei der Jahrestagung der American Society of Hematology (ASH) in San Diego im Dezember 2016 wurden dazu einige wichtige Auswertungen präsentiert. Bei der kindlichen ALL gab es unter anderem eine Vielzahl von neuen Ergebnissen zur Salvagetherapie mit T-Zellen, die chimäre Antigenrezeptoren tragen.
Pädiatrische Protokolle: Bis 55 erfolgreich …
Die Anwendung pädiatrischer ALL-Protokolle wurde aufgrund ihrer großen Erfolge bei Kindern immer mehr auf höhere Altersgruppen ausgeweitet und hat sich zumindest bei jungen Erwachsenen ebenso bewährt. Unklar war bislang, wie hoch man im Alter mit diesen doch sehr aggressiven Regimes gehen kann. Die französisch-schweizerische GRAALL-Studiengruppe hat das in ihrer Studie 2005 ausgetestet, in der Patienten im Alter zwischen 18 und 59 Jahren eine pädiatrische Behandlung bekamen, wobei eine Randomisierung bezüglich der Cyclophosphamid-Gabe erfolgte: Jeweils die Hälfte der Patienten erhielt das Alkylans während Induktions- und Intensivierungstherapie in Standarddosierung (750 mg/m2 an den Tagen 1 und 15) oder in einem hyperfraktionierten Regime (750 mg/m2 an Tag 1 und 300 mg/m2 alle zwölf Stunden an den Tagen 15–17).
Beim primären Endpunkt ereignisfreies Überleben, so Françoise Huguet, Toulouse [1], schnitten die 35–54-Jährigen mit 6-Jahres-Raten von rund 50% nahezu genauso gut ab wie die jüngeren Patienten, während die älteren Patienten dagegen deutlich abfielen – überwiegend wegen stärkerer Toxizität und dadurch verschlechterter Compliance. Das hyperfraktionierte Cyclophosphamid brachte diesen Patienten allerdings – im Gegensatz zu den jüngeren – einen deutlichen Gewinn beim ereignisfreien Überleben (Abb. 1). Eine weitere Alternative für die über 55-Jährigen, so Huguet, könnte die Verwendung neuer Substanzen wie Inotuzumab Ozogamicin sein.

… oder sogar bis 65?
Mit einer ähnlichen Fragestellung beschäftigte sich die norditalienische Leukämie-Gruppe (NILG) in ihrer Studie 10/07, deren Ergebnisse Renato Bassan, Mestre-Venedig, beim ASH-Kongress vorstellte [2]: Hier wurden 205 erwachsene Patienten mit ALL im Alter von bis zu 65 Jahren mit einem pädiatrischen Protokoll behandelt und nach der Induktion sowie in regelmäßigen Abständen während der Konsolidierung auf die Anwesenheit einer minimalen Resterkrankung (MRD) untersucht. Patienten mit sehr hohem klinischem Risiko sowie solche mit hohem oder Standardrisiko und verbliebener MRD wurde eine allogene Stammzelltransplantation empfohlen, die übrigen bekamen eine Erhaltungstherapie.
Von 142 Patienten mit Philadelphia-Chromosom-negativer ALL wurden auf diese Weise 87 (61%) einer Transplantation und 55 (39%) einer Erhaltungstherapie zugeteilt. Die Adhärenz gegenüber der Therapie war gut. Die 5-Jahres-Raten für das Gesamtüberleben von 55% und für das krankheitsfreie Überleben von 52% waren deutlich besser als in einer vorhergehenden Studie der NILG mit 36% bzw. 35%. Die MRD-Bestimmung (bei einer Sensitivität von 10-4) erwies sich als essenziell bei der Stratifizierung für die Transplantation und spielte eine wichtige prognostische Rolle bei allen Patienten: Patienten, die nach vier Wochen MRD-negativ waren, haben ihr medianes krankheitsfreies Überleben noch nicht erreicht, während es bei denen mit nachweisbarer MRD (≥ 10-4) bei 4,5 Jahren lag; die 5-Jahres-Raten betrugen 67% versus 41% (p = 0,041). Bezüglich des MRD-Status nach zehn Wochen war der Unterschied mit median 7,2 versus einem Jahr bzw. 5-Jahres-Raten von 64% versus 23% noch ausgeprägter (p = 0,0001).
Pädiatrische Therapiestrategien wären nach diesen Resultaten also grundsätzlich bis zu einem Alter von 65 Jahren vertretbar und resultieren in längeren Überlebenszeiten als herkömmliche adulte Therapieprotokolle. Die MRD-Analyse ist essenziell, um bei Patienten mit hohem und Standardrisiko die Entscheidung für eine allogene Transplantation zu unterstützen. Als eine wesentliche Forschungsrichtung für die Zukunft identifizieren die Autoren den zusätzlichen Einsatz neuer Immuntherapien, um das MRD-Ansprechen und damit die Gesamtprognose noch zu verbessern.
Mit Immuntoxin Reduktion der Chemotherapie
Solche neuen Immuntherapien können zum Beispiel aus Immuntoxinen wie Inotuzumab Ozogamicin bestehen, bei dem der CD22-Antikörper Inotuzumab an das hochaktive Zytostatikum Calicheamicin gekoppelt ist und dieses erst nach Aufnahme in die CD22-positive leukämische Zelle abspaltet. In der Phase-III-Studie INO-VATE hatte Inotuzumab Ozogamicin als Monotherapie gegenüber herkömmlichen Chemotherapien zu hohen Komplettremissionsraten [3] und einer längeren Remissionsdauer sowie mehr allogenen Stammzelltransplantationen geführt [4]. Beim ASH-Kongress präsentierten die Kollegen vom M. D. Anderson Cancer Center in Houston vorläufige Ergebnisse einer Phase-II-Studie, in der sie Inotuzumab Ozogamicin bei älteren Patienten mit nicht vorbehandelter ALL (≥ 60 Jahre) mit einer wenig aggressiven Chemotherapie kombiniert hatten (Mini-Hyper-CVD: dosisreduziertes Cyclophosphamid, Dexamethason, Methotrexat und Cytarabin, kein Anthrazyklin; [5]. Die ersten sechs Patienten erhielten Inotuzumab Ozogamicin im ersten Zyklus mit 1,3 mg/m2, in den folgenden Zyklen mit 0,8 mg/m2; die Verträglichkeit war zunächst so gut, dass die Dosierung bei den folgenden Patienten auf 1,8/1,3 mg/m2 erhöht werden konnte, aber nach Auftreten von vier Fällen veno-okklusiver Erkrankungen wurde sie wieder auf 1,3/1,0 mg/m2 reduziert. Patienten mit CD20-positiver Leukämie erhielten überdies vier Zyklen Rituximab.
Die mediane Nachbeobachtungszeit für die 464 bisher behandelten Patienten liegt bei 24 Monaten, so Koji Sasaki, Houston. Vier der Patienten waren bereits mit einer Komplettremission gestartet, von den übrigen 42 erreichten 40 (95%) eine solche, in fünf Fällen ohne vollständige Erholung der Thrombozytenzahlen. Von 44 daraufhin untersuchten Patienten wurden 41 (93%) MRD-negativ. Beim letzten Follow-up (nach median 24 Monaten) waren 30 Patienten (65%) am Leben und 28 (61%) weiterhin in kompletter Remission.
Diese Ergebnisse mit der intensitätsreduzierten Chemotherapie und dem Immuntoxin erscheinen im historischen Vergleich deutlich besser als die einer anderen Studie, in der die Patienten eine Hyper-CVAD-Chemotherapie mit oder ohne Rituximab erhalten hatten. Der teilweise Ersatz aggressiver Zytostatika durch Inotuzumab Ozogamicin könnte durchaus zum neuen Erstlinien-Standard für ältere ALL-Patienten werden, so die M. D. Anderson-Wissenschaftler.
Pädiatrische ALL: Intensivierung nicht reduzieren
Die Therapie der akuten lymphoblastischen Leukämie (ALL) bei Kindern hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einer ähnlichen Erfolgsgeschichte entwickelt wie die Behandlung des Hodgkin-Lymphoms: In beiden Indikationen kann die weit überwiegende Mehrzahl der Patienten geheilt werden – allerdings durch bislang sehr aggressive Therapien, deren Langzeitfolgen das weitere Leben der jungen Patienten teilweise sehr stark belasten. Während beim Hodgkin-Lymphom mittlerweile Immuntherapien getestet werden, die hohe Erfolgsraten bei wesentlich geringerer Toxizität versprechen, setzt man bei der kindlichen ALL noch darauf, bei Patienten mit günstiger Prognose die Chemotherapie zu reduzieren.
Eine günstige Prognose wird heute anhand der minimalen Resterkrankung (MRD) definiert: Das Konzept, das bereits Ende der 1990er-Jahre entwickelt wurde, definiert Patienten mit Standardrisiko als solche, bei denen sich nach der Induktionstherapie mit hochsensitiven Methoden keine leukämischen Zellen mehr im Knochenmark nachweisen lassen. In einer europäischen Pilotstudie waren das 43% der Patienten, die nach sieben Jahren eine Rezidivrate von lediglich 4% aufwiesen [9]. Bei der Planung der großen deutsch-italienisch-österreichisch-schweizerischen Phase-III-Studie AIEOP-BFM-ALL 2000 ging man deshalb davon aus, dass man bei diesen Patienten die Stärke der Intensivierungstherapie zurückfahren könne, ohne dadurch das Ergebnis zu verschlechtern, so Martin Schrappe, Kiel, der die Ergebnisse bei der Plenarsitzung des ASH-Kongresses vorstellen konnte [10].
Von insgesamt 4.741 zunächst in die Studie eingeschlossenen Patienten waren 1.164 an den Tagen 33 und 78 nach Beginn der Induktionstherapie MRD-negativ (bestimmt mit mindestens zwei molekularen Markern bei einer Sensitivität von mindestens 10-4). Sie wurden im Verhältnis 1 : 1 randomisiert, entweder das herkömmliche Intensivierungsprotokoll II des Berlin-Frankfurt-Münster-Schemas oder eine dosisreduzierte Version davon (Protokoll III) zu erhalten, in der die Gesamtdosierungen von Dexamethason um 30% und von Vincristin, Doxorubicin und Cyclophosphamid um jeweils 50% sowie die Dauer der Behandlung um drei Wochen vermindert waren.
Nach median 8,6 Jahren Follow-up, so Schrappe, war die krankheitsfreie Überlebensrate nach vier Jahren im experimentellen Arm leider signifikant niedriger als im konventionellen Arm (91,8% vs. 95,8%; p = 0,04). Umgekehrt war das kumulative Rezidivrisiko bereits nach vier Jahren von 3,2% auf 6,3% verdoppelt (Gray p = 0,09). Nach acht Jahren waren die Unterschiede mit 89,2% versus 92,3% für das krankheitsfreie Überleben und 8,7% versus 6,4% für die Rezidivrate weniger stark ausgeprägt, aber der Unterschied beim Gesamtüberleben mit 96,1% versus 98,0% grenzwertig signifikant (p = 0,06). Die kumulative Rate an Sekundärmalignomen nach acht Jahren war interessanterweise im Arm mit der reduzierten Intensivierungstherapie verdoppelt (1,3% vs. 0,6%).
Subgruppenanalysen zeigten im Wesentlichen die gleichen Resultate, lediglich das Alter bei Diagnose schien eine gewisse Rolle zu spielen: Für unter 10-jährige Patienten war der Unterschied beim krankheitsfreien Überleben nach vier Jahren mit 90,7% versus 92,5% nicht signifikant (p = 0,26), wohl hingegen für die älteren Kinder und Jugendlichen (81,6% vs. 90,3%; p = 0,04). Keine Unterschiede waren beim Rezidivmuster, bei den Raten an Grad-III/IV-Infektionen und bei der Inzidenz von Todesfällen in Remission (0,9% vs. 0,7%) zu sehen.
Durch diese Ergebnisse wird wieder einmal deutlich, so Schrappe, wie unerlässlich sorgfältig kontrollierte und randomisierte Studien zur Bearbeitung solcher Fragestellungen sind: In einer nicht randomisierten niederländischen Studie mit ganz ähnlicher Zielsetzung hatten Patienten mit MRD-Negativität nach der Induktionstherapie eine Reduktion, die übrigen hingegen eine Intensivierung der weiteren Therapie erhalten [11]. In einem Vergleich mit historischen Kontrollen waren die Autoren zu dem Schluss gekommen, dass ein solches Vorgehen sicher und vertretbar sei – ein Trugschluss, wie die europäischen Ergebnisse nun zeigen.
Asparaginase mit längerer Halbwertszeit
L-Asparaginase zählt zu den essenziellen Komponenten einer ALL-Therapie. Sie wird in der Regel in pegylierter Form eingesetzt, aber auch davon gibt es mittlerweile mehrere Varianten – so steht neben der häufig verwendeten Pegaspargase ein Präparat zur Verfügung, in dem das Polyethylenglykol mit einem stabileren Linker an das Protein gebunden ist und dieses dadurch langlebiger macht (Calaspargase Pegol). In einer vom Dana Farber Cancer Institute in Boston koordinierten randomisierten Studie wurden beide Präparate bei 239 bis zu 21-jährigen Patienten (darunter neun mit lymphoblastischem Lymphom) miteinander verglichen [12]. Beide Medikamente wurden in einer Dosis von 2.500 IU/m2 i. v. während der Induktionstherapie gegeben. Danach, so Lewis Silverman, Boston, erhielten die Patienten Pegaspargase in 15 weiteren Dosen im üblichen Abstand von jeweils zwei Wochen, während von Calaspargase Pegol lediglich zehn Dosen in 3-wöchigen Intervallen verabreicht wurden.
Im Ergebnis waren beide Präparate gleich wirksam, 25 Tage nach der Induktionsdosis war die Aktivität des Enzyms im Serum bei der neuen Variante im Median deutlich höher, und weit mehr Patienten wiesen hier Titer von 0,1 IU/ml oder höher auf (88% gegenüber 15% mit Pegaspargase; p < 0,0001). Weder gegen die Asparaginase gerichtete Allergien noch Pankreatitiden, Thrombosen oder Infektionen traten in einer der beiden Gruppen häufiger auf. 97% der Patienten erzielten eine komplette Remission und 91% im Calaspargase- sowie 90% im Pegaspargase-Arm waren nach der Induktionstherapie MRD-negativ (definiert als < 0,001).
Die Ergebnisse bestätigen, so Silverman, dass die dreiwöchige Gabe der neuen Asparaginase-Variante im Vergleich zur zweiwöchigen Gabe des konventionellen Präparats weder Pharmakokinetik noch Toxizität negativ beeinflusst. Um das ereignisfreie Überleben abzuschätzen, muss ein längeres Follow-up abgewartet werden.
Ph-positive ALL: hohe Ansprechraten mit Ponatinib
Philadelphia-Chromosom-positive ALL-Erkrankungen werden heute mit BCR-ABL-Tyrosinkinaseinhibitoren (TKI) in Kombination mit Chemotherapie behandelt. Der Frage, ob der hocheffektive Drittgenerations-TKI Ponatinib, der auch gegen die wichtigste Resistenzmutation T315I wirksam ist, eine Alternative darstellen könnte, gingen die Kollegen vom MDACC ebenfalls in einer Phase-II-Studie nach [6]. Bisher 57 Patienten (vier davon bereits vorbehandelt) erhielten bis zu acht dreiwöchige Zyklen Hyper-CVAD, alternierend mit hochdosiertem Methotrexat und Cytarabin, so Koji Sasaki, Houston. Ponatinib wurde anfangs von Beginn an mit 45 mg/d gegeben, wobei im ersten Zyklus nur 14 Tage lang behandelt wurde. Patienten in kompletter Remission sollten nach Ende der acht Zyklen zwei Jahre lang eine Erhaltungstherapie mit 45 mg/d Ponatinib und monatlicher Gabe von Vincristin und Prednison erhalten. Nach Auftreten vaskulärer Komplikationen wurde ihnen angeboten, entweder auf einen anderen TKI zu wechseln oder Ponatinib in der reduzierten Dosierung von 30 mg/d einzunehmen mit der Option, diese bei Erreichen einer kompletten molekularen Remission noch einmal zu halbieren. Unter der niedrigeren Dosierung wurden keine derartigen Nebenwirkungen mehr beobachtet.
Hyper-CVAD in Kombination mit Ponatinib erwies sich als hochwirksam mit einer Komplettremissionsrate von 100%, einer Rate an kompletten zytogenetischen Remissionen von ebenfalls 100% und einer Rate an kompletten molekularen Remissionen von 79%. 78% der Patienten mit Komplettremission befanden sich auch nach drei Jahren noch in diesem Status, und die 3-Jahres-Gesamtüberlebensrate betrug 75%. Von zehn Patienten, die sich in erster Komplettremission einer allogenen Stammzelltransplantation unterzogen, sind acht nach wie vor in kompletter Remission, jeweils einer verstarb an einer Sepsis bzw. einem Rezidiv. In einer Landmarkanalyse zeigte sich kein Vorteil der Transplantation bezüglich Remissionsdauer und Überleben.
In der reduzierten Dosierung ist die Anwendung von Ponatinib auch sehr sicher; in Houston wird derzeit über ein Chemotherapie-freies Protokoll für diese Patienten nachgedacht, in dem Ponatinib mit dem bispezifischen CD19-Antikörper Blinatumomab kombiniert werden soll.
Bispezifischer Antikörper verbessert Lebensqualität
Das Wirkprinzip von Blinatumomab ist es, durch Bindung an das CD19-Antigen auf der leukämischen und an CD3 auf der zytotoxischen T-Zelle beide Zellen in einen für die Krebszelle tödlichen Kontakt miteinander zu bringen. Blinatumomab wurde aufgrund von nicht randomisierten Phase-II-Daten zur Behandlung erwachsener Patienten mit rezidivierter oder refraktärer Ph-negativer ALL zugelassen, aber zusätzlich in der Phase-III-Studie TOWER randomisiert gegen Standardchemotherapien getestet. Blinatumomab konnte in diesem Setting das Gesamtüberleben der Patienten gegenüber der Kontrolltherapie signifikant verlängern [7], und in San Diego präsentierte Max Topp, Würzburg, die Ergebnisse zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität [8]:
In praktisch allen für onkologische Patienten bedeutsamen Kategorien konnte Blinatumomab Funktionen bzw. Symptome verbessern, während unter der Chemotherapie fast durchweg eine Verschlechterung zu beobachten war. Dieser Unterschied wurde in einigen Domänen bereits acht Tage nach Beginn der Behandlung registriert, sodass sich zusammen mit der Überlebensverbesserung und dem akzeptablen Sicherheitsprofil insgesamt ein sehr günstiges Nutzen-/Risiko-Profil für den bispezifischen Antikörper ergibt, so Topp.
Zelluläre Therapien: erste Zulassungsstudie für CAR-T-Zellen
Autologe T-Lymphozyten mit einem künstlich exprimierten chimären Antigenrezeptor (CAR-T-Zellen) gehören zu den vielversprechendsten therapeutischen Ansätzen bei wirklich schwer zu behandelnden, weit fortgeschrittenen hämatologischen Malignomen. Stephan Grupp von der University of Pennsylvania in Philadelphia hatte im vergangenen Jahr im Gespräch mit dieser Zeitschrift das Potenzial solcher Strategien ausgeleuchtet, insbesondere am Beispiel der von seiner Arbeitsgruppe entwickelten und gegen das CD19-Antigen auf B-Zellen gerichteten CTL019-CAR-T-Zellen [13]. In einer monozentrischen Pilotstudie hatten die Forscher aus Philadelphia zum Beispiel zeigen können, dass Kindern mit rezidivierter und/oder refraktärer ALL, die nach bisherigem Wissen eine extrem schlechte Prognose gehabt hätten, durch die Gabe solcher Zellen in über 90% der Fälle in eine lang anhaltende komplette Remission gebracht werden können [14]. Um Daten für eine formale Zulassung zu generieren, wurde daraufhin zunächst eine industrielle Produktionsstätte entwickelt, in der die manipulierten T-Zellen für die globale multizentrische Phase-II-Studie ELIANA hergestellt werden. In diese wurden in 25 klinischen Einrichtungen in den USA, Kanada, der EU, Australien und Japan bisher 62 Patienten mit rezidivierter (79%) oder refraktärer ALL (21%) im Alter von bis zu 21 Jahren mit median drei Vortherapien eingeschlossen und mit den Zellen behandelt, so Grupp, der in San Diego die ersten Ergebnisse vorstellen konnte [15].
Nach median 4,3 Monaten (maximal 14,6 Monate) ließ sich unter den ersten 50 Patienten eine Komplettremissionsrate von 82% verifizieren; alle diese 41 Patienten erwiesen sich auch im Knochenmark als MRD-negativ. Sechs Monate nach Infusion der CAR-T-Zellen lag die Gesamtüberlebensrate bei 89%, die rezidivfreie Überlebensrate bei 60%. Die Untersuchung der Kinetik der CAR-T-Zellen zeigte bei den Patienten mit einer Remission eine deutliche frühere maximale Expansion der Zellen als bei denen, die nicht angesprochen hatten (nach median 10 vs. 27 Tagen); ebenso waren die Konzentrationen an Zellen höher.
Die überwiegende Mehrzahl der schweren und der Grad-3/4-Nebenwirkungen, die mutmaßlich auf die infundierten Zellen zurückzuführen waren, trat während der ersten acht Wochen nach Infusion auf. Im Vordergrund stand dabei ein Zytokin-Release-Syndrom (CRS), das sich schon in der monozentrischen Studie als das Hauptproblem erwiesen hatte (bei 79% der Patienten insgesamt, bei 21% vom Grad 3, bei 27% vom Grad 4). Diese Nebenwirkung war aber für keinen Todesfall verantwortlich; 59% der betroffenen Patienten mussten auf die Intensivstation aufgenommen werden, 51% erhielten gegen Zytokine gerichtete Therapien, in erster Linie den Anti-Interleukin-6-Antikörper Tocilizumab, den die Pädiater in Philadelphia bereits früher als wirksamstes Mittel in dieser Situation identifiziert hatten. Immerhin 20% der Patienten mussten beatmet, 12% dialysiert werden.
Insgesamt, so Grupp, erwiesen sich die CTL019-Zellen damit nicht nur einmal mehr als hocheffektiv in der Behandlung dieser Patienten mit traditionell schlechter Prognose, von denen 82% eine MRD-negative komplette Remission erzielten – das wusste man schon aus der Phase-I-Studie –, sondern es zeigte sich vor allem, dass das technisch anspruchsvolle Konzept auch in einem multizentrischen, weltweiten Setting anwendbar ist: Für die meisten eingeschlossenen Patienten konnten die CAR-T-Zellen in einer zentralisierten Produktionsstätte zeitnah hergestellt und geliefert werden, und es kam durch schwere Nebenwirkungen wie das Zytokin-Release-Syndrom zu keinem Todesfall.
Die Methode ist extrem aufwendig, aber für Kinder und junge Erwachsene mit ALL, die keine Alternative haben, bietet sie eine neue, vielversprechende Therapieoption. Die Zulassung soll in den USA und der EU Anfang 2017 beantragt werden; bereits jetzt wurde den CTL019-Zellen von den zuständigen Behörden ein „Breakthrough Therapy“- (FDA) bzw. ein PRIME-Status (EMA) zuerkannt.
Humaner CAR: Noch besser wirksam?
Warum einige Patienten auch auf die CAR-T-Zellen nicht ansprechen, ist nicht ganz klar; man weiß nur, dass bei manchen von ihnen die Zellen offenbar nicht ausreichend lange im Körper persistieren und das zu Rezidiven oder Refraktärität führt. Ein möglicher Grund dafür ist, dass bei den herkömmlichen chimären Antigen-Rezeptoren wichtige Teile des genetischen Konstrukts von der Maus stammen und daher die Rezeptoren und damit auch die Zellen möglicherweise vom Immunsystem des Patienten abgestoßen werden. Die Transplanteure in Philadelphia haben deshalb in einer zweiten Generation ihres CARs für die zur CD19-Erkennung verantwortliche Domäne eine humane Quelle verwendet. In einer Pilotstudie, die Shannon Maude, Philadelphia, vorstellte, wurden 36 bis zu 24-jährige Patienten mit rezidivierter oder refraktärer ALL mit Zellen behandelt, die das neue Konstrukt enthielten; 14 der Patienten hatten zuvor bereits das konventionelle Präparat erhalten [16].
Wie Frau Maude berichtete, konnte bei 57% der mit CAR-T-Zell-vorbehandelten und bei 100% der nicht vorbehandelten Patienten eine komplette Remission erzielt werden; die rezidivfreien 6-Monates-Raten liegen derzeit bei 75% bzw. 83%. Ein möglicher Marker für das Ausbleiben eines Erfolgs ist das Verschwinden einer B-Zell-Aplasie, das bei den vorbehandelten Patienten in einem hohen Prozentsatz beobachtet wurde. Es gab keine neuen Sicherheitshinwiese, insbesondere benötigten nur drei Patienten wegen eines schweren Zytokin-Release-Syndroms den IL6-Antikörper Tocilizumab.
Allogene Stammzelltransplantation erhöhte Erfolgsrate
Neben der University of Pennsylvania, deren CAR-T-Zellen von Novartis zur Zulassung gebracht werden, gibt es zwei weitere Arbeitsgruppen, die gegen CD19 gerichtete derartige Konstrukte zunächst bei der ALL entwickeln: eine am National Cancer Institute (NCI) in Bethesda und eine Kollaboration zwischen dem Memorial Sloan Kettering Cancer Center (MSKCC) in New York und dem Fred Hutchinson Cancer Center in Seattle. Die NCI-Wissenschaftler überblicken derzeit 53 Kinder und junge Erwachsene mit einer medianen Nachbeobachtungsdauer von 18,7 Monaten.
In einer Subgruppenanalyse, die Daniel Lee III, Charlottesville, in San Diego vorstellte [17], konnten sie zeigen, dass zum einen die Tumorlast das Ergebnis beeinflusst: Patienten mit niedriger Tumorlast (< 25% Blasten im Knochenmark) erreichten mit 85,7% eine signifikant höhere Komplettremissionsrate als diejenigen mit höherer Belastung (40,6%; p = 0,0011). Zugleich wirkte sich ein zytoreduktives Regime aus Fludarabin und Cyclophosphamid vor der Infusion der CAR-T-Zellen günstig aus: Von 44 Patienten, die es erhielten, erzielten 29 eine komplette Remission (65,9%), von den acht ohne eine solche Vorbehandlung nur zwei (25%; p = 0,0301). Das wirkte sich sogar auf das Gesamtüberleben aus, das mit Fludarabin/Cyclophosphamid bei median 13,3 und ohne bei lediglich 5,5 Monaten lag (Hazard Ratio 6,35; p = 0,0026;
Abb. 2a).
21 von 28 Patienten mit einer MRD-negativen Komplettremission erhielten außerdem median 54 Tage nach Infusion der CAR-T-Zellen eine allogene Stammzelltransplantation. Dadurch wurde das Rezidivrisiko hochsignifikant von 85,7% auf nur mehr 9,5% gesenkt (p = 0,0001) und das leukämiefreie Überleben verlängert (Median nicht erreicht vs. 4,9 Monate ohne Transplantation; HR 16,9; p = 0,0006; Abb. 2b).
r 9,5% gesenkt (p = 0,0001) und das leukämiefreie Überleben verlängert (Median nicht erreicht vs. 4,9 Monate ohne Transplantation; HR 16,9; p = 0,0006; Abb. 2b).
Ein vorbereitendes präparatives Protokoll mit Fludarabin und Cyclophosphamid (das im Übrigen in Philadelphia alle Patienten erhalten hatten) sowie eine konsolidierende allogene Stammzelltransplantation wirkt sich also günstig auf die Dauer von Remissionen nach Gabe von gegen CD19 gerichteten CAR-T-Zellen aus.
In einer gemeinsamen Analyse dreier Studien mit CTL019-Zellen (bei pädiatrischer und adulter ALL sowie bei chronischer lymphatischer Leukämie (CLL) fand sich laut Karen Thudium Mueller, East Hanover, dass die Zellkinetik der veränderten Zellen das Erreichen einer guten Remission vorhersagen kann [18]: Je stärker die Proliferation der Zellen nach der Infusion und je länger ihre Persistenz waren, desto eher war eine komplette Remission erreicht worden. Die Schlussfolgerungen sind klar: Bei Patienten, die auch auf diese hochwirksame neue Therapieform nicht ansprechen, wird man nach Wegen suchen müssen, Proliferation und Persistenz der CAR-T-Zellen zu verbessern.

Salvage-Strategie: CAR-T-Zellen gegen CD22
Eine weitere Strategie, die man bei Patienten anwenden kann, deren ALL gegen CD19-gerichtete CAR-T-Zellen resistent ist, besteht in der Verwendung anderer Ziel-Antigene. Damit könnte man auch Rezidive behandeln, bei denen die leukämischen Zellen das CD19-Antigen verloren haben. Die NCI-Gruppe hat dafür das CD22-Antigen ausgewählt, das auf sehr vielen Leukämien und Lymphomen der B-Linie exprimiert wird [19]. In einer Phase-I-Studie, in der bisher 16 pädiatrische Patienten mit rezidivierter oder refraktärer ALL behandelt wurden, zeigte sich laut Terry Fry, Bethesda, nach Verabreichung der gegen CD22 gerichteten CAR-T-Zellen schon ab der zweiten Dosisstufe eine Komplettremissionsrate von 80%. Sechs der neun Patienten mit einer Komplettremission hatten CD19 nicht oder nur partiell exprimiert, einer war refraktär gegen eine gegen CD19 gerichtete Therapie gewesen. Von fünf Rezidiven unter den Anti-CD22-Zellen wiederum waren vier mit einem Abfall der Expression dieses Antigens assoziiert.
Damit scheint es noch vor der klinischen Einführung der ersten CAR-T-Zellen gelungen zu sein, auch für den Fall eines Versagens dieser Behandlung eine Salvagetherapie zu entwickeln, die nach diesen vorläufigen Daten ähnlich effektiv sein dürfte wie die Anti-CD19-Therapie. Das Ansprechen korrelierte auch hier mit der Konzentration der Zellen, Zytokin-Release-Syndrome traten maximal mit einem Grad 2 auf, und es wurde keine schwere oder irreversible Neurotoxizität beobachtet. Möglicherweise, so Fry, wird der Platz dieser neuen Option früher in der Therapiekette sein: In Bethesda wird bereits darüber nachgedacht, diese Zellen gemeinsam mit gegen CD19 gerichteten CAR-T-Zellen einzusetzen, um so eine Resistenzentwicklung durch Antigen-Escape-Mechanismen bereits im Ansatz zu verhindern.

Prof. Dr. med. Karl-Anton Kreuzer
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