ASH 2015: Schwerpunkte CLL und multiples Myelom

Editorial

Die Onkologie ist eines der produktivsten medizinischen Fächer, und innerhalb der Onkologie sticht die Hämatologie immer wieder durch besondere Innovationsfreude heraus. Bei der Jahrestagung der American Society of Hematology (ASH) im Dezember 2015 in Orlando mit ca. 22.000 Teilnehmern aus aller Welt schien es, als ob die Entwicklung derzeit bei der chronischen lymphatischen Leuk­ämie (CLL) und beim multiplen Myelom am rasantesten verläuft.
Bei den B-Zell-Lymphomen allgemein und bei der CLL im Speziellen werden derzeit mehrere therapeutische Ansätze schwerpunktmäßig untersucht:
- Bei den neuen CD20-Antikörpern kann Obinutuzumab in Kombination mit Chlorambucil nach den jüngsten in Orlando vorgestellten Auswertungen der CLL11-Studie seinen Vorsprung vor einer Chlorambucil-Monotherapie bei älteren, komorbiden Patienten aufrechterhalten.
- Ein aktiver B-Zell-Rezeptor-Signalweg ist für das Überleben von B-Zell-Lymphomen essenziell; dementsprechend ist die Hemmung dieses Wegs mit niedermolekularen Inhibitoren zentraler Schlüsselenzyme wie Bruton-Tyrosinkinase (Btk) und Phosphoinositol-3-Kinase (PI3K) zu einem richtungweisenden Therapieansatz geworden: So belegen die in Orlando präsentierten ersten Ergebnisse der RESONATE-2-Studie, dass der Btk-Inhibitor Ibrutinib auch in der Erstlinientherapie älterer und vielfach komorbider Patienten dem alten Standard Chlor­ambucil bei Weitem überlegen ist. Ein kleiner Schönheitsfehler ist, dass im Kontrollarm eine Chlorambucil-Monotherapie gegeben wurde: Schließlich ist das hier untersuchte Patientenkollektiv aus älteren und vielfach komorbiden Patienten dem der CLL11-Studie nicht unähnlich, mit der die Obinutuzumab-Chlor­ambucil-Kombination als Standard etabliert wurde – aber das war beim Start von RESONATE-2 noch nicht bekannt.
- Noch nicht zugelassen, aber beim Kongress mit vielversprechenden Ergebnissen vertreten war der Bcl-2-Inhibitor Venetoclax (ABT199). Bcl-2 ist an der Regulation der Apoptose beteiligt und unterdrückt in B-Zell-Lymphomen den intrinsischen Mechanismus der Apoptose-Auslösung. Die Hemmung von Bcl-2 durch Substanzen wie Venetoclax kann diese Blockade bevorzugt in geschädigten Zellen wie Tumorzellen überwinden.
Die derzeitige Bedeutung der Myelom-Forschung war in Orlando schon daran zu erkennen, dass beinahe ein Zehntel aller Abstracts dieses Indikationsgebiet betraf. Während bei den
B-Zell-Lymphomen monoklonale Antikörper bereits vor ungefähr 20 Jahren erstmals eingeführt wurden und niedermolekulare Substanzen erst seit Kurzem angefangen haben, sich zu etablieren, ist es beim Myelom umgekehrt: Proteasominhibitoren und Immunmodulatoren ergänzen hier seit zehn bis 15 Jahren die Chemotherapie, aber die beiden ersten therapeutischen Antikörper sind in den USA gerade erst zugelassen worden und warten in Europa auf ihre baldige Einführung – obwohl es auf Myelom-Zellen eine Vielzahl teils recht spezifischer Antigene gibt: Daratumumab, ein voll humaner Antikörper gegen das CD38-Antigen, zeigt bereits in Monotherapie bemerkenswerte Aktivität, wird seinen größten Nutzen aber vermutlich erst bei Zugabe zu bereits bisher gebräuchlichen Kombina­tionstherapien entfalten. Elotuzumab hingegen, mit seinem hochinteressanten dualen Wirkmechanismus, benötigt die Kombination mit Proteasominhibitoren oder Immunmodulatoren, um überhaupt zu wirken. Zu beiden Antikörpern gab es beim ASH-Kongress eine Vielzahl interessanter Ergebnisse, aber auch bei den niedermolekularen Substanzen herrscht hier alles andere als Stillstand: Mit Carfilzomib wurde vor Kurzem der erste Zweitgenerations-Proteasominhibitor und mit Panobinostat der erste Histondeacetylase-Inhibitor überhaupt zur Therapie des fortgeschrittenen Myeloms zugelassen, und mit Ixazomib steht der erste orale Proteasominhibitor kurz vor der Einführung. Die Myelom-Therapie wird im Herbst dieses Jahres Thema eines Schwerpunkt-Hefts von Trillium Krebsmedizin sein.

Josef Gulden