„SIRT besonders wirksam bei hoher Tumorlast in der Leber“

Interview mit Prof. Dr. Volker Heinemann, Leiter des Comprehensive Cancer Center der Universität München

Lebermetastasen sind diejenigen Manifestationen eines kolorektalen Karzinoms, die am häufigsten zum Tod führen. Sie werden, wenn sie nicht zu umfangreich, aber auch nicht mehr resektabel sind, häufig mittels interventioneller radiologischer Verfahren behandelt. Eine weitere, seit einigen Jahren verfügbare Methode ist die selektive interne Radiotherapie (SIRT), bei der radioaktiv markierte Kunstharz-Kügelchen in den Leberkreislauf eingebracht werden und sich präferenziell in den Tumorläsionen anreichern. In der weltweit durchgeführten randomisierten Phase-III-Studie SIRFLOX wurde dieses Verfahren als Ergänzung zur Chemotherapie in der Erstlinientherapie von Patienten mit metastasiertem kolorektalem Karzinom erprobt. Zwar konnte der primäre Endpunkt, eine Verlängerung des progressionsfreien Überlebens bei allen Patienten, nicht erreicht werden, aber in Subgruppen wurden sehr interessante Ergebnisse erzielt, die Prof. Dr. Volker Heinemann, München, einer der Leiter der SIRFLOX-Studie, beim 18th World Congress on Gastrointestinal Cancer (WCGC) in Barcelona erläuterte.


Können Sie kurz das Konzept und die wesentlichen Ergebnisse der SIRFLOX-Studie skizzieren?

Heinemann:

In der SIRFLOX-Studie erhielten 530 Patienten mit neu diagnostiziertem metastasiertem kolorektalem Karzinom als Chemotherapie ein modifiziertes FOLFOX6-Regime, die Zugabe von Bevacizumab lag in der Entscheidung des jeweiligen Zentrums. Randomisiert erhielt die Hälfte der Patienten außerdem zusätzlich zur Chemotherapie eine selektive interne Radiotherapie (SIRT). Primärer Endpunkt war das progressionsfreie Überleben (PFS) an allen Metastasen-Lokalisationen, und bezüglich dieses primären Endpunkts fiel die Studie mit einem PFS von zehn Monaten in beiden Armen letztlich negativ aus.
Das war nahezu vorhersehbar, da SIRT nur in der Leber wirkt, in der Studie aber rund 40% der Patienten eine extrahepatische Metastasierung aufwiesen und bei weiteren 45% die Primärtumoren, die ja auch progredient sein können, nicht entfernt worden waren. Deshalb untersuchten wir in einer zusätzlichen Analyse das progressionsfreie Überleben nur in der Leber, und dort wurde es tatsächlich durch die SIRT-Behandlung deutlich verlängert, nämlich von median 12,6 auf 20,5 Monate, mit einer Hazard Ratio von 0,69, die statistisch hochsignifikant war.
Die Relevanz dieses positiven Ergebnisses ist vor allem deswegen noch unklar, weil wir bisher keine Überlebensdaten haben. Die SIRFLOX-Studie wurde zwar mit der britischen FOXFIRE-Studie zur FOXFIRE Global-Studie zusammengefasst, um bei dann über tausend Patienten das Überleben zu evaluieren, aber diese Daten erwarten wir erst zum ASCO 2017. Die Daten zum PFS in der Leber finden wir allerdings hochinteressant, weil wir in der CLOCC-Studie gesehen haben, dass zum Beispiel das Hinzufügen einer Radiofrequenz-Ablation (RFA) zur Chemotherapie bei nicht-resektabler Metastasierung nur in der Leber nicht nur das PFS, sondern auch das Gesamtüberleben deutlich verlängerte [Ruers T et al. ASCO 2015, Abstract #3501].

Können Sie die neuesten Analysen der SIRFLOX-Studie erläutern, die Sie hier in Barcelona vorgestellt haben?

Heinemann:

Wir haben mithilfe dieser Daten noch einmal das Konzept der Depth of response evaluiert in Abhängigkeit von der Tumorlast. Typischerweise gehen wir davon aus, dass die Depth of response mit dem Überleben korreliert, d. h. je ausgeprägter das Ansprechen ist, das wir erreichen, umso länger sollte das Überleben sein – das ist die Idee dahinter. Grundsätzlich kann man annehmen, dass bei unterschiedlicher Ausgangs-Tumorlast das Ausmaß der Tumorreduktion unterschiedlich relevant ist. Daher haben wir die Patienten in der SIRFLOX-Studie in zwei Gruppen mit hoher (> 12%) und mit niedriger Tumorlast in der Leber (≤ 12%) unterteilt – bei ansonsten etwa gleichen Charakteristika.
Damit konnten wir erstens zeigen, dass bei den Patienten mit hoher Tumorlast die Tumoren unter der SIRT-Behandlung deutlich stärker schrumpften, nämlich um 77% gegenüber nur 57% im Kontroll­arm. Ein solcher Unterschied war bei den Patienten mit niedriger Tumorlast nicht zu sehen.
Schaut man sich zweitens die Remissionsraten an, so sieht man, dass bei den Patienten mit hoher Tumorlast die Remissionsrate durch die Hinzunahme von SIRT von 67% auf 80% gesteigert werden konnte, während wiederum dieser Effekt bei Patienten mit niedriger Tumorlast nicht auftrat. Zum Teil mag das daran gelegen haben, dass die Remissionsrate bei Patienten mit niedriger Tumorlast in beiden Armen schon bei über 80% lag, ein Wert, den man im Grunde nicht überbieten kann. Interessant war aber immerhin, dass bei diesen Patienten mit niedriger Tumorlast die Rate an Komplettremissionen von 2% auf über 11% gesteigert werden konnte. Auch hier sieht man also, dass SIRT wohl effektiv war, auch wenn sich das nicht in der Gesamtremissionsrate widerspiegelt.

Und wirkt sich das auch auf die Überlebenszeiten aus?

Heinemann:

Das tut es in der Tat: Die progressionsfreie Zeit in der Leber war bei den Patienten mit hoher Tumorlast durch die SIRT-Behandlung gegenüber dem Kontrollarm deutlich von median 13 auf 27 Monate mehr als verdoppelt worden. Bei den Patienten mit niedriger Tumorlast betrug dieser Unterschied nur drei Monate.
Im Moment können wir also zusammenfassend sagen: Der große Effekt auf die Lebermetastasierung, wie wir ihn in der SIRFLOX-Studie sehen, ist getragen von Patienten mit hoher Tumorlast. Patienten, die sich mit initial hoher Tumorlast präsentieren, könnten also in Zukunft möglicherweise diejenigen sein, denen wir am ehesten SIRT in der First-line geben sollten. Die Sache ist viel schwieriger bei den Patienten mit geringer Tumorlast, bei denen wir im Grunde nur die Komplettremissionsrate verbessern, aber nicht die Gesamtremissionsrate oder das progressionsfreie Überleben beeinflussen konnten – das muss man sicherlich weiter untersuchen.

Sie hatten bei den Kurven zur progressionsfreien Zeit zwar keinen Unterschied im Medianwert, aber sehr wohl in der Höhe des Plateaus, das am Ende entsteht. Könnte das durch die häufigeren Komplettremissionen bedingt sein?

Heinemann:

Ja, das ist mit Sicherheit so. Da brauchen wir jetzt Analysen, die zeigen, wie lange die Komplettremissionen dann andauern. Eine komplette Remission ist natürlich etwas Wunderbares, aber die Frage ist schon, ob sie drei Monate andauert oder ob sie wirklich langfristig ist. Wir haben in unserem Zentrum tatsächlich in einzelnen Fällen langfristige Remissionen in der Leber gesehen, und das ist natürlich sehr wichtig für den Patienten. Ich denke aber, solange wir keine Gesamtüberlebens-Daten haben, können wir keine weiteren Rückschlüsse ziehen.

Haben Sie auch die Patienten angeschaut, die nur Lebermetastasen hatten und könnte es Sinn machen, sich auf solche Patienten zu beschränken?

Heinemann:

Die Analysen dazu liegen noch nicht vor, aber wir glauben mittlerweile in der Tat, dass die Lebermetastasierung die wichtigste lebensbedrohende Tumormanifestation beim kolorektalen Karzinom ist. Daher arbeiten wir an Strategien, mit denen man gerade in Bezug auf dieses Organ das Überleben verlängern kann. Ich denke, dass das insbesondere bei Patienten mit leberdominanter Metastasierung interessant ist, wo also die extrahepatische Metastasierung nicht so ausgedehnt oder relativ indolent ist. Wichtig ist in jedem Fall, dass die Indikation für das interventionelle Vorgehen in multidisziplinären Tumorboards gestellt wird.
Man muss bei der Interpretation unserer Daten außerdem noch Folgendes in Betracht ziehen: 90% der SIRFLOX-Patienten hatten bei Einschluss in die Studie schon eine synchrone Metastasierung, d. h. eine initiale Metastasierung, deren Dynamik man noch nicht einschätzen kann. Normalerweise wird etwa die Hälfte der Patienten mit isolierter, auf den Darm beschränkter Metastasierung diagnostiziert und entwickelt erst später die Fernmetastasierung. Wir hatten in der SIRFLOX-Studie also eine Negativauswahl, und ich bin überzeugt, dass sich das auch auf die Ergebnisse ausgewirkt hat: SIRT funktioniert nun einmal nur in der Leber.

Wenn die Daten zum Gesamtüberleben da sein werden, wird wohl die Zulassung für die Erstlinie beantragt?

Heinemann:

Sagen wir so: Man wird dann versuchen, das in die Leitlinien zu inte­grieren – SIRT ist ja kein Arzneimittel im strengen Sinn, sondern ein Medizinprodukt und damit anderen Regularien unterworfen. Im Vordergrund steht immer die Frage, ob die Behandlung erstattet wird, und ich gehe schon davon aus, dass die Kostenträger sich dabei am Gesamtüberleben orientieren werden. Im Rahmen von Leitlinien würde man zum gegenwärtigen Zeitpunkt sehr vorsichtig formulieren, dass wir eine große, gut durchgeführte randomisierte Phase-III-Studie haben, die ermutigenden Daten in einem sekundären Endpunkt zeigt. Solange aber die Daten zum Gesamtüberleben fehlen, sind gültige Empfehlungen zum Einsatz der SIRT in der Erstlinientherapie des metastasierten kolorektalen Karzinoms nicht möglich.

Interview: Josef Gulden