Bedeutung der minimalen Rest­erkrankung beim Multiplen Myelom

Definition: Minimale Resterkrankung

Als minimale Resterkrankung (Minimal Residual Disease, MRD) definiert man eine verbleibende kleine Anzahl von monoklonalen Plasmazellen (PCs) im Knochenmark, die mit serologischen oder zytologischen Methoden nicht identifiziert werden können. Eine MRD wird als eine der Hauptursachen für das Wiederauftreten des MM nach erreichter Remission angesehen [1–4]. Die Erfassung des MRD-Status erlaubt eine Aussage über die Effizienz der Therapie und eine prognostische Risikostratifizierung [5]. Aktuell stehen drei molekulare Methoden zur MRD-Diagnostik im Knochenmark zur Verfügung: Durchflusszytometrie (Multicolor Flow Cytometry, MFC), allelspezifische Oligonukleotid-Polymerase-Kettenreaktion (ASO-PCR) und Next Generation Sequencing (NGS). Zusätzlich sind durch die Quantifizierung zirkulierender Tumorzellen (CTCs) im peripheren Blut (PB, [6, 7]) oder anhand bildgebender Verfahren wie der Positronenemissions-Tomografie (PET-CT) und der Magnetresonanztomografie (MRT) Aussagen über die Prognose eines MM-Patienten möglich [8].

MRD-Diagnostik im Knochenmark

Die drei gängigsten Methoden zur MRD-Diagnostik im Knochenmark – MFC, ASO-PCR und NGS – unterscheiden sich sowohl technisch als auch in ihrer Sensitivität und Anwendbarkeit voneinander (Tab. 1).

MFC

Die Durchflusszytometrie ist ein Laser-basiertes biophysikalisches Verfahren, das eine Quantifizierung und Charakterisierung von Zellpopulationen erlaubt. Dabei werden sowohl physikalische Eigenschaften (Zellgröße und -granularität) als auch Oberflächen-Antigene auf den Zellen erfasst. Die MFC erlaubt eine Unterscheidung zwischen aberranten und normalen PCs auf hohem Sensitivitätsniveau (10-4–10-6; [9, 10]). Bisher sind zahlreiche, für aberrante PCs charakteristische Antigene beschrieben worden [11]. Eine genau Differenzierung zwischen normalen und malignen PCs kann jedoch nur in der Zusammenschau der aberranten Expression mehrerer Antigene bzw. durch Nachweis einer Leichtketten-Restriktion erfolgen [12]. Das European Myeloma Network und die International Clinical Cytometry Society empfehlen eine Kombination aus acht Antigenen sowie den Nachweis der Leichtketten-Restriktion zur Identifikation von Myelomzellen in der MRD-Dia­gnostik (Tab. 1).

ASO-PCR und NGS

Neben der MCF stehen zwei molekulargenetische Methoden zur MRD-Dia­gnostik zur Verfügung (Tab. 1), die auf der Quantifizierung der patientenspezifischen Immunoglobulin-Schwerketten- und Leichtketten-DNA-Sequenzen der aberranten PCs beruhen. Bei der ASO-PCR-basierten MRD-Diagnostik nutzt man diese DNA-Sequenzen, um für jeden Patienten einen spezifischen Assay zu erstellen, der dann für die MRD-Diagnostik verwendet werden kann. Als Assays kommen entweder Real-Time-PCR-Primer [13] oder unmarkierte PCR-Primer in Kombination mit einer „Extreme-Limiting-Dilution“ Analyse infrage [14], die eine Sensitivität von 10-4–10-6 erreichen.
Bei der NGS-Methode dienen die Immunoglobulin-Schwerketten- und Leichtketten-DNA-Sequenzen als Tem­plates für die Identifikation und Auszählung von aberranten PCs in der MRD-Probe. Die NGS-Methode nutzt keine patientenspezifischen Assays, sondern identifiziert aberrante Tumorzellen anhand massiver paralleler Sequenzierung tausender DNA-Sequenzen (Ultra-Deep Sequencing) mithilfe von Consensus-Primern [15]. NGS-basierte MRD-Dia­gnostik erreicht eine Sensitivität von 10-6.

Bedeutung der MRD-Diagnostik im Knochenmark

Unabhängig von der verwendeten Methode konnte in zahlreichen Studien nachgewiesen werden, dass trotz moderner Therapiekombinationen und Stammzelltransplantation eine MRD-Negativität (MRD-) nur von einem kleinen Teil der MM-Patienten erreicht wird. Diese Patienten zeichnen sich durch eine gute Pro­gnose aus. Sind hingegen noch Tumorzellen im KM nachweisbar, haben Patienten ein signifikant verkürztes progressionsfreies (PFS) und Gesamtüberleben (OS) [8, 13, 15–20]. Durch technische Weiterentwicklungen, wie z. B. die Erweiterung der MFC von vier auf acht oder 14 verschiedene Marker für Oberflächenantigene oder die Anwendung von „Ultra-Deep“-Sequenzierungen, wurde deutlich, dass durch tiefere Grenzwerte für MRD- zwar weniger MRD-negative Patienten identifiziert werden können, die Tiefe des Therapieansprechens aber mit einem signifikant verbesserten PFS und OS assoziiert ist.
So ermittelten Rawstron et al. 62% MRD-negative Patienten, deren medianes PFS gegenüber MRD-positiven Patienten um 13 Monate verlängert war (MFC; Sensitivität 10-4; [18]). Martinez-Lopez et al. zeigten mit einem NGS-basierten Assay ein verlängertes PFS von 49 Monaten für die 37% als MRD- eingestuften Patienten (10-5; [21]), und Avet-Loiseau et al. konnten mit der bisher höchsten erreichten Sensitivität (10-6; NGS) zeigen, dass nur 36% der untersuchten Patienten MRD- waren, diese aber ein signifikant verlängertes PFS aufwiesen [19]. Die Ergebnisse der IMF/DFCI-2009-Studie, die auf dem Kongress der amerikanischen Gesellschaft für Hämatologie in Orlando im Dezember 2015 erstmals präsentiert wurden, zeigen nachhaltig die Bedeutung der sensitiven MRD-Diagnostik: Mittels NGS konnte bei einer Sensitivität von 10-6 bei MRD-Negativität die beste Prognose gezeigt werden (Abb. 1; [19]).

Zirkulierende Tumorzellen im peripheren Blut

Weit weniger etabliert als die MRD-Diagnostik an Material aus Knochenmark sind Untersuchungen von CTCs im peripheren Blut. Grundsätzlich eignen sich dank des technischen Fortschritts heute sowohl MCF als auch ASO-PCR und NGS für diese Analyse. Mehrere Studien konnten zeigen, dass die Menge der CTCs zum Zeitpunkt der Diagnose einen unabhängigen prognostischen Marker für PFS und OS von MM-Patienten darstellt [6, 7, 22, 23]. Auch konnte gezeigt werden, dass zwischen der Tumorlast im Knochenmark und im peripheren Blut eine Korrelation besteht.

MRD-Diagnostik mit Bildgebung

Radiologische Untersuchungen wie Röntgen, CT oder MRT gehören zur Basisdiagnostik für MM-Patienten, und ihr prognostischer Wert bei der Diagnose ist gut belegt [24–26]. Aber auch für die Bewertung des Therapieansprechens bieten bildgebende Verfahren wie PET-CT und MRT eine Möglichkeit, klinische Manifestation des MM wie Knochenmark-Infiltration, fokale Läsionen und Weichteilbeteiligungen zu beurteilen [2, 8]. Erste Studien konnten zeigen, dass der Nachweis einer persistierenden Erkrankung mittels MRT oder PET-CT mit einem verkürzten PFS und OS assoziiert ist [24, 27–29]. Als Mittel für die MRD-Diagnostik beim MM wird sowohl das PET-CT als auch das Ganzkörper-MRT im Rahmen von klinischen Studien weiter überprüft.

Ausblick

Derzeit findet die MRD-Diagnostik beim MM in Deutschland im Rahmen klinischer Studien Anwendung und wird in der Regel dann durchgeführt, wenn bei einem Patienten eine komplette Remission (CR) nach IMWG-Kriterien vorliegt. Konsequenzen für die weitere Behandlung werden aus einem positiven MRD-Ergebnis bisher nicht gezogen. Mögliche Optionen, wie eine zweite autologe Stammzelltransplantation oder die Verlängerung einer Erhaltungstherapie, werden in Fachkreisen diskutiert. Neben ihrer prognostischen Bedeutung stellt die MRD-Diagnostik am Knochenmark ein wichtiges Werkzeug für die Entwicklung und Evaluierung neuer Medikamente und die Evaluierung von Medikamentenkombinationen dar, da sie deren Wirksamkeit bewerten kann.
Für die Aufnahme der MRD-Diagnostik als Standard in die Bewertung des Therapieansprechens von MM-Patienten müssen standardisierte Bedingungen gewählt werden. Die Standardisierung betrifft die zu messende Gesamtzellzahl und die Grenzwerte für die Anzahl der zu detektierenden Myelomzellen für einen MRD-positiven bzw. -negativen Befund. Welche Methode sich als Goldstandard etablieren wird, hängt maßgeblich von den damit verbundenen Kosten und der therapiebegleitenden Durchführbarkeit ab. Zurzeit ist nur die MCF-MRD-Diagnostik kostengünstig und therapiebegleitend durchführbar. Durch absehbare Kostensenkungen und die Möglichkeit der Automatisierung kann sich auch die NGS-basierte Analyse in den nächsten Jahren etablieren.

Literatur
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Dr. sc. hum. Stefanie Huhn
(korrespondierende Autorin)

 

Dr. med. Katharina Lisenko
Priv.-Doz. Dr. med. Michael Hundemer

Molekularbiologisches Labor
Sektion Multiples Myelom, Medizinische Klinik V, Universitätsklinikum Heidelberg
Im Neuenheimer Feld 410, 69120 Heidelberg
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