Fortgeschrittenes Nierenzellkarzinom: Empfehlungen der S3-Leitlinie

Mit der S3-Leitlinie zu Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Nierenzellkarzinoms gibt es nach dem Prostatakarzinom und Harnwegsinfektionen bei Erwachsenen die dritte urologische S3-Leitlinie in Deutschland. Wie aufwendig die Erstellung einer Leitlinie mit dem höchsten Evidenz-Niveau ist, zeigt sich daran, wie lange daran gearbeitet wurde: Im Juli 2009 war der Vorantrag an das Leitlinien-Programm Onkologie gestellt worden, im September 2015 konnte sie schließlich fertiggestellt werden – pünktlich zum DGU-Kongress 2015. Prof. Dr. Christian Doehn, Urologikum Lübeck, und Prof. Dr. Stefan Siemer, Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg/Saar, stellten verschiedene Inhalte vor.

Die Bewertung der Evidenz reicht von Level 1++ (qualitativ hochwertige Metaanalysen, systematische Übersichten von randomisierten kontrollierten Studien (RCTs) oder RCTs mit sehr geringem Risiko systemischer Fehler) bis zu Level 4 (nur Expertenmeinung). Die Empfehlungen werden außerdem graduiert: Eine starke Empfehlung erhält den Empfehlungsgrad A (im Text steht dann „soll“ oder „soll nicht“), Grad B ist eine Empfehlung („sollte“ oder „sollte nicht“), eine offene Empfehlung hat den Empfehlungsgrad 0 („kann“ oder „da­rauf kann verzichtet werden“). Ein starker Konsensus war erreicht, wenn > 95% der stimmberechtigten Experten der Empfehlung zustimmten, ein Konsens benötigte > 75% und bis zu 95% der Voten, eine mehrheitliche Zustimmung bedeutet, dass  50–75% zugestimmt hatten, und bei einem Dissens fanden sich weniger als 50% der Stimmen.

Zur Therapie der metastasierten Erkrankung herrschte starker Konsensus darüber, dass bei klarzelligen Tumoren keine palliative Chemotherapie durchgeführt werden soll (Empfehlungsgrad A, Evidenzlevel 1++). Zum Stellenwert einer Kombination bestand starker Konsens, dass bei metastasierten klarzelligen Tumoren keine Chemoimmuntherapie erfolgen soll (Empfehlungsgrad A, Evidenzlevel 1++).

Beim Auftreten von Metastasen sollte das weitere Procedere interdisziplinär diskutiert werden, so eine Empfehlung mit starkem Konsens zum allgemeinen Vorgehen. Eine schwächere Empfehlung von Grad B und Evidenzlevel Grad 3 besagt, dass bei metachroner Metastasierung solitäre Befunde lokal therapiert und unabhängig vom Organsystem bei kompletter Resektabilität mit kurativer Intention operiert werden sollten. Resektable Lungenmetastasen sollten reseziert werden, wegen der häufigen lymphogenen Metastasierung mit begleitender systemischer Lymphknoten-Dissektion.

Mit Empfehlungsgrad A und Evidenzlevel 1++ wird in Bezug auf die Erstlinientherapie empfohlen, dass bei Patienten mit fortgeschrittenem und/oder metastasiertem klarzelligem Nierenzellkarzinom und niedrigem oder intermediärem Risiko Sunitinib, Pazopanib oder Bevacizumab + Interferon verwendet werden sollen. Bei Patienten mit ungünstigem Risikoprofil soll in der Erstlinie Temsirolimus gegeben werden (Empfehlungsgrad A, Evidenzlevel 1+. Konsens unter den Experten herrschte darüber, dass die Auswahl der systemischen Therapie individuell anhand der zu erwartenden Effektivität, des Toxizitätsspektrums und der Komorbidität des Patienten erfolgen sollte. Ein Wechsel der laufenden Therapie sollte erst nach dokumentiertem deutlichem Progress bei fehlender lokaler Therapiemöglichkeit oder nicht tolerierbaren Nebenwirkungen erfolgen.

In der Zweitlinie werden die systemischen Therapieoptionen nach Risikoprofil gewählt: Nach Zytokinen gelten Axitinib als Standard und Pazopanib oder Sorafenib als Optionen. Nach VEGF-Versagen wird Everolimus als Standardtherapie, nach Sunitinib Axitinib oder Everolimus und nach einem mTOR-Inhibitor Axitinib, Pazopanib, Sorafenib oder Sunitinib empfohlen.

Ine Schmale


Satelliten-Symposium „Moderne Leitlinien-gerechte Therapie des fortgeschrittenen Nierenzellkarzinoms“ im Rahmen des Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU) am 26.9.2015, Hamburg, unterstützt von Novartis Oncology, Nürnberg.