Neues aus der neuroonkologischen Neurochirurgie: Stellenwert der operativen Therapie der Gliome

Michael Sabel, Andrea Szelenyi

Gliome (hirneigene Tumoren) entstehen aus der Glia, dem Stützgewebe des zentralen Nervensystems und werden nach der WHO-Klassifikation entsprechend ihrer Aggressivität in die Grade I bis IV (Glioblastom, bösartigste Variante) unterteilt. Aktuell wird die WHO-Klassifikation entsprechend der neuen Erkenntnisse bezüglich prognostischer molekularer Marker überarbeitet. Hierdurch wird eine differenziertere Prognoseeinschätzung durch Subtypisierung innerhalb der herkömmlichen Klassifikation möglich ([1], s. a. Artikel Malzkorn et al. in diesem Heft, S. 288).
Mit Ausnahme der WHO-Grad-I-Tumoren gelten Gliome weiterhin als unheilbar. Dies ist im Wesentlichen auf das in die umliegenden funktionellen Hirn­areale infiltrierende Wachstumsmuster zurückzuführen (Abb. 1). Diese Wachstumseigenschaft macht eine vollständige Eliminierung der Tumorzellen (durch zytotoxische, Strahlentherapie oder Resektion) ohne die Induktion Therapie-assoziierter Defizite unmöglich. Allerdings haben sich sowohl in der Behandlung der niedrig- (WHO-Grad II) als auch der höhergradigen Gliome (WHO-Grad III/IV) deutliche Verbesserungen der Überlebenszeiten bei guter Lebensqualität ergeben. Dabei hat sich insbesondere die operative Therapie als wesentlicher, in der Vergangenheit wahrscheinlich deutlich unterschätzter Faktor etabliert [2, 3]. Die Gründe für das Erreichen dieser Fortschritte in der operativen Behandlung der Gliome liegt in der optimierten präoperativen Diagnostik, den verbesserten Resektionsverfahren und dem intensivierten intraoperativen Monitoring der neurologischen Funktionen. Der Artikel skizziert im Folgenden diese Aspekte.

Präoperative Bildgebung

Bei Verdacht auf das Vorliegen eines hirneigenen Tumors ist die Durchführung einer kontrastmittelverstärkten kranialen kernspintomografischen Untersuchung (MRT) mit T1-, T2- und Flair-Sequenzen obligat. Diese Untersuchung erstellt die Basis zur Einschätzung der Dignität und Entität des Prozesses sowie der anatomischen Details. In den letzten Jahren haben sich Posi­tronen-Emissions- Tomografien (PET) mit Aminosäure-Tracern als besonders hilfreich bei der Einschätzung der Di­gnität hirneigener Tumoren erwiesen (Abb. 2). Diese Untersuchungen werden zunehmend zur Diagnostik der malignen Transformation von Grad II zu Grad III oder Grad IV genutzt und können damit einen entscheidenden Beitrag zur Einschätzung der Therapie­notwendigkeit leisten. Die Identifizierung eines Areals mit pathologischer Aktivität (HOT-Spot) ermöglicht gezielte Biopsien, um ein Undergrading des Tumors zu vermeiden (Abb. 2). Durch die Synthese von Aminosäure-Tracern mit verlängerter Halbwertszeit (Fluor-Ethyl-Tyrosin, FET) sind diese Untersuchungen nicht mehr obligat an Zentren mit eigenem Zyklotron gebunden [4].

Bei Verdacht auf das Vorliegen eines hirneigenen Tumors ist die Durchführung einer kontrastmittelverstärkten kranialen kernspintomografischen Untersuchung (MRT) mit T1-, T2- und Flair-Sequenzen obligat. Diese Untersuchung erstellt die Basis zur Einschätzung der Dignität und Entität des Prozesses sowie der anatomischen Details. In den letzten Jahren haben sich Posi­tronen-Emissions- Tomografien (PET) mit Aminosäure-Tracern als besonders hilfreich bei der Einschätzung der Di­gnität hirneigener Tumoren erwiesen (Abb. 2). Diese Untersuchungen werden zunehmend zur Diagnostik der malignen Transformation von Grad II zu Grad III oder Grad IV genutzt und können damit einen entscheidenden Beitrag zur Einschätzung der Therapie­notwendigkeit leisten. Die Identifizierung eines Areals mit pathologischer Aktivität (HOT-Spot) ermöglicht gezielte Biopsien, um ein Undergrading des Tumors zu vermeiden (Abb. 2). Durch die Synthese von Aminosäure-Tracern mit verlängerter Halbwertszeit (Fluor-Ethyl-Tyrosin, FET) sind diese Untersuchungen nicht mehr obligat an Zentren mit eigenem Zyklotron gebunden [4].

Insbesondere bei der Evaluation von in eloquenten Arealen gelegenen Prozessen ist die Durchführung einer funktionellen MRT-Bildgebung hilfreich. Hierbei kann die Lokalisation der motorischen Areale (z. B. der Handregion) in Relation zur Läsion nicht-invasiv dargestellt werden (Abb. 3a). Diese Untersuchungstechnik ermöglicht auch die Darstellung der Sprachareale. Neben der Lokalisation der kortikalen Funktionsareale besteht durch die Anwendung des Diffusion Tensor Imaging die Möglichkeit, Faserbahnen (z. B. den kortiko-spinalen Trakt) kernspintomografisch darzustellen (Abb. 3b). In Kombination ergeben diese Verfahren die Möglichkeit, funktionelle kortikale und subkortikale Areale nicht-invasiv zu identifizieren. Beide Verfahren sind für die Nutzen-Risiko-Abwägung einer operativen Behandlung häufig essenziell und können die Indikationsstellung entscheidend beeinflussen. Die Übertragung dieser Daten in den operativen Situs durch Neuronavigationsverfahren wird häufig durchgeführt, allerdings verändert das operative Vorgehen die präoperative Lokalisation der Areale (sog. Brain-Shift) und erschwert damit eine präzise intraoperative Zuordnung der Areale im Situs.
Zusammengefasst ergeben sich durch Optimierung der Diagnostik mit präoperativer Lokalisation der Funktionen und Stoffwechselanalysen zur Dignitätsabschätzung erhebliche Fortschritte für die Nutzen-Risiko-Analyse des Eingriffs und eine deutlich verbesserte Indikationsstellung.

Bedeutung der Resektion

Aufgrund des infiltrativen Wachstums der Gliome wurde die Bedeutung der Resektion in den vergangene Dekaden infrage gestellt. Nach Auswertung der Daten einer prospektiv randomisierten Studie zur Anwendung der Fluo­reszenz-gestützten Resektion konnte jedoch für das Glioblastom (WHO-Grad IV) belegt werden, dass eine vollständige Resektion des Kontrastmittel-anreichernden Tumoranteils einen hochsignifikanten Einfluss auf das mediane Gesamtüberleben aufweist ([2], Abb. 4). Dabei war die Signifikanz der bisher definierten Risikofaktoren für ein verbessertes Überleben (Alter, klinischer Zustand des Patienten) weniger relevant als das Ausmaß der Resektion. Aufgrund des Ausschlusses eines Bias durch andere prognoserelevante Faktoren in der vollständig und nicht vollständig resezierten Gruppe konnte das verbesserte Überleben eindeutig der vollständigen Resektion zugeordnet werden. Damit besteht nun Level-2-Evidenz für die Verlängerung des Gesamtüberlebens der Glioblastom-Patienten durch vollständige Resektion des Kon­trastmittel-anreichernden Tumoranteils. Dies wird bei den höhergradigen Gliomen durch die neu eingeführte Technik der 5-ALA-Fluoreszenz-gestützten Resektion signifikant vereinfacht. Stummer et al. konnten in einer prospektiv randomisierten Studie zeigen, dass die Anwendung der Fluoreszenz-gestützten Resektion die Rate der (MRT-morphologischen) vollständigen Resektionen verdoppelt ([5], Abb. 5).

Für die niedriggradigen Gliome war die Datenlage zur Bedeutung der Resektion bisher nicht so gut belegt wie für die höhergradigen Gliome, da bisher keine prospektiv randomisierten Studien vorliegen. Zahlreiche Studien unterstützten die Annahme einer Verlängerung des progressionsfreien Intervalls und des Gesamtüberlebens [6, 7] durch eine Resektion des in der Flair-Wichtung identifizierten Tumoranteils. Allerdings erfolgte in keiner dieser Studien eine Adjustierung bezüglich eines möglichen Bias durch Risikofaktoren wie Alter, Lokalisation, klinischem Zustand oder Größe des Tumors. Durch eine aktuelle komparative populationsbasierte Untersuchung aus Norwegen konnte allerdings die Überlegenheit einer initialen Resektion versus „Watchfull Waiting“ für das mediane Gesamtüberleben demonstriert werden ([3], Abb. 6).

Das Ausmaß der Resektion konnte in dieser Studie nicht evaluiert werden. Die Gruppe um Duffau konnte allerdings zeigen, dass eine vollständige Entfernung der Flair-assoziierten Tumoranteile zu einer dramatischen Verlängerung des progressionsfreien Intervalls führte [8].
Somit unterstützt die Studienlage insgesamt ein aggressives operatives Vorgehen bei niedrig- ebenso wie bei höhergradigen Gliomen. Die Zielsetzung der Resektion ist aufgrund der Studienlage eine möglichst vollständige Resektion der in der Bildgebung sichtbaren Läsion [5, 6].

Bedeutung des intraoperativen Monitorings

Trotz der deutlichen Verlängerung des progressionsfreien Intervalls rezidivieren ca. 80% der Gliome in unmittelbarer Nähe zur Resektionshöhle (Abb. 7). Daher wird von einigen Arbeitsgruppen eine Resektion bis an das funktionelle Limit gefordert [8]. Dieses Vorgehen setzt allerdings eine sehr intensive, intraoperative Kontrolle der neurologischen Funktionen des Patienten voraus. In den vergangenen Jahren konnte das intraoperative Monitoring soweit verbessert werden [9], dass auch bei Resektionen in hoch eloquenten Hirnregionen eine akzeptable Rate von nur ca. 6% permanenten neurologischen Ausfällen erwartet wird [6].
Für die Testung der Funktionen in tumornahen Regionen ist allerdings eine Spezialisierung der operativen Abteilung notwendig, da Verfahren wie Wachoperationen und konsequente Anwendung intraoperativer Überwachungsverfahren mittels der Methoden der evozierten Potenziale in Kombination mit direkter kortikaler und subkortikaler elektrischer Stimulation zur Verfügung stehen müssen.

Das intraoperative Vorgehen sieht zunächst eine Testung der Funktionen und in der Folge eine kontinuierliche Überwachung vor. Die Motorik kann sowohl in Narkose wie am wachen Patienten gut überwacht werden. Dies geschieht durch die elektrische Aktivierung der primären Bewegungsareale und deren Nervenbahnverbindungen und der Ableitung von Antworten in den korrespondierenden Zielmuskeln (Abb. 8a). Die Antworten in diesen Kennmuskeln werden zur Lokalisation des motorischen Hirnareals, wie in der Folge zur kontinuierlichen Überwachung während der Tumorentfernung verwendet. Ein spezialisiertes Team ist nötig, um Änderungen der Antworten im Kontext der Operation zu interpretieren und damit eine sichere Tumorentfernung zu ermöglichen.
Kognitive Funktionen, insbesondere die Sprache, können nach derzeitigem Kenntnisstand nur verlässlich am wachen und kooperativen Patienten mittels Sprach- und Sprechtestung überwacht werden. Durch elektrische Stimulation der entsprechenden Hirn­areale werden Funktionen geblockt (z. B. kurzzeitige Induktion einer Wortfindungsstörung, Abb. 8b). Diese Verfahren werden zunächst auf der Hirn­oberfläche (d. h. kortikal) zum kortikalen Mapping der Funktionen verwendet. Damit wird der Zugang zum Hirntumor geplant. Im weiteren Operationsverlauf gilt es, den Tumor von den subkortikalen Nervenbahnsystemen zu präparieren. Um dabei eine Verletzung dieser Bahnsysteme zu verhindern, wird die elektrische Stimulation auch zum subkortikalen Mapping eingesetzt. Aus den Stimulationsantworten der kortikalen Überwachung und des subkortikalen Mappings ergibt sich das mögliche Ausmaß der Tumorresektion unter gleichzeitiger Schonung der klinischen Funktion.

Literatur
1. Louis DN et al. International Society of Neuropathology−Haarlem consensus guidelines for nervous system tumor classification and grading. Brain Pathol 2014; 24: 429-35.
2. Stummer W et al. Extent of resection and survival in glioblastoma multiforme: Identification of and adjustment for bias. Neurosurgery 2008; 62: 564-76.
3. Jakola AS et al. Comparison of a strategy favoring early surgical resection vs a strategy favoring watchful waiting in low-grade gliomas. J Am Med Ass 2012; 308: 1881-8.
4. Pauleit D et al. Comparison of (18)F-FET and (18)F-FDG PET in brain tumors. Nucl Med Biol 2009; 36: 779-87.
5. Stummer W et al. Fluorescence-guided surgery with 5-aminolevulinic acid for resection of malignant glioma: A randomised controlled multicentre phase III trial. Lancet Oncol 2006; 7: 392-401.
6. Smith JS et al. Role of extent of resection in the long-term outcome of low-grade hemispheric gliomas. J Clin Oncol 2008; 26: 1338-45.
7. McGirt MJ et al. Extent of surgical resection is independently associated with survival in patients with hemispheric infiltrating low-grade gliomas. Neurosurgery 2008; 63: 700-7.
8. Duffau H. The rationale to perform early resection in incidental diffuse low-grade glioma: Toward a "preventive surgical neurooncology". World Neurosurg 2013; 80: e115-7.
9. Szelényi A et al. Intraoperative electrical stimulation in awake craniotomy: Methodological aspects of current practice. Neurosurg Focus 2010; 28: E7.

Korrespondierender Autor: Michael Sabel

und

Prof. Dr. med. Andrea Szelenyi
Leiterin Klinische Neurophysiologie der
Neurochirurgischen Klinik

Universitätsklinikum Düsseldorf
Medizinische Fakultät
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Geb. 11.54, Postfach 101007
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