Therapiekonzepte für Non-Hodgkin-Lymphome – eine Momentaufnahme

Editorial 03/2015

Hämatologische Malignome zählen eher zu den selteneren Erkrankungen in der Onkologie, aber neue therapeutische Strategien wurden häufig zuerst bei diesen Erkrankungen erprobt, zum Beispiel die Einführung der ersten monoklonalen Antikörper zur Therapie von B-Zell-Lymphomen in den 1990er-Jahren oder des ersten Tyrosinkinase­inhibitors zur Behandlung der chronischen myeloischen Leukämie im Jahr 2001. Diese prominente Rolle hämatologischer Neoplasien kommt nicht von ungefähr: Die einfache Gewinnung von Tumormaterial aus Blut oder Knochenmark erleichtert die translationale Forschung, durch die heute die Entwicklung innovativer Therapiekonzepte vorangetrieben wird. Die malignen Lymphome, die den Schwerpunkt dieses Hefts von Trillium Krebsmedizin darstellen, haben mehrfach eine wichtige Rolle gespielt: Neben den erwähnten monoklonalen Antikörpern, die erstmals für die follikulären Lymphome zugelassen wurden, sind hier in den letzten Jahren mehrere neue Wirkprinzipien eingeführt worden: Der Inhibitor der Bruton-Tyrosinkinase (BTK) Ibrutinib ist mittlerweile für die chronische lymphatische Leukämie (CLL) und das Mantelzell-Lymphom zugelassen, Idelalisib, ein Hemmer der Phosphoinositol-3-Kinase δ, für CLL und follikuläres Lymphom, und die Zulassung des ersten Inhibitors des anti-apoptotischen Proteins Bcl-2, Venetoclax (ABT-199), wird für das nächste Jahr erwartet.

Das Lymphom-Microenvironment – neuer Angriffspunkt in der Lymphomtherapie

Ein Beispiel für die führende Rolle der Lymphomforschung ist die Charakterisierung des Tumorstromas, auch Microenvironment genannt. Dessen Bedeutung für alle Malignome wird zunehmend erkannt, ist bei den Lymphomen aber besonders gut untersucht. Während sich die Forschung in den vergangenen Jahren auf die Identifizierung genetischer Aberrationen in Krebszellen konzentriert hatte, stehen aktuell die Wechselwirkungen zwischen Lymphozyten und Stroma in den lymphatischen Geweben im Vordergrund. Immunologen hatten schon seit Langem auf die Bedeutung dieser Interaktionen hingewiesen, daher lag es nahe, diese Abhängigkeiten auch bei mali­gnen Lymphomen genauer unter die Lupe zu nehmen [1]. Dabei konnte gezeigt werden, dass nicht nur die normalen lymphatischen Zellen im Verlauf ihrer Entwicklung zahlreiche hochgradig koordinierte Interaktionen mit Immun- und Stromazellen eingehen. Vielmehr sind auch die entarteten Lymphomzellen vielfältig von nicht-mali­gnen Zellen und anderen Elementen des Tumor-Microenvironments abhängig. Daraus lässt sich zum einen die molekulare Pathogenese von Lymphomen und ihre Abstammung von bestimmten Stadien im Entwicklungszyklus der B-Zelle ableiten und besser charakterisieren. Vor allem sind dadurch aber auch neue onkogene Signalwege identifiziert worden, die wiederum die Entwicklung neuer therapeutischer Ansätze ermöglichen.

Immuntherapien – ein neues, altes Paradigma in der onkologischen Therapie

Das Immunsystem als „biologischer“ Wirkansatz bei malignen Erkrankungen wird bereits seit Jahrzehnten untersucht, aber erst in den letzten zwei Jahren haben die beeindruckenden Ergebnisse von CAR-T-Zellen und
PD-1-Antikörpern in der gesamten Onkologie für enorme Aufbruchsstimmung gesorgt. Dabei wird leicht übersehen, dass wir in der Lymphom-Therapie bereits seit 20 Jahren Immuntherapien einsetzen, denn auch CD-20-Antikörper sind natürlich eine Art von Immuntherapie – sie haben die Behandlung der B-Zell-Lymphome auf eine völlig neue Basis gestellt und höhere Heilungsraten (bei aggressiven Lymphomen) bzw. eine deutliche Überlebensverlängerung (bei indolenten Lymphomen und CLL) erzielt. Ihr Potenzial ist noch lange nicht ausgereizt, wie die jüngsten Ergebnisse mit der neuen Generation glykomodifizierter Typ-II-Antikörper (bisher v. a. bei der CLL) zeigen. Ebenfalls unter das Label Immuntherapien fallen die Immunkonjugate, bei denen ein möglichst tumorspezifischer Antikörper mit einem potenten Zellgift kombiniert wird und dieses direkt zur Tumorzelle transportiert. Das erste derartige Immuntoxin, der anti-CD30-Antikörper Brentuximab Vedotin, ist bereits für das rezidivierte Hodgkin-Lymphom und das anaplastisch-großzellige Lymphom zugelassen, und eine ganze Reihe ähnlicher Medikamente wird zurzeit für andere Lymphom-Typen entwickelt.
Was aber im Moment unter dem Begriff „Immuntherapien“ in engerem Sinn verstanden wird, sind die sogenannten Checkpoint-Inhibitoren: Mittlerweile ist es gelungen, einige der Mechanismen zu entschlüsseln, mit denen körpereigene Gewebe vor überschießenden Immunreaktionen, v. a. durch Angriffe von zytotoxischen T-Lymphozyten, geschützt werden. Bei diesen Checkpoint-Mechanismen interagieren Oberflächenmoleküle der T-Zellen (z. B. PD-1 oder CTLA-4) mit solchen auf Antigen-präsentierenden bzw. auf potenziellen Zielzellen, und durch diese Interaktion wird die Aktivität der T-Zellen gebremst. Tumorzellen nutzen diesen eigentlich physiologischen Mechanismus, indem sie selbst solche immunsupprimierenden Moleküle (z. B. PD-L1) exprimieren und sich dadurch dem Angriff der zytotoxischen Zellen entziehen.

Checkpoint-Inhibition – ein Ansatz für Tumoren mit hoher Mutationslast

Die Hemmung dieser Checkpoint-Moleküle durch monoklonale Antikörper ermöglicht bei einer Reihe von metastasierten soliden Tumoren – allen voran beim Melanom – offenbar einem Teil der Patienten ein Langzeit-Überleben. Besonders geeignet scheinen Tumoren mit hoher Mutationslast zu sein, die aufgrund dieser stetigen Veränderungen sehr leicht Resistenzen gegen herkömmliche – auch zielgerichtete – Therapieansätze entwickeln können. Die Checkpoint-Inhibition wirkt unabhängig von Geno- und Phänotyp der Zelle und könnte daher weniger Resistenzentwicklungen provozieren. Bei den Lymphomen wurden auf dem letzten ASH-Kongress im vergangenen Dezember erste Studienergebnisse mit PD-1-Antikörpern zum Hodgkin-Lymphom [2, 3], aber auch zu weiteren Lymphom-Subtypen vorgestellt [4], die große Erwartungen geweckt haben.
Die hier kurz beschriebenen Entwicklungen sind zwar erst zum Teil zugelassen, werden aber schon in den nächsten zwei bis drei Jahren den klinischen Alltag erreichen. Daher wird im vorliegenden Heft von den verschiedenen Autoren im Rahmen der Lymphom-Therapie auch auf diese neuen Entwicklungen hingewiesen, da eine solche State-of-the-Art-Übersicht immer nur eine Momentaufnahme sein kann: Aufgrund der rasanten Entwicklung des Gebiets setzen wir schon heute zahlreiche dieser neuen Therapieansätze im Rahmen von klinischen Studien ein – v. a. zum Nutzen unserer Patienten!

 

Literatur
1. Scott DW, Gascoyne RD. Nature Rev Cancer 2014; 14: 517-34.
2. Armand P et al. ASH 2014, Abstract #289.
3. Moskowitz CH et al. ASH 2014, Abstract #290.
4. Lesokhin AM et al. ASH 2014, Abstract #291.

 

Prof. Dr. med. Martin Dreyling
Koordinator des European Mantle-Cell
Lymphoma Network
Klinikum der Universität München
Medizinische Klinik und Poliklinik III
Marchioninistr. 15, 81337 München
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