Interview mit Prof. Dr. Mathias Hummel, Gießen

Bei den B-Zell-Lymphomen verändert sich die therapeutische Landschaft derzeit rasant mit immer neuen Antikörpern und niedermolekularen Substanzen, die zum Teil ganz erstaunlich wirksam sind. Prof. Mathias Rummel, Gießen, Leiter der Studiengruppe indolente Lymphome (StiL), nimmt Stellung zur Rolle des PI3Kδ-Inhibitors Idelalisib.

Bei einem Symposium kürzlich in London wurden neueste Entwicklungen in der Therapie von B-Zell-Lymphomen, v. a. des follikulären Lymphoms und der chronischen lymphatischen Leukämie (CLL), diskutiert. Wo gibt es derzeit sogenannte „unmet needs“ bei B-Zell-Lymphomen?

Rummel: Vor allen Dingen bei der Rezidivtherapie, und in erster Linie dann, wenn die Patienten refraktär sind und nicht mehr auf die etablierten Therapien ansprechen. Das kann zwar auch bei der Erstlinientherapie der Fall sein (ca. 10% der Patienten sind primär refraktär), aber eben doch sehr viel wahrscheinlicher im Rezidiv.

 

Der B-Zell-Rezeptor wird auch auf Zellen von B-Zell-Lymphomen exprimiert, und die Störung dieses Signalwegs lässt die Zellen ständig proliferieren. Nun gibt es seit Kurzem Medikamente, die diesen Signalweg beeinflussen und für einzelne Formen von B-Zell-Lymphomen zugelassen sind, wie der BTK-Inhibitor Ibrutinib und der PI3Kδ-Inhibitor Idelalisib. Was sind die ersten Erfahrungen mit letzterer Substanz, um die es bei dem Symposium vor allem ging?

Rummel: Beide Substanzen sind sehr gut wirksam bei der prognostisch sehr ungünstigen CLL mit 17p-Deletion bzw. TP53-Mutation, und das war eine sehr positive Überraschung, weil bei diesen Patienten ja die herkömmlichen Therapien weitgehend versagt haben. Deshalb wurden beide Medikamente in den USA und in Europa bei diesen Patienten überraschenderweise sogar für die Erstlinie zugelassen, wenn sie sich nicht für die Durchführung einer Chemoimmuntherapie eignen. Das verdeutlicht, dass auch bei den Zulassungsbehörden gesehen wird, dass es hier einen Bedarf schon in der Erstlinie gibt. Auch in Deutschland werden viele Patienten mit diesen pro­gnostisch ungünstigen zytogenetischen Aberrationen bereits mit diesen Substanzen behandelt, und dann natürlich auch im Rezidiv der CLL, wo Idelalisib ebenfalls, und zwar in Kombination mit Rituximab zugelassen ist.

 

Und wie ist es beim follikulären Lymphom, wo man ja nicht diese genannten Risikogruppen hat?

Rummel: Hier ist Idelalisib als Monotherapie zugelassen bei Patienten mit follikulärem Lymphom, das refraktär gegenüber zwei vorausgegangenen Therapielinien ist. Der Grund dafür ist, dass in der Studie, die zur Zulassung geführt hat, die Patienten doppelt refraktär waren. Solche Studien gab es bisher nicht, sondern man hat meist untersucht, was zu tun ist, wenn die Patienten gegen Rituximab refraktär werden und hat versucht, dann mit Bendamustin oder mit anderen Sub­stanzen noch etwas zu erreichen. Idelalisib wurde nun geprüft bei Patienten, die nicht nur gegen Rituximab, sondern auch gegen Chemotherapien mit alkylierenden Substanzen refraktär waren und die daher kaum mehr therapeutische Optionen hatten. Hier wurde Idelalisib in Monotherapie eingesetzt, und in dieser Studie kann man erkennen, was eine neue Substanz alleine in so einer sonst aussichtslosen Krankheitssituation bewirken kann.

 

Haben Sie schon selbst erste Erfahrungen mit Idelalisib gemacht?

Rummel: Ja, die habe ich, und die Patienten vertragen Idelalisib in der Regel gut und fühlen sich auch gleich besser. Man muss allerdings auf Nebenwirkungen gefasst sein, die teilweise nach vier, fünf, bis zu neun Monaten auftreten können, also dann, wenn man sich als Arzt sowie als Patient vielleicht schon in Sicherheit wiegt. Das sind vor allem Auto­immun-Kolitiden, die zu schweren Durchfällen führen. Außerdem kann es zu Autoimmun-Pneumonitiden und zu Autoimmunstörungen der Leber mit erhöhten Transaminasen kommen, die allerdings beide früher auftreten. Gefürchtet ist tatsächlich der Durchfall, auch weil er einen zu einer Zeit überraschen kann, wo man gar nicht mehr mit solchen Nebenwirkungen rechnet.

 

Wie häufig ist das?
Rummel: In der Zulassungsstudie trat Durchfall bei über 40% der Patienten auf, bei 13% war er schwer (Grad 3 oder höher). Man wird nach den Erfahrungen, die in den Studien gemacht wurden, die Patienten immer schon vorwarnen, dass so etwas kommen kann, denn der Durchfall kann so dramatisch werden, dass es für den Patienten dringend geboten ist, zum Arzt zu gehen.

 

Was ist insgesamt beim praktischen Management von Patienten zu beachten, die mit ­Idelalisib behandelt werden?
Rummel: Sie müssen am Anfang relativ häufig wiederkommen zur Kontrolle, weil man vor allem diese frühen Leberwertveränderungen erkennen will. Wir machen es im Moment so, dass die Patienten alle vier Wochen kommen müssen, wenn sie ein neues Rezept bekommen. Später wird das in größeren Abständen kontrolliert.

 

Und bis auf Weiteres ist das eine Dauertherapie, bei der ein Absetzen nicht vorgesehen ist?
Rummel: Bis auf Weiteres ja, aber in Expertentreffen wird schon diskutiert, dass es längerfristig vielleicht doch auf eine limitierte Therapie hinauslaufen wird, mit der man wieder beginnt, wenn die Erkrankung sich wieder meldet. Das ist aber noch nicht hinreichend gut untersucht, und man muss dabei natürlich unbedingt auch klären, ob damit nicht der Entwicklung von Resistenzen Vorschub geleistet wird.

 

Eine mögliche Strategie wären ja vielleicht auch Kombinationen mit anderen Therapien, zum Beispiel mit Antikörpern, die ja bei manchen Patienten MRD-Negativität erreichen können. Wenn man die mit einer Substanz wie Idelalisib kombinieren würde, könnte man dann nicht unter Umständen noch eine bessere Wirksamkeit erreichen?
Rummel: Ja, ich denke, dass es hier sehr viele Möglichkeiten gibt, die auch in Studien untersucht werden – natürlich mit der Absicht, die Wirkung zu verstärken und vielleicht eine sehr gute Remission zu bekommen und die Therapie zu verkürzen, sie dann nicht auf Dauer geben zu müssen.

 

Wie geht es weiter beim follikulären Lymphom? Welche wichtigen Studien laufen derzeit? Führt auch ihre Studiengruppe indolente Lymphome (StiL) solche Studien durch?
Rummel: Wir haben uns beteiligt an den Studien, die weltweit gemacht werden, hier hat die StiL sich eingebracht und für die Studien geworben. Derzeit gibt es zum Beispiel weltweite Studien von Gilead, die Idelalisib in Kombination mit Bendamustin/Rituximab oder mit Rituximab alleine im Rezidiv prüfen.

 

In letzter Zeit wird immer wieder eine Chemotherapie-freie Behandlung von Lymphomen ins Gespräch gebracht. Mit Substanzen wie Idelalisib ist das im Rezidiv offensichtlich schon möglich – ist das in Zukunft auch in der Erstlinientherapie zu erwarten?
Rummel: Das kann schon sein – wobei die Frage ist, ob Chemotherapie-frei auch wirklich besser ist, d. h. tatsächlich wesentlich weniger Nebenwirkungen verspricht. Auch die neuen Substanzen und die Chemotherapie-freien Kombinationen sind nicht automatisch nebenwirkungsfrei – diesem Aberglauben darf man sich nicht hingeben. Vielleicht könnten bei der CLL solche neuen Substanzen schneller mit der Erstlinientherapie konkurrieren, aber beim follikulären Lymphom habe ich persönlich meine Zweifel, denn Bendamustin-Rituximab zeigt ja zum Beispiel doch eine sehr lang anhaltende Wirkung von vier, fünf, ja bis zu sieben Jahren. Nach den derzeitigen Dosierungsregimes müsste man die neuen Substanzen dann so lange ununterbrochen geben, und das kann ich mir im Moment nicht vorstellen. Es gibt kleinere Studien, die solche Strategien in der Erstlinie testen, und man untersucht, ob sich das wirklich bewähren wird. Letztlich ist das auch eine Kostenfrage, denn im Vergleich zu den Therapien, die da auf uns zukommen, könnte man sechs Zyklen BR fast schon preiswert nennen.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Interview: Josef Gulden