Neues zur chronischen myeloischen Leukämie

ASH 2014

Die Therapie der chronischen myeloischen Leukämie (CML) steht beispielhaft als Paradigma der modernen Tumortherapie: Sie ist die erste Krankheit, bei der eine zielgerichtete, spezifisch auf einen zugrundeliegenden molekularen Defekt maßgeschneiderte Behandlung die Prognose der Patienten entscheidend verbessert hat. Derzeit werden bei ihr Therapiestrategien erprobt, die auf eine „Heilung“ ohne komplette Eradikation aller Tumorzellen hinauslaufen könnten. Bei der ASH-Jahrestagung in San Francisco gab es dieses Mal keine bahnbrechenden Neuigkeiten, aber eine Reihe interessanter Weiterentwicklungen auf diesem Weg.

Die mittlerweile fünf zur Behandlung der Philadelphia-Chromosom-positiven CML zugelassenen Tyrosinkinaseinhibitoren (TKI) reduzieren nachweislich, wenngleich in unterschiedlichem Ausmaß, bei den meisten Patienten rasch, dramatisch und andauernd die klonale Tumorlast, zumindest wenn sie in der chronischen Phase der Erkrankung eingesetzt werden. Primäres Ziel sind möglichst tiefe molekulare Remissionen, um dann nach einer gewissen Zeit – das ist die Zukunftsvision – die Therapie absetzen zu können und bei einem erheblichen Anteil der Patienten dennoch anhaltende Remissionen zu sehen. In San Francisco gab es Updates einiger großer Studien zu den einzelnen Inhibitoren sowie frühe Auswertungen zu einigen der neueren Absetzstudien.
Die aktuellen 6- bzw. 5-Jahres-Resultate der First-line-Zulassungsstudien für die Zweit-Generations-TKI Nilotinib (ENESTnd ;[1]) bzw. Dasatinib (DASISION; [2]) belegen weiterhin, so Richard Larson, Chicago, bzw. Jorge Cortes, Houston, dass die neueren Sub-stanzen in den zugelassenen Dosen von zweimal 300 mg/d bzw. 100 mg/d im Vergleich zu 400 mg/d Imatinib signifikant höhere Raten an guten molekularen Remissionen (MMR oder MR3, d. h. BCR-ABL ≤ 0,1%) und an besonders tiefen molekularen Remissionen (MR4,5, d. h. BCR-ABL ≤ 0,0032%) gewährleisten sowie das Risiko einer Progression zu akzelerierter Phase bzw. Blastenkrise vermindern. In beiden Studien hatten in allen Armen die Patienten, bei denen die BCR-ABL-Konzentrationen nach drei Monaten auf unter 10% nach dem internationalen Standard abgefallen waren, nach sechs Jahren deutlich bessere Chancen, eine MR4,5, ein besseres progressionsfreies sowie ein besseres Gesamtüberleben zu erreichen als diejenigen, deren Titer nach drei Monaten noch über 10% gelegen hatten. Die Sicherheitsprofile beider Substanzen haben sich während der letzten Jahre kaum verändert; bei Dasatinib traten lediglich einige zusätzliche Fälle von Pleuraergüssen auf, die aber in den meisten Fällen vom Grad 1 oder 2 waren, und Ähnliches gilt für die 7-Jahres-Daten der Studie zur Zweitli-nientherapie [3]. Beide Medikamente sind daher als Standards in der Behandlung von Patienten mit neu diagnostizierter CML in der chronischen Phase anzusehen, so Larson bzw. Cortes.

Drittgenerations-TKI

Der Drittgenerations-TKI Bosutinib ist zugelassen bei Patienten, die zuvor mindestens einen anderen TKI erhalten haben und bei denen Imatinib, Nilotinib und Dasatinib nicht als geeignet angesehen werden. Aus einer Phase-I/II-Studie mit 119 solchen Patienten wurden in San Francisco von Carlo Gambacorti-Passerini, Monza, die 4-Jahres-Daten vorgestellt [4]. Rund drei Viertel der Patienten (76%) hatten nach vier Jahren die Behandlung beendet, jeder dritte von ihnen (24%) wegen Nebenwirkungen. Die Gesamtüberlebensrate nach vier Jahren lag bei 84%, die Rate an Transformationen (ausschließlich zur akzelerierten Phase) bei 4%. 24% der Patienten hatten nach den vier Jahren entweder eine bestätigte komplette hämatologische oder eine unbestätigte gute zytogenetische Remission verloren oder waren verstorben. Von den 26 Todesfällen (22%) beruhten zwölf auf einer Krankheitsprogression.
Der Drittgenerations-Inhibitor Ponatinib ist zugelassen für Patienten, die resistent gegenüber Dasatinib bzw. Nilotinib sind oder diese Medikamente nicht vertragen und die für eine anschließende Behandlung mit Imatinib klinisch nicht geeignet sind oder bei denen eine T315I-Mutation vorliegt. Diese Zulassung beruht auf der Phase-II-Studie PACE, zu der Martin Müller, Mannheim, eine Post-hoc-Analyse vorstellte [5]. Sie zeigt, dass ein frühes tiefes Ansprechen auf Ponatinib die Pro-gnose signifikant verbessert: Je besser etwa das molekulare Ansprechen nach drei und nach sechs Monaten, desto ausgeprägter der Vorteil beim progressionsfreien Überleben nach zwei Jahren. Bei Patienten mit einer MMR nach drei Monaten war nach zwei Jahren sogar der Vorsprung beim Gesamtüberleben signifikant (96% vs. 84%; p = 0,0402). Das bestätigt die Notwendigkeit, früh im Verlauf der Therapie das molekulare Ansprechen zu kontrollieren, weil es ein starker Prädiktor für die langfristige Prognose ist, so Müller.
Die Phase-III-Studie EPIC, mit der ursprünglich eine Zulassung für nicht vorbehandelte Patienten angestrebt worden war, musste wegen einer Häufung arterieller thromboembolischer Ereignisse abgebrochen werden. Die bisher verfügbaren Ergebnisse der Studie, an der auch eine Reihe deutscher Zentren beteiligt war, stellte Jeffrey Lipton, Toronto, vor [6]. Bezüglich der Wirksamkeit gegen die CML ist Ponatinib
(45 mg/d) der Vergleichssubstanz Imatinib (400 mg/d) klar überlegen: Nach drei Monaten wiesen 94% der mit Ponatinib, aber nur 68% der mit Imatinib therapierten Patienten BCR-ABL-Konzentrationen < 10% auf (p < 0,001). Auch das molekulare Ansprechen war zu allen untersuchten Zeitpunkten (nach drei, sechs, neun und zwölf Monaten) mit dem Drittgenerations-Inhibitor deutlich besser: Unter Ponatinib erzielten irgendwann im Verlauf des Jahres 41% der Patienten eine MMR, 21% eine MR4 und 15% eine MR4,5, unter Imatinib waren es lediglich 18%, 1% bzw. 0%. Allerdings gab es unter Ponatinib mehr und schwerere Nebenwirkungen, insbesondere 7% vs. 0,7% schwere arterielle thrombotische Ereignisse. Dabei zeigte sich allerdings auch, dass zehn der elf mit Ponatinib und zwei der drei mit Imatinib behandelten Patienten, bei denen solche Ereignisse aufgetreten waren, mindestens einen kardiovaskulären Risikofaktor aufgewiesen hatten. Der Abbruch der Studie hat die weitere Entwicklung der Substanz gestoppt, aber angesichts der guten Wirksamkeit wäre es schade, sie ganz aufzugeben. Derzeit ist eine Dosisfindungs-Studie bei therapierefraktären Patienten geplant, um Nutzen und Risiken bei alternativen Dosierungsregimes auszuloten. Aus den bisher verfügbaren Daten lässt sich rechnerisch folgern, dass sich durch eine Dosisreduktion auch das Risiko für arterielle Thrombosen deutlich reduzieren müsste, ohne dass die Wirksamkeit eingeschränkt wird.

Neues zu Absetzstudien: STOP 2G-TKI

Nachdem die französische STIM-Studie (STop IMatinib) gezeigt hatte, dass die Chance für längerfristige tiefe molekulare Remissionen nach Absetzen von Imatinib bei ungefähr 40% liegt ([7]; in der australischen TWISTER-Studie waren es 47% [8]), ist mittlerweile eine Reihe weiterer Absetzstudien angelaufen, zu denen Ergebnisse vorgestellt wurden. Aus Frankreich berichtete Delphine Rea, Poitiers, von der STOP 2G-TKI-Studie [9]: Patienten mussten, um in die Studie aufgenommen zu werden, mindestens drei Jahre lang einen TKI eingenommen (zuletzt eine Zweitgenerations-Substanz) und darunter wenigstens während der letzten zwei Jahre eine anhaltende MR4,5 gezeigt haben. Primärer Endpunkt war das therapiefreie Überleben ohne den Verlust einer guten molekularen Remission, d. h. es musste mindestens eine MMR (bzw. MR3) aufrechterhalten werden, sonst wurde die TKI-Therapie wieder aufgenommen.
Von 52 Patienten, die bisher wenigstens ein Jahr nach Absetzen der Therapie nachbeobachtet wurden, waren nach zwölf Monaten noch 59,6%, nach 24 Monaten 57,4% mindestens in einer MMR. Die überwiegende Mehrzahl der MMR-Verluste trat innerhalb der ersten sechs Monate nach dem Absetzen auf, und alle diese Patienten erreichten unter erneuter TKI-Therapie nach median zwei bzw. vier Monaten wieder eine MMR bzw. eine MR4,5. Patienten, die zunächst Imatinib erhalten, darauf suboptimal (nach den ELN-Guidelines) angesprochen und daraufhin einen Zweitgenerations-TKI bekommen hatten, hatten signifikant geringere Chancen, nach dessen Absetzen eine therapiefreie Remission zu halten (p = 0,04).
Als prädiktiver Marker für eine anhaltende therapiefreie Remission zeichnet sich die Tiefe der Remission drei Monate nach Absetzen der Behandlung ab: Patienten, die nach drei Monaten immer noch eine MR4,5 aufgewiesen hatten, konnten diese zu 93,3% auch nach zwölf Monaten noch halten, bei den übrigen waren es lediglich 30%
(p = 0,000007). Keiner der Patienten zeigte eine Progression, so Frau Rea, der einzige Todesfall im Studienkollektiv war nicht durch die CML bedingt.

EURO SKI

Ein weiteres sehr ambitioniertes Projekt zur therapiefreien Remission bei der CML ist die paneuropäische EURO-SKI-Studie, die Francois-Xavier Mahon, Bordeaux, vorstellte [10]. Primäres Ziel der Studie ist es, prognostische Marker zu finden, mit denen sich Patienten identifizieren lassen, die die besten Chancen haben, nach dem Absetzen eines TKI in einer dauerhaften tiefen Remission zu bleiben. Die Patienten mussten hier, um aufgenommen zu werden, mindestens drei Jahre lang Erst- oder Zweitgenerations-TKI erhalten haben (97% hatten zumindest anfänglich Imatinib eingenommen), und sie mussten mindestens ein Jahr lang in einer anhaltenden MR4 gewesen sein (im Median waren es 5,4 Jahre).
Eine Interimsanalyse der ersten 200 auswertbaren Patienten zeigt, so Mahon, dass nach sechs Monaten 123 Patienten (61,5%) rezidivfrei waren (d. h. noch mindestens in einer MMR) – das sind deutlich und hochsignifikant mehr als die angepeilten mindestens 40% – eine Marke, die durch die STIM-Studie vorgegeben worden war (p < 0,0001). Das Risiko für ein Rezidiv war deutlich größer, wenn die TKI-Therapie kürzer als acht Jahre gedauert hatte (47% vs. 26%; p = 0,005), ein Befund, der sich ähnlich auch bereits in der STIM-Studie gezeigt hatte. Hingegen schien es keinen Unterschied zu machen, ob die Patienten vor dem Absetzen der Therapie eine MR4, eine MR4,5 oder eine MR5 gehabt hatten, d. h. die Dauer der molekularen Remission scheint größere Bedeutung zu haben als ihre exakte Tiefe.
Eine separate Analyse ergab, so Mahon, dass, wenn man die Kosten für Imatinib in Europa zugrunde legte, es im Rahmen der Studie zu Einsparungen von insgesamt rund sieben Millionen Euro gekommen war.

Remissionstiefe nach drei Jahren unter Imatinib wichtig

Um sich für die Teilnahme an einer Absetzstudie zu qualifizieren, muss ein CML-Patient mindestens drei Jahre lang einen BCR-ABL-Inhibitor eingenommen und – je nach Studie – eine anhaltende MR4 oder MR4,5 erreicht haben. Bisher war nicht bekannt, wie groß die Chancen dafür für Patienten sind, die unter Imatinib nach drei Jahren noch keine tiefe molekulare Remission erzielt haben. Australische Kollegen haben das an einem Kollektiv von 147 Patienten untersucht, die nach drei Jahren Imatinib wenigstens eine komplette zytogenetische Remission (< 1% BCR-ABL), aber keine MR4,5 erreicht hatten, aber mindestens sechs Monate weiter mit Imatinib behandelt worden waren [11]. Die meisten Patienten, die nach drei Jahren eine MR3 aufgewiesen hatten, so Susan Branford, Adelaide, hatten nach fünf weiteren Jahren Imatinib eine MR4,5 erreicht (61%), von denen mit einer MR4 nach drei Jahren waren es sogar 88%. Umgekehrt traf das aber nur für 11% aller Patienten zu, die nach drei Jahren weniger als eine MR3 vorzuweisen hatten. Das ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass bei Patienten, die nach drei Jahren Behandlung mit Imatinib immer noch keine gute molekulare Remission erreicht haben, spätestens dann ein Therapiewechsel zu einem Zweitgenerations-TKI angezeigt ist.


Literatur
1. Larson RA. ASH 2014, Abstract #4541.
2. Cortes JE et al. ASH 2014, Abstract #152.
3. Shah NP et al. ASH 2014, Abstract #520.
4. Gambacorti-Passerini C et al. ASH 2014, Abstract #4559.
5. Müller MC et al. ASH 2014, Abstract #518.
6. Lipton JH et al. ASH 2014, Abstract #519.
7. Mahon FX et al. Lancet Oncol 2010; 11: 1029-35.
8. Ross DM et al. Blood 2013; 122: 515-22.
9. Rea D et al. ASH 2014, Abstract #811.
10. Mahon FX et al. ASH 2014, Abstract #151.
11. Branford S et al. ASH 2014, Abstract #4561.