Nicht-kleinzelliges Lungenkarzinom

Editorial

 

Maligne Tumoren der Lunge gehören nach wie vor zu den häufigsten Krebserkrankungen in den westlichen Industriestaaten; der größte Teil davon entfällt auf das nicht-kleinzellige Lungenkarzinom (NSCLC), auf das sich die Beiträge in diesem Heft konzentrieren. Die vergleichsweise wenigen Patienten, deren Erkrankung in einem frühen Stadium, d. h. in lokoregionärer Begrenzung, diagnostiziert wird, haben relative gute Chancen auf Heilung. Hierbei spielt die Chirurgie eine herausragende Rolle (siehe Artikel Hoffmann), wobei für die Prognose die Radikalität der Operation sowie das T- und N-Stadium entscheidend sind. Aber auch die Radiotherapie kann in manchen Fällen eine Alternative sein, zumal moderne Bestrahlungstechniken mit bemerkenswert wenig Toxizität einhergehen (siehe Artikel Willborn). Die Indikationsstellung wird komplexer und die Prognose schlechter, wenn sich der Tumor bereits im Stadium IIIA befindet; hier kommen multimodale Therapiekonzepte zum Einsatz, häufig mit postoperativer, in manchen Fällen auch mit neoadjuvanter Bestrahlung. Bei Inoperabilität im Stadium III ist die definitive Radiochemotherapie ein Standard.

Abgesehen von wenigen Patienten mit einer Oligometastasierung in Nebennieren und/oder Gehirn, wo eine operative/radiochirurgische Metastasenresektion sinnvoll sein kann, ist die Therapie des metastasierten NSCLC in der Regel rein palliativ – aber hier hat sich in den letzten Jahren ein geradezu spektakulärer Aufbruch vollzogen. War bis vor wenigen Jahren die Histologie (v. a. Plattenepithel- versus Nicht-Plattenepithelkarzinom) maßgeblich für die Therapieentscheidung, ist das Bild mittlerweile sehr viel komplexer geworden: Mit modernsten Methoden treiben große Konsortien von Wissenschaftlern molekulargenetische Analysen an großen Patientenkollektiven voran, durch die eine komplexe Landschaft von Mutationen und Translokationen erkennbar wird. Diese „Treiber“-Mutationen, die jeweils kleinere oder größere Teilkollektive der Patienten mit NSCLC definieren, sind für das maligne Wachstum des Tumors verantwortlich (s. Artikel Tiemann et al.). Das ist „work in progress“, und eine Darstellung wie in diesem Heft kann daher immer nur ein augenblicklicher „Schnappschuss“ sein, der bei Drucklegung beinahe schon wieder der Aktualisierung bedürfte.

Patienten, bei denen sich keine der genannten Treiber-Mutationen im Tumor finden, werden nach wie vor mit Chemotherapie behandelt, die im Falle eines Adenokarzinoms durch den antiangiogenetischen Antikörper Bevacizumab ergänzt werden kann (s. Artikel Ahrens und Sebastian). Die Treiber-Mutationen betreffen überwiegend Proteine – meist Kinasen – in Signaltransduktionskaskaden, und für einige dieser Subgruppen (Patienten mit aktivierenden Mutationen im EGFR-Gen, ALK-Inversionen/-Translokationen sowie ROS1-Translokationen) stehen neben der Chemotherapie derzeit zielgerichtete Therapien etwa mit Tyrosinkinase­inhibitoren (TKI) zur Verfügung. Durch den Einsatz solcher molekular stratifizierter Therapien haben sich Ansprechen, progressionsfreies Überleben, Lebensqualität sowie Symptomkontrolle bei diesen Patienten verbessert. In der Regel stellen sich nach einiger Zeit Resistenzen gegen diese Therapien ein, aber das Feld (siehe oben) ist in raschem Fluss: Derzeit befinden sich bereits Drittgenerations-TKI in der klinischen Entwicklung, die gezielt Resistenzmechanismen gegen Erst- und Zweitgenerations-TKI auszuschalten suchen.

Im Einzelnen sind diese Zusammenhänge in den Artikeln von Tiemann et al. und von Griesinger dargestellt; besonders betont werden soll hier, dass die vielleicht größte Herausforderung darin besteht, diese Stratifizierung in der täglichen onkologischen Praxis auch umzusetzen. Weil diese molekulargenetisch begründeten Therapien nur jeweils relativ wenigen Patienten nützen, deren Tumoren die entsprechenden genetischen Determinanten tragen, sollte heute bei allen Patienten mit Nicht-Plattenepithelkarzinomen sowie bei solchen mit Plattenepithelkarzinomen, die nie oder nur leicht geraucht haben, in dem Moment, in dem die Indikation für eine systemische palliative Therapie gestellt wird, eine Testung auf molekulare Marker erfolgen: Nur so können diejenigen Patienten identifiziert werden, die deutlich von den neuen Therapien profitieren werden. Das stellt hohe Anforderungen an die Logistik der Zusammenarbeit zwischen Pathologie und therapierenden Ärzten: Patienten, bei denen ein fortgeschrittener Lungentumor dia­gnostiziert wurde, erwarten die unverzügliche Einleitung einer entsprechenden Therapie. Ihr Verständnis dafür, dass bei Kenntnis der pathologischen Ergebnisse eine bessere Therapie möglich wird, setzt voraus, dass diese Ergebnisse baldmöglichst vorliegen.

 

Frank Griesinger, Oldenburg