Das Altern ist unbestreitbar der größte Risikofaktor für eine Reihe schwerwiegender Krankheiten, allen voran Krebs. Angesichts der weltweit steigenden Lebenserwartung wird die Herausforderung, altersbedingte Erkrankungen zu behandeln, immer drängender. Die Geromedizin – ein aufstrebendes Feld, das sich mit den biologischen Prozessen des Alterns beschäftigt – bietet möglicherweise einen breiteren Ansatz der Krebsprävention und -therapie.
Das Altern selbst als behandelbares Ziel
Bisher konzentrierte sich die Onkologie primär auf die Behandlung der Tumoren – ihre chirurgische Entfernung, ihre Zerstörung durch Chemo- oder Strahlentherapie oder gezielte molekulare Therapien. Die Geromedizin betrachtet nun das Altern selbst als therapierbares Ziel.
Die Mechanismen, mithilfe derer sich die Körperzellen und Gewebe selbst reparieren und regenerieren, funktionieren im Laufe des Lebens immer weniger gut. Die Moleküle wie Nukleinsäuren, Proteine und Lipide sind dem Stoffwechsel und Umwelteinflüssen ausgesetzt – und benötigen Reparatur oder müssen ersetzt werden. Im Alterungsprozess häufen sich jedoch Schäden an DNA, Zellen und Geweben an und können nicht mehr rückgängig gemacht werden. Die Folge sind ein altersbedingter Funktionsverlust. Statt Krankheiten isoliert zu behandeln, setzt die Geromedizin nun an den grundlegenden Mechanismen des Alterns, den sogenannten Hallmarks of Aging, an. Damit soll die Entstehung von vielen altersbedingten Erkrankungen – also neben Krebs auch Demenz oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen – parallel verhindert oder verzögert werden, um die gesunde Lebenserwartung (Healthspan) zu verlängern.
Kennzeichen des Alterns
Was sind die Kennzeichen des Alterns? Laut dem Max-Planck-Institut für die Biologie des Alterns gehören dazu:
- genomische Instabilität mit der Anhäufung von DNA-Schäden, die das Risiko für Tumorwachstum erhöht und die Zellfunktion vermindert oder sogar zur Seneszenz führt;
- Verschleiß der Telomere lässt Zellen absterben oder in Seneszenz gehen, was wiederum Entzündungen fördert;
- Verlust der Proteostase, was die Anhäufung von geschädigten und nicht funktionsfähigen Proteinen nach sich zieht;
- epigenetische Veränderungen, die die Genregulation beeinflussen können;
- gestörte Wahrnehmung von Nährstoffen, wobei eine Ernährungsrestriktion die Lebensspanne paradoxerweise sogar verlängert;
- mitochondriale Fehlfunktion zum Beispiel aufgrund Mutationen in der mitochondrialen DNA;
- zelluläre Seneszenz mit dem Verlust der ursprünglichen Funktion und der Freisetzung schädlicher Moleküle;
- Erschöpfung der Stammzellen, was die Fähigkeit zur Reparation von Organschäden vermindert;
- Veränderung der interzellulären Kommunikation;
- beeinträchtigte Autophagie: reduziert das Recyclingsystem der Zelle, weshalb sich vermehrt nicht mehr benötigte oder beschädigte Proteine und Zellbestandteile ansammeln;
- chronische Entzündung nimmt zu (sogenanntes Inflammaging);
- gestörte Darmflora (Dysbiose): das Mikrobiom älterer Menschen ist meist weniger komplex und durch mehr pathogene Bakterien gekennzeichnet.
Aufruf zum Paradigmenwechsel in der Medizin
Im Juni 2025 hat die Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften das Diskussionspapier „Konzepte für eine neue Medizin in einer alternden Gesellschaft – Perspektiven für Forschung und medizinische Versorgung“ herausgegeben [1]. Darin schlagen die beteiligten Wissenschaftler einen Paradigmenwechsel in Forschung und Medizin vor – von der Behandlung altersbedingter Erkrankungen hin zur Erforschung der biologischen Prozesse des Alterns, um die Gesundheit im Alterungsprozess zu erhalten und altersbedingte Krankheiten zu reduzieren (Geroprotektion).
Die Autoren des Diskussionspapiers empfehlen, in Deutschland ein interdisziplinäres Forschungskonsortium zu gründen. Es soll das Fachwissen in der Alterungsbiologie und der Systembiologie zusammenführen und die Möglichkeit bieten, Forschungsdaten von Modellorganismen mit humanen Daten wie Bioproben und Patientendaten zu verbinden – in einer nationalen Biodatenbank mit Multi-Omics-Daten (kombinierte biologische Daten aus verschiedenen Ebenen wie DNA, RNA und Proteinen). Dann könnte es nach Meinung der Experten möglich sein, Biomarker für das Altern zu entwickeln, um Auskunft über das biologische Alter des Menschen zu geben und entsprechende präventive Maßnahmen zu ergreifen.
Auf der Suche nach Geroprotektoren
Weiterhin sei die pharmakologische Behandlung des Alterns ein Ziel. Einige Medikamente seien schon als Geroprotektoren identifiziert worden (z. B. zur Behandlung von Bluthochdruck oder Typ-2-Diabetes), weitere Arzneimittel sollten nun auf ihr geroprotektives Potenzial hin gestestet werden. Tatsächlich haben Forschende des Max-Planck-Instituts für Biologie des Alterns kürzlich entdeckt, dass die Kombination der beiden Krebsmedikamente Rapamycin und Trametinib die Lebensdauer von Mäusen signifikant um 30 % verlängern kann [2]. Die Einzelwirkung der beiden Wirkstoffe war jeweils wesentlich geringer. Zudem wiesen die behandelten Mäuse weniger chronische Entzündungen auf als gesunde Kontrollmäuse. Darüber hinaus verzögerte sich die Krebsentstehung und -entwicklung: Männliche Mäuse wiesen seltener Milztumoren und Mäuse beider Geschlechter weniger Lebertumoren auf.
Rapamycin und Trametinib wirken auf verschiedene Stellen im Ras/Insulin/TOR-Netzwerk ein, das eine zentrale Rolle in der Zellalterung spielt. Trametinib hemmt den Ras-MEK-ERK-Signalweg, und Rapamycin blockiert den mTORC1-Signalweg. Letzteres war bereits zuvor als Geroprotektor bekannt, der die Lebensdauer von Tieren verlängern kann. Die Forschenden mutmaßen, dass die Kombination der Medikamente die Aktivität der Gene anders beeinflusst, als es durch die Einzelgabe möglich ist. Humane klinische Studien zu dieser Substanzkombination müssen deren gemeinsame geroprotektive Wirkung jedoch erst noch bestätige