„Ich wünsche uns allen von Herzen, dass wir in diesem Trubel, in diesem Alltag, in diesem System – das oft schwierig ist – in der Dramatik dessen, was uns begegnet, lernen, auf uns selbst aufzupassen. So werden wir nicht nur widerstandsfähiger, sondern auch resilienter“, wünschte Dr. Caroline Bialon, Fachärztin für Allgemeinmedizin, Naturheilverfahren und Psychotherapie aus Kirchheim beim 132. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM 2025) in Wiesbaden ihren ärztlichen Kolleginnen und Kollegen. Ihrer Meinung nach ist Resilienz eine erlernbare Fähigkeit, die ein wesentlicher Aspekt von tragfähiger Gesundheit und Zufriedenheit ist.
Und nicht nur das: Laut Prof. Jan Galle, Vorsitzender der DGIM 2024/2025, ist Resilienz die Fähigkeit des Gesundheitssystems und seiner Beschäftigten, auch unter großem Druck funktionsfähig zu bleiben und sich anzupassen. „Resilienz ist wichtig, da im Gesundheitswesen trotz aller Krisen, Belastungen und Veränderungen eine gleichbleibend hohe Versorgungsqualität sichergestellt werden muss“, erklärte er. Insbesondere medizinisches Personal müsse äußerst resilient sein, da es in besonderem Maße Stressoren wie Reformen der Krankenhausstrukturen, einer zunehmenden Ambulantisierung bei gleichzeitigem Fachkräftemangel, Finanzierungsengpässen und nicht zuletzt den berechtigten Erwartungen der Patienten ausgeliefert sei.
Zum einen könnten Arbeitgeber eine offene Feedbackkultur und Raum für konstruktiven Dialog schaffen. Zum anderen bedeute Resilienz, dass die Mitarbeitenden Schutzmechanismen entwickeln, um im Gesundheitswesen nicht selbst an den Arbeitsbedingungen und dem allgegenwärtigen Stress zu erkranken. Dementsprechend stand auch der DGIM 2025 unter dem Motto „Resilienz – sich und andere stärken“.
Doch wie lässt sich die Resilienz für jeden Einzelnen erreichen?
Der Begriff Resilienz stammt ursprünglich aus der Physik und bezeichnet die Fähigkeit eines Materials – wie zum Beispiel einer Feder oder eines Gummiballs –, sich zu verformen und nach der Einwirkung äußerer Kräfte in seine ursprüngliche Form zurückzukehren. Bei einer dauerhaften Überbelastung kann das Material jedoch auch bersten. „Resilienz ist nicht geeignet, um ein ausoptimiertes System weiter auszureizen“, warnte deshalb Bialon. „Resilienz ist eine Lebenseinstellung, die das Leben leichter machen kann. Wer resilient ist, kann sich von Belastungen oder Traumata erholen und wirksam auf Veränderungen reagieren“, erklärte sie.
Die sieben Säulen der Resilienz
Die Resilienz ruht Bialons Ausführungen zufolge auf sieben Säulen, die jeder Mensch für sich aufbauen oder verstärken kann. „Der wichtigste Schritt ist es, vom Opfer der Umstände zum Handelnden im eigenen Leben zu werden“, beschrieb Bialon die erste Säule – das Verlassen der Opferrolle, das Entrinnen des Gefühls der Hilflosigkeit.
Verantwortung für das eigene Leben
Die zweite Säule fordert die Verantwortungsübernahme für das eigene Leben – Stück für Stück. Damit sei kein „selbst schuld“ gemeint, sondern die Art und Weise, wie der Einzelne mit den Herausforderungen und Freuden des Lebens umgehe, stellte sie klar. Denn die Auswirkungen von oft unabänderlichen äußeren Umständen auf Gesundheit, Wohlbefinden und die eigene Entwicklung seien von der Art abhängig, wie das einzelne Ereignis gewertet und weiterverarbeitet wird.
Klare und positive Zukunftspläne
Um die Verantwortung für sein Leben zu übernehmen, brauche es klare, positive Zukunftspläne im Sinne von „Hin-zu-Zielen“ statt „Weg-von-Zielen“. Wichtig sei dabei: „Ein Bild unserer Zukunft, das sich in Bezug auf unsere beruflichen Ziele, aber auch auf unsere privaten Wünsche stimmig anfühlt – das können wir viel wahrscheinlicher und dabei auch leichter erreichen“, empfahl Bialon.
Optimismus
Eine essenzielle Säule zum Erreichen der selbstgesteckten Ziele sei der Optimismus. „Wenn wir uns auf positive Emotionen wie Dankbarkeit, Zufriedenheit und Wohlwollen ausrichten, dann fallen uns im Alltag viel mehr Situationen auf, für die wir dankbar sein können“, motivierte sie.
Akzeptanz und Lösungsorientierung
Eine weitere Säule der Resilienz ist die Akzeptanz, also die Situation wahrnehmen und annehmen. Dies bedeute aber nicht, dass man die Situation gut finden oder so belassen müsse, erklärte die Psychotherapeutin. „Auch die Medizin lebt von praktischer Akzeptanz: Ohne Diagnose ist die adäquate Therapie schwierig.“
Das Gleiche gilt für die Resilienz: Auf die Akzeptanz folgt die nächste Säule, nämlich die Lösungsorientierung. „Wenn ich weiß, wohin ich möchte und was ich dazu beitragen kann, wenn ich optimistisch genug ausgerichtet bin, um in eine positive Richtung zu gehen – dann sind die Chancen hoch, dass auch eine gute Lösung erreicht werden kann, selbst wenn ich unterwegs Rückschläge erlebe. Bringen Sie Geduld und Beharrlichkeit mit, denn uns Menschen bekommen langsame Veränderungen viel besser als große Sprünge“, erklärte Bialon.
Beziehungen nutzen
Die letzte Säule der Resilienz fordert dazu auf, Beziehungen zu nutzen. „Zum dauerhaften Glück brauchen wir externe Gratifikationsquellen, also Ausgleichsmöglichkeiten außerhalb des Berufs wie Familie, Freunde, Hobbys oder auch außerberufliches Engagement. Wenn wir spüren, dass wir auch über den Beruf hinaus wichtig und wertgeschätzt sind, dann ist das wohltuend, und das macht uns zufriedener“, fasste Bialon zusammen.
Selbstreflexion und Achtsamkeit
Um die sieben Säulen im Alltag zu verankern, seien außerdem Selbstreflexion und Achtsamkeit entscheidend. Hierfür empfahl Bialon, immer wieder nachzuprüfen, ob der Weg noch stimmt, gegebenenfalls nachzujustieren und großzügig mit sich selbst zu sein. Daneben würden geführte Achtsamkeitsmeditationen helfen. „Dann kann ich auch im beruflichen Alltag meinen Fokus ausrichten auf das, was ich mir wünsche – wie beispielsweise Optimismus oder Lösungsorientierung“, meinte sie.
Psychische Flexibilität mit Akzeptanz und Commitment
Bialon erhofft sich eine gestärkte Resilienz im Ärztekollegium: „Auf diese Weise leben wir nicht nur selbst langfristig gesund und zufrieden, sondern können damit auch für die Menschen da sein, die uns wichtig sind – unsere Familie, unsere Freunde, aber auch unsere Patientinnen und Patienten.“ So erfordere eine Krebsdiagnose eine enorme psychische Flexibilität und Resilienz, da die Krebspatienten mit schwerwiegenden biopsychosozialen Belastungsfaktoren konfrontiert seien, die die Lebensqualität stark einschränkten, wie PD Dr. phil. Dipl.-Psych. Christina Sauer, Frankfurt/Main, beim DGIM 2025 darstellte. „Es braucht psychoonkologische, resilienzfördernde Interventionen, die wirksam die psychische Flexibilität steigern. Dazu gehört die Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT)“, erklärte die Psychoonkologin.
Krebs als Teil des Lebens akzeptieren
ACT in der Psychoonkologie beruhe auf der Grundannahme, dass Schmerz, Leid und Erkrankung Teil unseres menschlichen Lebens (primäres Leid) seien und damit verbundene Gefühle wie Ängste und Traurigkeit nicht vermieden werden könnten. Allerdings könne das sekundäre Leid gemindert werden, das entstehe, wenn man mittels Vermeidung und Kontrolle durch zum Beispiel krampfhaftes Positivdenken in das primäre Leid einzugreifen versuche. „Mit der ACT strebt man an, mittels Metaphern und spezifischen Übungen den Gefühlen Raum zu verschaffen, um in diese Prozesse des Vermeidens und in kognitive Kontrollbemühungen einzugreifen – mit dem Ziel, die psychische Flexibilität zu steigern“, erläuterte sie.
Das Leben werteorientiert ausrichten
Achtsamkeit und Akzeptanz (bezüglich Emotionen, Gedanken und körperlichen Empfindungen) würden betont bei gleichzeitiger werteorientierter Lebensausrichtung. „Die Krebserkrankung kann zu einer Neupriorisierung von Lebenswerten kommen. Die ACT hilft dabei, sich dessen bewusst zu werden und dies im Alltag auch umzusetzen (Commitment)“, stellte Sauer das Konzept vor.
Eine akzeptierende Haltung gegenüber einer Erkrankung sei mit einer geringeren psychischen Belastung und einer höheren Resilienz verbunden. So würden Metaanalysen zeigen, dass ACT den psychischen Distress und die Depressivität senken und daraufhin die Lebensqualität von onkologischen Patienten steigern könne. Einen Versuch ist es auf jeden Fall wert.