Interview mit Prof. Evangelos Terpos, Nationale und Kapodistrias-Universität Athen
Selinexor + Vd ermöglicht doppelten Substanzklassenwechsel beim rezidivierten oder refraktären multiplen Myelom
Selinexor hat durch einen einzigartigen Wirkmechanismus entscheidende Vorteile in der Therapie des rezidivierten oder refraktären multiplen Myeloms (r/r MM). Als Exportin-1(XPO-1)-Inhibitor blockiert es den Proteintransport vom Zellkern in das Zytoplasma, wodurch Überleben und Wachstum der Myelomzellen reduziert werden. Selinexor kann in Kombination mit Bortezomib und Dexamethason (SVd) bei Patienten eingesetzt werden, die eine Vortherapie erhalten haben.
Was sind für Sie die wichtigsten Erkenntnisse der BOSTON-Studie?

Prof. Evangelos Terpos
Nationale und Kapodistrias-Universität Athen
Terpos: Die randomisierte, offene, aktiv kontrollierte Phase-3-Studie BOSTON zeigte, dass SVd bei Patienten mit ein bis drei Vortherapien ein signifikant längeres progressionsfreies Überleben (PFS) von 13,2 Monaten im Vergleich zu Bortezomib und Dexamethason (Vd) mit 9,5 Monaten bietet [1]. Ebenso waren die Ergebnisse in der Subgruppe der Patienten mit einem hohen Risiko sehr gut [1]. Bemerkenswert ist, dass im SVd- im Vergleich zum Kontrollarm eine reduzierte Vd-Dosis eingesetzt wurde, dass ein Drittel der Patienten Lenalidomid-refraktär war und dass 6 % Daratumumab-vorbehandelt waren [1]. Das macht SVd zu einer Kombination, die bei Lenalidomid- und Daratumumab-vorbehandelten Patienten leicht eingesetzt werden kann.
Prof. Terpos, welche Auswirkungen hatte die Zulassung von Selinexor für Ihre tägliche Praxis?
Terpos: In der Therapie des MM besteht aktuell der größte medizinische Bedarf bei Patienten mit einem Progress unter der Therapie mit CD38-Antikörpern wie Daratumumab oder immunmodulatorischen Substanzen (IMiDs) wie Lenalidomid. Mit SVd, Kd (Carfilzomib, Dexamethason) und PVd (Pomalidomid, Bortezomib, Dexamethason) gibt es aktuell nur drei zugelassene Therapien, die laut ESMO-Leitlinien in diesem Setting als Zweitlinientherapie empfohlen werden [2]. SVd ist die einzige Kombination, die einen doppelten Substanzklassenwechsel ermöglicht. Auch wenn der direkte Vergleich zwischen Studien natürlich nicht korrekt ist, deutete eine aktuelle Netzwerk-Metaanalyse darauf hin, dass SVd bei Lenalidomid-refraktären Patienten nach ein bis drei Vortherapien hinsichtlich des PFS bessere Ergebnisse liefert im Vergleich zu PVd oder Kd [3]. Für mich scheint es somit sehr logisch, Selinexor, einen Proteasom-Inhibitor und Dexamethason einzusetzen, insbesondere weil bispezifische Antikörper in dieser Situation in den frühen Linien nicht überall zugelassen sind. Zusätzlich ist SVd nicht kontraindiziert, sollte der Patient später für eine CAR-T-Therapie infrage kommen.
Was ist bei besonders schwer behandelbaren Patienten zu beachten?
Terpos: In unserer Klinik haben wir bei circa 170 Patienten Erfahrungen mit Selinexor gesammelt, sowohl in klinischen Studien als auch außerhalb. Viele Patienten sind für klinische Studien aufgrund von Komorbiditäten wie Nieren- und Herzprobleme, Diabetes oder Hypertonie nicht geeignet – und auch hier ist Selinexor eine gute Option. Abgesehen von der gastrointestinalen Toxizität, die handhabbar ist, stellt Selinexor eine eher sichere Substanz dar.
Prof. Terpos, Sie haben eben die gastrointestinalen Effekte angesprochen. Was empfehlen Sie hinsichtlich eines guten Managements?
Terpos: Durch Anpassen der Selinexor-Dosierung an die Toxizität können wir die Patienten auf Therapie halten. Laut einer Post-hoc-Auswertung der Boston-Studie konnten Patienten mit einer niedrigeren Dosierung als 100 mg/Woche von einem längeren PFS profitieren [4]. Ich empfehle eine sehr effektive Antiemese von Anfang an. Wir verwenden eine Kombination aus Palonosetron und Netupitant in Form einer einmal wöchentlichen Tablette. Falls dies nicht reicht, setzen wir Olanzapin ein.
Was wären Ihre persönlichen Empfehlungen für Hämatologen, die mit Selinexor starten möchten?
Terpos: Selinexor in Kombination mit Vd ermöglicht Ihren Patienten einen doppelten Substanzklassenwechsel nach DRd. Ich empfehle, die Selinexor-Dosis an bestehende Komorbiditäten und die Körperoberfläche anzupassen (60–80 mg/Woche)*. Eine weitere Empfehlung ist, keine Angst vor den gastrointestinalen Nebenwirkungen von Selinexor zu haben. Dieses Problem wurde hauptsächlich bei viel höheren Dosierungen beobachtet.
Das Interview führte Dr. med. Christian Bruer.
* Dosierung laut Fachinformation von Selinexor in der Kombination SVd:
Selinexor Anfangsdosis 100 mg oral 1x/Woche (Dosis sollte 70 mg/m2 pro Dosis nicht überschreiten).