Therapie IgE-vermittelter Allergien: Status quo und neue Perspektiven

DOI: https://doi.org/10.47184/ti.2021.04.02

IgE-vermittelte Allergien wie Pollen-, Hausstaubmilben-, Nahrungsmittel- oder Insektengiftallergien haben bei einer Prävalenz von mehr als 30 % inzwischen ungemein hohe Ausmaße erreicht. Die Allergen-Immuntherapie (AIT) ist die einzige kausale Therapie, die durch Induktion unterschiedlicher immunologischer Parameter wie tolerogener dendritischer Zellen, regulatorischer T- und B-Zellen sowie humoraler Faktoren eine klinische Allergentoleranz zur Folge hat. Allerdings zeigt sie ein variables Ansprechen in Abhängigkeit vom auslösenden Allergen und der jeweiligen Krankheitsmanifestation, kann zu schwerwiegenden anaphylaktischen Reaktionen führen und ist nicht immer von anhaltender Effizienz. Behandlungsperspektiven beinhalten neue Applikationsformen und Allergenpräparate sowie alternative Verfahren wie die Administration allergenblockierender Immunglobuline.

Schlüsselwörter: IgE, Allergie, Allergen-Immuntherapie, blockierende Antikörper

110 Jahre – ein Alter, in dem man stolz auf das Erreichte blickt und sich zur Ruhe setzt, um neuen Entwicklungen Platz zu machen  oder eher ein Zeitpunkt, um den erworbenen Erfahrungsschatz für eine Fortschreibung der eigenen Erfolgsgeschichte weiterzureichen? Vor dieser Frage steht die Allergen-Immuntherapie (AIT), auch Hyposensibilisierung oder spezifische Immuntherapie genannt, die letztes Jahr ihren 110. Geburtstag feierte. 1911 publizierte Noon die Ergebnisse einer ebenso simplen wie gleichzeitig bahnbrechenden Studie, in der die konjunktivale Reaktion von Gräserpollenallergikern untersucht wurde, nachdem diese repetitive Injektionen eines aus den Pollen hergestellten Extrakts erhalten hatten. Es konnte gezeigt werden, dass dieses Verfahren zu einer signifikanten Abnahme der klinischen Beschwerden und somit zur Ausbildung einer Toleranz führte – das war die offizielle Geburtsstunde der AIT [1].

Allergen-Immuntherapie: Status quo

Nach vielfältigen Modifikationen und überzeugenden Ergebnissen in standardisierten, randomisierten, doppelblind-plazebokontrollierten Studien stellt die AIT heute ein gut etabliertes und weltweit angewandtes Verfahren zur Therapie IgE-vermittelter Allergien dar. Sie wird in unterschiedlichen Formen und Variationen – als subkutan injizierte, sublinguale oder orale Applikation, als natives Allergen oder Allergoid (chemisch modifiziertes Allergen, dessen IgE-bindende B-Zell-epitope maskiert sind [2]), in Kombination mit unterschiedlichen Adjuvantien oder gekoppelt an Depotstoffe eingesetzt. Zu den Anwendungsbereichen zählen die Pollen-, Hausstaubmilben-, Insektengift- oder – wie im Falle der unlängst durch die FDA und EMA zugelassenen ersten oralen AIT für die Erdnussallergie [3] – Nahrungsmittelallergien [4]. Im Vergleich zu anderen, symptomatisch wirksamen Arzneimitteln wie den Antihistaminika und organspezifisch eingesetzten Kortikosteroiden ist die AIT die einzig kausal wirksame Therapieform, die zudem einen (lang) anhaltenden Effekt verspricht. Die klinische Effektivität unterscheidet sich in Abhängigkeit vom Allergen oder dessen Applikation, so liegen diese am höchsten mit zumeist lang andauernder Persistenz für die subkutane AIT der Insektengiftallergie, während die orale Therapie bei Erdnussallergen i. d. R. nur zu einer an die fortgesetzte Einnahme gebundenen Toleranzinduktion führt [5].
Nicht nur bei der Entwicklung der eingesetzten Allergenprodukte und ihrer Anwendungsformen und -bereiche, sondern auch bei der Identifizierung der immunologischen Wirkprinzipien sind umfangreiche Fortschritte erzielt worden. Die meisten Untersuchungen hierzu erfolgten an Pollenallergikern. So war man ursprünglich der Überzeugung, dass durch die wiederholte Gabe des Pollenextrakts neutralisierende Antitoxine induziert werden, basierend auf der Vorstellung, Toxine der Pollen wären Auslöser der allergischen Beschwerden [6]. Die Identifikation der IgE-Antikörper sowie nachfolgend der ihre Synthese anregenden T-Helfer (TH)2-Zellen als entscheidende pathogenetische Faktoren der allergischen Soforttyp-Reaktion bildete die Grundlage für die in klinisch-experimentellen Studien festgestellten Immunmechanismen der AIT. Diese sind durch unterschiedliche zelluläre und humorale Parameter geprägt, deren vielschichtiges und differentielles Zusammenspiel in seiner Relevanz für die Entstehung bzw. Aufrechterhaltung einer Allergentoleranz noch nicht vollständig verstanden und in einzelnen Aspekten auch Gegenstand kontroverser Diskussionen ist [7–9]. Eine relevante Rolle wird hierbei vor allem IL-10 zugeschrieben, das von (auch als regulatorisch bezeichneten) T- und B-Lymphozyten, aber auch von anderen Zellen des Immunsystems sezerniert wird [5, 8, 10, 11], wobei es Hinweise gibt, dass es insbesondere für die Toleranzinduktion bedeutsam ist [6, 7]. Weitere beteiligte Zytokine sind bspw. IL-35 und TGF-β [7]. Eine wichtige Funktion kommt zudem tolerogenen dendritischen Zellen zu, die TH2-Immunantworten inhibieren und zur Differenzierung immunregulatorischer follikulärer und TH-Lymphozyten beitragen [5, 10]. Entscheidende Faktoren einer langfristigen Allergentoleranz sind der Verlust allergenspezifischer TH2-Reaktivität und die Produktion allergenblockierender Antikörper [5, 8, 12, 13]. Diese kann neben IgG- auch IgA-Antiköper beinhalten, die insbesondere im Rahmen einer sublingualen AIT induziert werden [14].
Trotz der enormen Fortschritte in der therapeutischen Anwendung der AIT und dem Verständnis ihrer immunologischen Effekte sieht sich die AIT unterschiedlichen Herausforderungen gegenüber, die es zu bewältigen gilt. Diese beinhalten bspw. ihre – bei bestimmten Allergenen wie Hausstaubmilben, Tierepithelien und Nahrungsmittel – oft nur geringe Effizienz, Effektivität, Sicherheitsaspekte mit erhöhtem Anaphylaxierisiko in Abhängigkeit der behandelten Erkrankung (Asthma) oder der verwendeten Allergene (Nahrungsmittel) und die individuell unterschiedlich lange Persistenz der durch die AIT erzielten Toleranz [15–17]. Hier gilt es durch modifizierte oder aber sogar alternative Verfahren neue Perspektiven zu eröffnen. Im Folgenden sollen einige exemplarisch vorgestellt werden, die zurzeit noch Gegenstand explorativer Studien sind. 

Allergen-Immuntherapie: neue Perspektiven

Molekulare oder peptidbasierte Allergen-Immuntherapie: modifizierte Allergen­präparate und personalisierte Medizin

Molekulare und peptidbasierte AIT-Präparate zeichnen sich dadurch aus, dass sie im Gegensatz zum Allergenextrakt nur einzelne Komponenten enthalten, gegen die eine klinisch bedeutsame IgE-Sensibilisierung vorliegt; von besonderem Interesse sind hier die Majorallergene [18]. Sie ermöglichen eine zielgerichtete AIT, deren Einsatz auf Basis des zuvor ermittelten molekularen Sensibilisierungsprofils festgelegt werden kann. Definierte Allergendosen lassen sich applizieren und in Studien auf ihre therapeutische Wirksamkeit überprüfen. Auch ist ein strukturiertes Therapiemonitoring durch Quantifizierung der gegen die einzelnen Komponenten gebildeten blockierenden IgG-Antikörper möglich. Zusätzliche Perspektiven eröffnen sich durch den Einsatz modifizierter Allergenmoleküle, so bspw. in Form von hypo­allergenen T- oder auch B-Zellpeptiden mit fehlender IgE-Reaktivität zur Minimierung des Risikos unerwünschter anaphylaktischer Reaktionen im Rahmen der AIT (Abb. 1a). 

Ein Beispiel stellt das hypoallergene Präparat BM32 dar, das in einer multizentrischen klinischen Studie toleranzinduzierende immunogene Wirksamkeit zeigte [19]. Die immunologische und klinische Wirksamkeit einer peptidbasierten AIT wurde unlängst am Beispiel der Applikation von Peptiden des Weidelgrases (Lolium perenne) in einer multizentrischen randomisierten, plazebokontrollierten Studie gezeigt [20, 21]. Zukünftig könnten somit molekulare AIT-Präparate mit einem optimierten Nutzen-Risiko-Profil und ggf. sogar auf den individuellen Patienten abgestimmten Therapiebedarf im Sinne einer personalisierten Medizin eingesetzt werden [22].

Andere Applikationsformen für die Allergen-Immuntherapie: neue Wege zur Toleranzinduktion

Neben der bereits von Noon propagierten subkutanen (SCIT) und seit 1986 etablierten sublingualen Immuntherapie (SLIT), wurden auch verschiedene andere Applikationsformen entwickelt und untersucht [2] (Abb. 1b). Außer der nun auch bereits mit einem zugelassenen Präparat zur Behandlung der Erdnussallergie einsetzbaren oralen Immuntherapie (OIT) haben insbesondere die intralymphatische (ILIT) und die epikutane Immuntherapie (EPIT) zuletzt vermehrt Aufmerksamkeit erfahren [23]. Die ILIT wurde insbesondere unter dem Gesichtspunkt einer Effizienzsteigerung der AIT analysiert, da das zu applizierende Allergen direkt – und somit ohne potenziellen Dosisverlust bei einer peripheren Gewebeadministration – in den Lymphknoten als Zielorgan der immunologischen Toleranzinduktion erfolgt. Als wesentlich hierfür wird die begünstigte Bildung allergenblockierender IgG-Antikörper durch unmittelbare Allergenpräsentation über follikuläre dendritische Zellen an B- und T-Lymphozyten in den Keimzentren angesehen; zudem wird eine effizientere Affinitätsreifung und gesteigerte Ausbildung langlebiger IgG+ Gedächtnis-B-Zellen – als Träger einer anhaltenden Allergentoleranz – durch Booster-Injektionen postuliert [24]. In einer Meta-Analyse wurde das klinische Ansprechen einer zumeist in vierwöchigen Abständen dreimaligen Allergenapplikation untersucht, vornehmlich bei Pollenallergien [25]. Wenngleich sich zumeist ein gutes Ansprechen zeigte, war dies in seiner Ausprägung einer herkömmlichen SCIT nicht überlegen (auch in Bezug auf die quantitative Produktion allergenspezifischer IgG-Antikörper) und auch nicht längerfristig anhaltend. Ob regelmäßige Booster-Injektionen dies gewährleisten können, wird aktuell kontrovers beurteilt [2].
Die EPIT wurde vorzugsweise wegen der einfachen Administration (Aufbringen eines allergenhaltigen Pflasters auf die Haut) und des geringen Risikos anaphylaktischer Nebenwirkungen entwickelt. Die immunologischen Mechanismen dieser Applikationsform sind noch nicht komplett verstanden. Tierexperimentelle Studien zeigen eine hohe immunregulatorische Versatilität, die zur Ausbildung von regulatorischen T-Zellen mit Homing-Rezeptoren für das allergene Effektorgan (in dem Fall Darm) bei epikutaner Allergenapplikation führte, was eine (protektive) Analogie zur epikutanen Sensibilisierung bei der Ausbildung IgE-vermittelter Allergien anderer Organe (Asthma bronchiale, Anaphylaxie) darstellen könnte [6]. In humanen Untersuchungen wurde eine Synthese allergenspezifischer IgG4-Antikörper nachgewiesen, allerdings war dies nicht in allen Studien der Fall [27]. Die EPIT erwies sich sowohl bei Nahrungsmittel- als auch Pollenallergien als wirksam, wobei die klinische Effektivität oft nur sehr gering ausfiel [27, 28]. Ein Problem scheint die häufig zu geringe (trans-)kutane Allergenabsorption zu sein. Während Versuche einer gesteigerten Aufnahme durch epidermale Abrasion aufgrund unerwünschter (möglicherweise sogar TH2-mediierte Reaktionen begünstigende) Inflammation nicht zielführend waren, stellen modifizierte Verfahren eines erleichterten Allergentransfers durch Mikronadeln interessante und möglicherweise klinisch effizientere Alternativen dar [29]. Optimierte Applikationsformen und Dosierungen sowie eine differenzierte Auswahl zu behandelnder Zielgruppen könnten somit perspektivisch gerade auch wegen ihres günstigen Sicherheitsprofils zu einer klinischen Eta-blierung der EPIT führen, so bspw. als konditionierende Induktion einer niederschwelligen Allergentoleranz in Risikogruppen (Asthma, Anaphylaxie) vor einer weiterführenden anderen AIT-Form. Aktuell befindet sich (aufbauend auf einer Vorläufer-Studie) eine Phase-III-Studie eines pflasterbasierten EPIT-Verfahrens zur Behandlung der Erdnussallergie für ein Zulassungsverfahren bei FDA und EMA in Planung [30], klinisch belastbare Daten einer therapeutischen Wirksamkeit liegen somit noch nicht vor.

Alternative Form der Immuntherapie: allergenspezifische IgG-Immunglobuline

Bereits vor über 80 Jahren wurden allergenspezifische IgG-Antikörper als eine wichtige Komponente der AIT-mediierten Toleranzinduktion eingehender beschrieben [6]. Deren funktionelle Relevanz legten dann klinische Studien in den 70ern nahe, in denen Ambrosia- bzw. Bienengiftallergiker mit Gamma-Immunglobulinen von Ambrosia-injizierten Nicht-Allergikern bzw. Imkern behandelt wurden [6, 31]. In-vitro-Assays zeigen, dass die Antikörper eine ausgeprägte Blockade IgE-vermittelter Effektorreaktionen bewirken, ihre Konzentration nach Beendigung einer AIT allerdings rückläufig ist [12]. Eine interessante Alternative zur AIT könnte somit die Gabe allergenblockierender IgG-Antikörper sein (Abb. 1a). Kürzlich wurde hierzu eine vielversprechende randomisierte, doppelblinde, plazebokontrollierte Phase-I-Studie an Birkenpollenallergikern publiziert [32, 33], die eine einmalige Gabe von 3 monoklonalen IgG4-Antikörpern erhielten, welche unterschiedliche Epitope des Majorallergens Bet v 1 binden. Im nasalen Provokationstest zeigte sich bereits nach einer Woche eine, über einen Zeitraum von 2 Monaten anhaltende signifikante Symptomverbesserung. Ähnliche Befunde waren zuvor mit dem gleichen Ansatz bei Katzenhaarallergikern nach einer Behandlung mit IgG-Antikörpern erzielt worden, die gegen Epitope des Majorallergens Fel d 1 gerichtet sind [34]. Diese gut vertragene allergenspezifische Immunglobulin-Therapie könnte somit insbesondere bei saisonalen Allergien (aufgrund des physiologischen Abbaus der Antikörper) eine Behandlungsoption für Allergiker darstellen, die keine (länger anhaltende) immunologische und klinische Antwort auf die AIT zeigen.
 

Autoren
Prof. Dr. med. Wolfgang Pfützner
Dr. rer. physiol. Christian Möbs
Klinisch-Experimentelle Allergologie, Klinik für Dermatologie und Allergologie, Allergie-Zentrum Hessen,
Universitätsklinikum Marburg Philipps-Universität Marburg
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