Corona und die Wissenschaftskommunikation

Ursprünglich hatten wir mit dieser Ausgabe einen Schwerpunkt „Zelluläre Immuntherapien“ geplant. Die aktuelle Pandemie mit dem neuartigen Coronavirus CoV-2 und der damit verbundenen Krankheit COVID-19 hat uns dazu bewegt, diese Ausgabe dieser neuen Bedrohung der Menschheit zu widmen.
Zum Hintergrund: Im Dezember 2019 trat eine Häufung von Lungenentzündungen unbekannter Ursache in der Stadt Wuhan in der chinesischen Provinz Hubei auf. Anfang Januar 2020 wurde von chinesischen Wissenschaftlern ein neuartiger Coronavirus (nCoV oder CoV-2) als Auslöser für dieses Symptom identifiziert. Die durch diesen Virus ausgelöste Krankheit wurde von der WHO als corono virus diseases 2019, oder COVID-19, benannt. Bis zum 9. Juli gab es über 10 Millionen nachgewiesene Infektionen und über eine halbe Million Todesfälle.
Bereits am 13. Januar wurde die gesamte DNA-Sequenz des aus einem im Dezember 2019 in Wuhan erkrankten Patienten von chinesischen Wissenschaftlern in der öffentlichen, durch das NCBI (National Center for Biotechnology Information, NIH, Bethesda) verwalteten Genbank unter NC_045512.1 veröffentlicht und war damit der gesamten Forschergemeinde zugänglich. Virologen, Immunologen und Kliniker nahmen dann weltweit mit unheimlicher Geschwindigkeit ihre Arbeiten auf, um die Klinik und Übertragung dieser Krankheit besser zu verstehen und zeitnah präventive Sofort-Maßnahmen und effektive Schutzimpfungen zu entwickeln.
In der gegenwärtigen Ausgabe werden wir versuchen, einige Aspekte dieser Infektionserkrankung  abzubilden. Dazu konnten wir etliche Experten auf dem Gebiet der Virologie und Immunologie gewinnen.
Die Dringlichkeit der Entwicklung von Therapien und Schutzimpfungen hat aber auch die Art wissenschaftliche Befunde zu kommunizieren stark verändert. Vor der Pandemie wurden wissenschaftliche Ergebnisse meistens erst nach einem Begutachtungsverfahren veröffentlicht, dann in Fachkreisen diskutiert und von der Bevölkerung meistens nicht wahrgenommen. Das hat sich leider nicht immer zum Guten verändert. Es kommt immer häufiger vor, dass noch nicht begutachtete Daten auf Preprint-Servern zugänglich gemacht werden, dort von der Presse entdeckt und dann mit manchmal irreführenden Schlagzeilen im Fernsehen, Internet oder Zeitschriften veröffentlicht werden. Reißerische Schlagzeilen wie „Durchbruch in der Behandlung von COVID-19 erzielt“ schürten falsche Hoffnungen in der Bevölkerung, und könnten auch die Politik veranlassen, vorzeitige Lockerungsmaßnahmen mit verheerenden Auswirkungen zu erlassen. Als ein warnendes Beispiel einer zu frühzeitig durch die Politik erzwungenen Reduzierung der Vorsichtsmaßnahmen ist die Zunahme der Infektionen und Notfall-Patienten im Süden der USA. Wir sollten als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verantwortungsvoll bei der Präsentation von Daten – z. B. in Pressekonferenzen und -interviews – umgehen.
Und zum Schluss sei angemerkt, dass sich eine auf Daten basierende wissenschaftliche Schlussfolgerung aufgrund einer veränderten Datenlage ändern kann. Wissenschaft ändert sich nun mal ständig. Und dann wird auch klar, dass Dr. Fauci, einer der führenden Immunologen in den USA, das Tragen von Gesichtsmasken zu Beginn der Pandemie nicht priorisiert hat, nach Änderung der Datenlage aber ein enthusiastischer Befürworter dieser Maßnahme der Verringerung des Infektionsrisikos wurde. Für die Politik und die Bevölkerung ist das nicht immer nachvollziehbar, und wir sollten den Punkt, dass sich Wissenschaft ändert, bei jedem Vortrag immer wieder anmerken.

 

Autor
Hans-Martin Jäck