Moderne Impfstoffentwicklung als Reaktion auf neue Infektionskrankheiten

Schnell, schneller, am schnellsten

Emerging Infectious Diseases als Bedrohung für Mensch und Tier

Neu auftretende virale Erkrankungen mit epidemischem oder sogar pandemischem Potential (Emerging Infectious Diseases) stellen eine zunehmende Bedrohung für Mensch und Tier dar. Gründe hierfür sind neben dem Klimawandel und der ausgedehnten Landnutzung insbesondere auch die voranschreitende Globalisierung. Der weltweite Warenaustausch und das hohe Reiseaufkommen vereinfachen die (Wieder-)Einschleppung und Ausbreitung von Erregern [1–3]. Die Mehrzahl neu auftretender Pathogene sind viraler Natur und können häufig vom Tier auf den Menschen übertragen werden (sog. Zoonosen oder Zooanthroponosen), wie z. B. das 2012 in Saudi-Arabien zum ersten Mal nachgewiesene Middle East Respiratory Syndrome Coronavirus (MERS-CoV). MERS-CoV kann vom Kamel auf den Menschen übertragen werden und löst eine oftmals tödliche Atemwegserkrankung aus [4].
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat aufgrund dieser und ähnlicher Entwicklungen vor kurzem die wichtigsten Emerging Diseases gelistet, wobei es sich im letzten Bericht aus dem Jahr 2018 ausnahmslos um virale Erreger handelt, wie z. B. das Krim-Kongo-Fieber-Virus, Rift Valley-Fieber-Virus oder das Zika-Virus. Daneben hat die WHO den neuen Begriff der „unbekannten Erkrankung X“ (Disease X) eingeführt und in die Liste aufgenommen. Disease X symbolisiert dabei die zunehmende Möglichkeit des Auftretens neuer Erreger, auf die man sich so gut wie möglich vorbereiten sollte (https://www.who.int/emergencies/diseases/2018prioritization-report.pdf?ua=1).

Impfstoffe als wirksame Gegenmaß­nahme zur Eindämmung von Emerging Infectious Diseases

Eine der wirksamsten Maßnahmen zur Bekämpfung von Virusinfektionen stellt die Impfung dar. Dies zeigt beispielsweise die erfolgreiche Eindämmung der Tollwut durch globale Impfkampagnen [5] oder auch die Kontrolle der Blauzungenkrankheit vom Serotyp 8 mittels obligatorischem Impfeinsatz bei Schaf und Rind in Europa in den Jahren 2007 bis 2012 [6]. Bei den letzten Ebola-Virus-Ausbrüchen in Afrika konnte auch erstmals ein experimenteller Vektor-Impfstoff erfolgreich eingesetzt werden [7].

Moderne Pipeline und Plattformtechnologie zur schnellen Impfstoff­entwicklung

Diese Beispiele verdeutlichen aber auch, dass neue Technologien entwickelt werden müssen, damit möglichst schnell effiziente Impfstoffe hergestellt werden können, um Emerging Infectious Diseases zu bekämpfen und zu kontrollieren [8].
Eine Reihe von europäischen und internationalen Verbundprojekten befasst sich deshalb mit der Entwicklung von Strategien, die es erlauben, die Zeit zwischen Identifikation eines neuen Erregers bis zur Implementierung von effizienten Kontrollmaßnahmen zu minimieren.
Das europäische Gemeinschaftsprojekt Zoonoses Anticipation and Preparedness Initiative (ZAPI), Teil der Innovative Medicines Initiative (IMI) (www.zapi-imi.eu), konzentriert sich dabei auf die schnellstmögliche Entwicklung und Bereitstellung von wirksamen Impfstoffen, welche anhand ausgewählter Virus-Modelle erprobt werden.
Da die ständige Prüfung von Virusstämmen, insbesondere nach einer ersten Anzucht, und deren aufwendige Adaptierung und Vermehrung auf Säugerzellen einen erheblichen Zeitfaktor darstellen, wird im Rahmen des Projektes eine neue Plattformtechnologie entwickelt, welche im Falle eines neu auftretenden, möglicherweise zoonotischen Erregers eine möglichst schnelle Reaktion erlauben soll.
Nach der Identifikation und Klassifizierung des Erregers werden als Erstes durch Sequenzanalysen und die Anwendung verschiedener Software-Programme antigene Domänen des Virus vorhergesagt. Diese werden in einem geeigneten Produktionssystem exprimiert und weiter prozessiert. Im optimalen Fall handelt es sich dabei nicht um Säugerzellen-basierte Systeme, da diese in der Regel weniger aufwendige Sicherheitsprüfungen, z. B. bezüglich möglicher Kontaminationen mit anderen Mikroorganismen und Viren, verlangen.
Die fertig hergestellten Antigene werden danach an bereits vorgefertigte, präsentierende Partikel (virus-like particles = VLPs) gekoppelt und können direkt als Impfstoff getestet werden.
Parallel dazu werden in Zusammenarbeit mit Industriepartnern Prüfsysteme entwickelt und standardisiert (u. a. Antikörper und Tiermodelle), welche eine Vakzineprüfung erleichtern und vereinfachen sollen.
Das ZAPI-Modell wird zusätzlich genutzt, um Voraussetzungen zu schaffen, welche notwendig sind, um eine beschleunigte Zulassung von Plattformtechnologien zu erwirken. Die Erarbeitung von regulatorischen Prozessen, die reduzierte Zulassungsanforderungen bzw. -prüfungen ermöglichen, könnten die Zeit bis zum tatsächlichen Einsatz eines Impfstoffs deutlich verkürzen (Abb. 1).

Im Rahmen von ZAPI wurde eine Impfstoffplattform mit Protein-basierten nicht-infektiösen VLPs entwickelt. Exemplarisch wird hier die Lumazine-Synthase beschrieben [9]. Parallel wurden aber auch E2- und Aldolase-Proteingerüste erprobt [10, 11].
Mittels der SpyCatcher-/SpyTag-Technologie (sog. „Bacterial Superglue“) können beliebige Antigene weitgehend unabhängig von Natur und Größe an vorgefertigte SpyCatcher-tragende VLPs gebunden und in multimerer Form präsentiert werden (Abb. 2) [12, 13].

Diese Form der Antigen-Bindung wurde in Pilotstudien bereits erfolgreich angewendet, um VLP-basierte Prototyp-Vakzine zur Bekämpfung der Malaria herzustellen [14, 15]. Die Studien haben außerdem gezeigt, dass diese Technologie anderen kovalenten und nicht-kovalenten Kopplungsstrategien überlegen ist [16].
In einem weiteren Teil des Projektes werden Strategien entwickelt und optimiert, um basierend auf den identifizierten Antigenen schnellstmöglich neutralisierende Antikörper herzustellen. Diese können ebenfalls einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung zoonotischer Erkrankungen leisten, wenn sie bei präventiver Applikation eine Infektion verhindern. Bei fatal verlaufenden Infektionen stellen sie zudem eine wertvolle therapeutische Option dar, um die Mortalität zu reduzieren [17].
Um die Funktionalität des neuen Workflows zu testen, wurde der Ablauf mit Schmallenberg-Virus (SBV) als Modell durchgespielt. Dabei wurde SBV bewusst als nicht-zoonotischer Erreger ausgewählt, damit Prüfsysteme und Tiermodelle nicht unter erhöhten Sicherheitsbedingungen mit entsprechend komplexer Infrastruktur bearbeitet werden müssen. SBV ist ein vektorübertragenes Orthobunyavirus mit enger Verwandtschaft zu den Viren der Simbu-Serogruppe, welches im Jahr 2011 zum ersten Mal in Deutschland nachgewiesen wurde [18]. SBV wird durch kleine Stechmücken (Gnitzen) übertragen und hat sich nach seiner Entdeckung sehr schnell in ganz Europa ausgebreitet [19, 20].
Basierend auf dem ZAPI-Workflow konnte das Gc-Hüllenprotein als Hauptimmunogen von SBV bestätigt werden. Unter Verwendung von in silico Vorhersagen, Pepscan- und Strukturanalysen sowie Mapping-Studien mit monoklonalen Antikörpern wurde auf Gc eine immunogene Subdomäne (Gc-head) identifiziert und zur Entwicklung einer Prototyp-Vakzine ausgewählt. Dazu wurde Gc-head mit einem SpyTag versehen, in Insektenzellen exprimiert und an die SpyCatcher-tragenden Untereinheiten von vorgefertigten Lumazine-Synthase-Partikeln gekoppelt. Um die Funktionalität des Verfahrens zu prüfen, wird die Effizienz des Impfstoffes im Tiermodell getestet. Zusätzlich wird durch Industriepartner erprobt, ob und wie sich die Produktion und Bereitstellung innerhalb kürzester Zeit realisieren lassen (Abb. 3).

Im Rahmen von ZAPI wurde eine Impfstoffplattform mit Protein-basierten nicht-infektiösen VLPs entwickelt. Exemplarisch wird hier die Lumazine-Synthase beschrieben [9]. Parallel wurden aber auch E2- und Aldolase-Proteingerüste erprobt [10, 11].
Mittels der SpyCatcher-/SpyTag-Technologie (sog. „Bacterial Superglue“) können beliebige Antigene weitgehend unabhängig von Natur und Größe an vorgefertigte SpyCatcher-tragende VLPs gebunden und in multimerer Form präsentiert werden (Abb. 2) [12, 13].

Schlussfolgerungen und Zusammenfassung

Unter Verwendung von Computer-gestützten und Struktur-basierten Vorhersagen sowie Pepscan- und Mapping-Studien, lassen sich geeignete Antigene für einen Impfstoffkandidaten schnell und gezielt auswählen. Die Entwicklung und Optimierung von einheitlichen Produktionsstrategien und Prüfsystemen erleichtern und beschleunigen die Herstellung der ausgewählten Antigene im industriellen Maßstab. Durch Verwendung von Bacterial Superglue können diese zudem schnell und effizient an vorkonfektionierte VLPs gekoppelt und als Multimere präsentiert werden. Ziel des hier skizzierten Entwicklungsansatzes des europäischen Gemeinschaftsprojekts Zoonoses Anticipation and Preparedness Initiative (ZAPI) ist es, an Modellsystemen zu demonstrieren, wie in bestimmten Fällen wirksame Prototyp-Vakzine zukünftig in weniger als sechs Monaten bereitgestellt werden könnten. Die Erarbeitung der Grundlagen von ggf. neuen regulatorischen Normen soll zusätzlich Voraussetzungen schaffen, um in Zukunft eine Zulassung von Impfstoff-Plattformen zu erlauben. Die Kombination dieser Strategien soll es schließlich ermöglichen, in kürzester Zeit nach der Einschleppung einer relevanten Emerging Infectious Disease eine Bekämpfungsstrategie zu starten. Auch wenn dieses Ziel als sehr ambitioniert angesehen werden muss, stellt das Projekt einen bedeutenden Schritt in diese Richtung dar und zeigt mögliche Lösungswege auf.

Danksagung
Diese Arbeit wurde von der „Zoonoses Anticipation and Preparedness Initiative (ZAPI, Grant Agreement No 115760)“ im Rahmen der „Innovative Medicines Initiative (IMI Call 11 - IMI-JU-11-2013-04)“ finanziell unterstützt.

Autoren
Dr. Andrea Aebischer
Institut für Virusdiagnostik Friedrich-Loeffler-Institut
Greifswald-Insel Riems
Prof. Dr. Martin Beer
Institut für Virusdiagnostik Friedrich-Loeffler-Institut
Greifswald-Insel Riems