Die Entdeckung von BiP – oder die hartnäckige Analyse der „funny chain“

Aus der Geschichte

Die Entdeckung von BiP (Ig Heavy Chain Binding Protein) muss man sich als zweistufigen Prozess vorstellen: 1. die Identifizierung und Charakterisierung eines Proteins, das spezifisch an verschiedene Isotypen von schweren Ketten der Immunglobuline (Ig) bindet, und das wir deshalb BiP nannten, und 2. dessen molekulare Klonierung, die zeigt, dass BiP ein Mitglied der konservierten Hitzeschockprotein(HSP)-Familie ist, und im Endoplasmatischen Retikulum (ER) aller Zellen ständig produziert wird. BiP ist auch das erste HSP, das über seine Interaktion mit einem physiologischen Liganden isoliert werden konnte.

Faszinierende Forschung

Tübingen 1979. Ich beendete gerade meine Doktorarbeit. Im vorausgegangenen Semester lernte ich in einem Immunologie-Seminar an der Tübinger Uni Matthias Wabl, einen der Dozenten, kennen. In einer Seminarstunde erwähnte ich gegenüber Matthias, dass ich mir gut vorstellen könne, mit ihm zusammen zu arbeiten. Er antwortete: "Wenn Du Dich dafür entscheidest, kannst Du bei mir anfangen." Blauäugig wie ich war, hatte ich vollkommen ignoriert, dass er am Friedrich-Miescher-Laboratorium der Max-Planck-Gesellschaft in Tübingen Arbeitsgruppenleiter war und tatsächlich Mitarbeiter suchte. Da meine Doktorarbeit für mich wenig zufriedenstellend verlaufen war, war ich von diesem Angebot natürlich hellauf begeistert, und so fing ich noch vor meiner mündlichen Promotionsprüfung bei ihm an.
Bereits während meiner ersten Zeit als Mitarbeiterin von Matthias faszinierte mich seine Vorgehensweise bei der wissenschaftlichen Arbeit. Im ersten Projekt, an dem ich beteiligt war, ging es um die Frage, ob die beiden Ig-Isotypen IgM und IgD, die beide gleichzeitig auf der Oberfläche von reifen B-Lymphozyten ausgeprägt werden, bei der Maus vom gleichen Chromosom abstammen oder nicht. Auf Chromosom 12 der Maus sind alle Gene für die schweren Ig-Ketten kodiert. Unser experimenteller Ansatz: Hamster-/Maus-Hybridome wurden durch Fusion eines SV40-transformierten Hamster-Lymphoms mit Lipopoly-Saccharid(LPS)-stimulierten Maus-Milzzellen gewonnen. (LPS stimuliert reife B-Lymphozyten in vitro zur Teilung und Differenzierung in proliferierende, Antikörper-sezernierende Plasmablasten). Die Hybridome wurden über eine längere Zeitperiode kultiviert, damit sie mehr und mehr überzählige Chromosomen verloren. Schließlich wurde mit einem Hybridom weitergearbeitet, das nur eine Kopie des Maus-Chromosoms 12 aufwies und Zellen analysierte, die die Expression von IgM verloren hatten. Der Verlust eventuell überlebensnotwendiger Gene auf Maus-Chromosom 12 sollte durch die Anwesenheit der Hamster-Chromosomen kompensiert werden. Falls IgM und IgD tatsächlich vom gleichen umgelagerten Ig-Gen kodiert werden, sollte man bei Verlust der IgM-Produktion auch die von IgD verlieren. Die Ausprägung von Hamster-IgG sollte dagegen von den Verlusten der Maus-Isotypen nicht beeinträchtigt sein. Es gab nur zwei mögliche Ergebnisse: Entweder die Zellen verlieren gleichzeitig die Expression beider Maus-Isotypen, was darauf hindeuten würde, dass IgM und IgD vom gleichen Chromosom kodiert werden, oder beide Isotypen stammen von verschiedenen Allelen ab; in diesem Fall bliebe ein Ig-Isotyp exprimiert. Ich war begeistert. Ganz gleich, welches der beiden möglichen Ergebnisse sich herausstellte, in jedem Fall gab es eine eindeutige Antwort auf eine wichtige biologische Frage: Tatsächlich werden IgM und IgD vom selben Chromosom kodiert.

Biochemische Charakterisierung der Immunglobulin-Expression in Prä-B-Zell-Hybridomen und die Entdeckung einer besonderen Proteinbande in SDS-Gelen

Ansonsten war ich mit der biochemischen Charakterisierung der im Wabl-Labor etablierten Prä-B-Zell-Hybridome aus einem Myelom und der Abelsonkinase-transformierten Prä-B-Zelllinie 18–81 beschäftigt. Wie erwartet, produzierten die meisten Hybridome keine leichten Ig-Ketten, sondern nur die schwere Kette vom IgM-Typ (75–80 kDa) oder die vom IgG2b-Typ (Doppelbande bei 50–55 kDa). Um Interaktionspartner zu identifizieren, wurden die Zellen vor der Immunpräzipitation von Ig-Ketten biosynthetisch mit 35S-Methionin markiert, sodass alle immunpräzipitierten Proteine als radioaktive Banden nach der Trennung auf SDS-Polyacrylamid-Gelen über Autoradiografie auf Filmen nachweisbar waren. Uns fiel auf, dass in Präzipitaten mit allen schweren Ig-Ketten in Hybridomen eine zusätzliche Bande mit einer molekularen Masse von ca. 78 kDa zu beobachten war. Da wir keine Ahnung von der Identität dieser Bande hatten, sie aber immer nur im Zusammenhang mit immun-präzipitierten schweren Ig-Ketten auftauchte, bezeichneten wir das unbekannte Protein zunächst als „funny chain“.
Wir wollten natürlich wissen, ob das Auftauchen dieses Proteins auf eine spezifische Interaktion mit den immunpräzipitierten schweren Ig-Ketten zurückzuführen war. Dafür nutzten wir die spezifische Eigenschaft des Oberflächenproteins Protein A von S. aureus. Protein A bindet an den Fc-Teil von IgG (also auch an die schwere γ-Kette, nicht aber an den konstanten Teil der schweren μ-Kette von IgM). Die Behandlung von Lysaten aus biosynthetisch markierten μ-produ­zierenden Zellen mit Protein-A-Sepharose zeigte wie erwartet keine Bande für die µ-Kette in der Autoradiografie des analysierten SDS-Gels, aber die „funny chain“ konnte auch nicht entdeckt werden. Dies bedeutete, dass die „funny chain“ selbst nicht von Protein A gebunden wurde. Nur wenn diesem Lysat zusätzlich auch ein Antiserum gegen μ-Kette zugefügt wurde, zeigte sich neben μ-Kette auch die „funny chain“. Wurden dagegen Lysate aus γ-produzierenden Zellen ohne Zugabe von jeglichem Antiserum analysiert, sah man sowohl die schwere Kette von IgG2b als auch die „funny chain“. Über den Vergleich der Ergebnisse limitierter Proteolyse der „funny chain“ aus μ-Ketten- bzw. γ-Ketten-produzierenden Zellen wiesen wir nach, dass es sich bei den „funny chains“ um das gleiche Protein handelte. Aufgrund dieser Proteindaten änderten wir den Namen dieses Ig-Schwerketten-bindenden Proteins von „funny chain“ in „Immunoglobulin Heavy Chain Binding Protein“, kurz BiP (Haas and Wabl, Nature, 1983). Wichtig war uns die Schreibweise von BiP für den optischen Eindruck: großes B, kleines i und großes P.

Molekulare Klonierung von BiP

Nach dieser mehr biochemischen Phase meiner beruflichen Laufbahn wechselte ich mit einem EMBO-Stipendium an das Pasteur-Institut in Paris, um die Identität von BiP über die Klonierung der cDNA und die Aufklärung der kodierenden Sequenz durchzuführen. Das gelang in der Arbeitsgruppe von Tommaso Meo, in der ich alle notwendigen Methoden erlernte, um BiP molekular klonieren zu können. Leider hatten wir zu diesem Zeitpunkt weder Sequenz­information zum Protein noch ein präzipitierendes Antiserum gegen BiP zur Verfügung. Das bedeutete, BiP musste auf die harte, d. h. arbeitsintensive Tour kloniert werden.
Zur Gewinnung möglichst großer Mengen an BiP-spezifischer mRNA schien ein Prä-B-Zell-Hybridom die geeignete Quelle zu sein. (Dass viel Protein gleichbedeutend ist mit hohen Mengen an zellulärer mRNA, stellte sich später als falsche Annahme heraus, da BiP sich als sehr langlebiges Protein erwies, und daher keine so großen Mengen an mRNA notwendig sind, um große Mengen an Protein in der Zelle aufrechtzuhalten). Zunächst musste aber das primäre BiP-Transkript identifiziert werden.
Dazu wurde die mRNA aus dem Prä-B-Zell-Hybridom in einem denaturierenden Formaldehyd-Agarose-Gel nach Größe aufgetrennt und nach Elution aus fraktionierten Gelstückchen in vitro translatiert. Die entstandenen Translationsprodukte wurden über SDS-Gelelektrophorese aufgetrennt, die Proteinbanden ausgeschnitten und in einem weiteren SDS-Gel einer Peptidkartierung durch limitierte Proteolyse unterzogen, wobei spezifische Peptidmuster entstehen. Das Peptidmuster von BiP aus biosynthetisch markierten Zellen, das genauso behandelt worden war, diente als Referenz.
Nachdem das Primärtranskript von BiP identifiziert war, wurde die entsprechende Fraktion angereichert, um sowohl die cDNA-Bank als auch die cDNA-Sonde zu synthetisieren, mit der die Bank anschließend untersucht wurde.

Ergebnis

Die Sequenzierung der erfolgreich isolierten cDNA zeigte, dass BiP ein ubiquitäres und auch konstant produziertes Mitglied der 70-kDa-Hitzeschock-Protein(HSP)-Familie ist. Dieses HSP70 befindet sich im rauen Endoplasmatischen Retikulum (ER) aller untersuchten Körpergewebe, so auch im ER von B-Lymphozyten. BiP befindet sich demnach im selben subzellulären Kompartiment wie schwere Ig-Ketten, wodurch auch plausibel wird, weshalb BiP mit diesem physiologischen Liganden interagieren kann.
Anhand dieser Entdeckungsgeschichte wird deutlich, wie wichtig es ist, auch zunächst scheinbar nebensächliche Befunde ernst zu nehmen und aufzuklären.

Autor
Dr. rer. nat. habil. Ingrid G. Haas
Freiburg im Breisgau