Im Jahr 2010 wurde die 2. Phase der Exzellenzinitiative ausgeschrieben. Die Gründungsmitglieder von ImmunoSensation beteiligten sich damals erstmalig mit einem wissenschaftlichen Konzept, das über die Grenzen der klassischen Immunologie hinausreicht und das Immunsystem als Sinnesorgan versteht, als immunsensorisches System. Seit 2012 wird ImmunoSensation als Exzellenzcluster gefördert.

Übergeordnetes Ziel von ImmunoSensation ist es, ein verbessertes Verständnis der immunologischen Zusammenhänge zu erreichen und dieses einzusetzen, um die Entstehung von Erkrankungen primär zu verhindern bzw. um bereits etablierte Erkrankungen besser diagnostizieren und behandeln zu können. Dieses Konzept führte unterschiedlichste Disziplinen eng zusammen: Immunologen, Neuro- und Systembiologen, Biochemiker, Biophysiker und Mathematiker der Medizinischen Fakultät und der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Bonn, des Max-Planck-assoziierten Forschungszentrums center of advanced european studies and research (caesar) und des Deutschen Zen­trums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) der Helmholtz-Gemeinschaft.

Strukturelle Entwicklung

Gemeinsam bieten die Partner ein stimulierendes Umfeld und unterstützende Strukturen. Der Bonn Technology Campus vereint die Technologieplattformen aller Partner und bietet Wissenschaftler/-innen von ImmunoSensation Zugang zu hochmodernen Geräten, und Hilfestellung bei der Auswertung großer Datensätze und der Planung komplexer Experimente. Das Bonn Center of Immunology verknüpft Forschung in interdisziplinären Projekten mit einem weltweit vernetzten, fundierten Ausbildungsprogramm. Die Nachwuchsförderung umfasst alle Karrierestufen und stimuliert, z. B. durch ein Nachwuchsgruppenprogramm, frühe Eigenständigkeit und unabhängige Forschung. Dies wird begleitet von Maßnahmen für Familienfreundlichkeit und zur gezielten Förderung von Wissenschaftlerinnen. Darüber hinaus führt ImmunoSensation regelmäßig Veranstaltungen für die breite Öffentlichkeit durch (z. B. Tag der Immunologie [1]).

Forschungsprogramm

Kern der wissenschaftlichen Thematik ist immune sensing. Unter immunsensorischen Rezeptoren verstehen wir solche, die an der Unterscheidung zwischen fremd (Bakterien, Viren) und selbst, und zwischen gefährlich und ungefährlich beteiligt sind. In erster Linie gehören diese Rezeptoren zum angeborenen Immunsystem, wie z. B. Toll-like-Rezeptoren oder RIG-I-like-Rezeptoren, aber auch die Rezeptoren des erworbenen Immunsystems wie B-Zell- und T-Zell-Rezeptoren zählen dazu. Viele dieser Rezeptoren sind nicht nur auf Immun- sondern auch auf anderen Körperzellen vorhanden, die damit direkt zur Immunerkennung beitragen. Dieses über die eigentlichen Immunzellen hinausgehende System bezeichnen wir in seiner Gesamtheit als immunsensorisches System. Es integriert weitere Signale, z. B. aus dem metabolischen oder dem Nervensystem, die zur Mustererkennung beitragen [2]. In diesem Zusammenhang bearbeitet ImmunoSensation folgende Fragestellungen:
Wie kann das Immunsystem Pathogene und Schädigungen erkennen, und mit der jeweils passenden Immunantwort Gefahr vom Körper abwenden?
Welchen Einfluss haben der lokale Gewebekontext und die Immunzellmotilität auf die Immunerkennung?
Wie sind die Mechanismen der Immun­erkennung mit anderen übergreifenden Systemen wie Metabolismus und Nervensystem funktionell verknüpft?
Wie werden aus unterschiedlichen Si­gnalen die richtigen Konsequenzen für eine optimale Immunantwort gezogen?
Wie kann eine Fehlsteuerung der Immunerkennung zu entzündlichen Erkrankungen führen?
ImmunoSensation konnte in internationalen Kooperationen bereits wichtige Beiträge leisten, z. B. bei der Aufschlüsselung von Mechanismen, wie das Immunsystem fremde oder Gefahr-signalisierende Nukleinsäuren treffsicher erkennt und von dem Selbst unterscheidet [3] (s. S. 30 ff.). Fehlerkennung oder genetische Veränderungen der beteiligten Rezeptoren können zur Entstehung von Autoimmunerkrankungen, wie z. B. Lupus Erythematodes beitragen. Eine therapeutisch intendierte Aktivierung von Nukleinsäure-erkennenden Immunrezeptoren mit Oligonukleotid-Liganden kann aber auch effektiv gegen Infektions- und Tumorerkrankungen eingesetzt werden.
ImmunoSensation konnte außerdem zeigen, dass das Inflammasom an der Entstehung vieler entzündlicher Erkrankungen, wie z. B. der Alzheimer-Erkrankung, der Atherosklerose oder der Gicht, beteiligt ist [4]. Diese stehen beispielhaft für eine Reihe von Erkrankungen, bei denen der Beitrag des Immunsystems zur Pathogenese bislang zu wenig Beachtung gefunden hat [5]. Die weitere Erforschung der Zusammenhänge wird zur Identifizierung neuer Risikofaktoren und möglicher therapeutischer Angriffspunkte beitragen.
ImmunoSensation forscht auch an der Schnittstelle von Immunologie und Mathematik. Mathematische Modelle sind dort besonders wertvoll, wo verschiedene Ereignisse im Wettlauf stehen. Dies ist z. B. bei der Tumortherapie der Fall [6]. Cluster-Gruppen konnten die beteiligten Faktoren durch stochastische Modelle darstellen. Ein gezieltes Vorgehen bei Tumortherapien kann künftig daran ausgerichtet werden. Ähnliche Modelle können auch auf andere Indikationsbereiche der Immuntherapie übertragen werden.
Ein weiteres Thema im Cluster ist die Gedächtnisfunktion des angeborenen Immunsystems, das bislang für schnelle, aber unspezifische und unveränderte Reaktionen stand. Dieses Dogma ist ins Wanken geraten, da nachweislich auch Teile des angeborenen Immunsystems eine Gedächtnisfunktion besitzen (innate immune memory). Dieses Konzept wird nun auch als trained immunity bezeichnet [7].

Translation

ImmunoSensation fördert die Translation grundlagenwissenschaftlicher Ergebnisse in die klinische Anwendung. Hierfür ergänzt ImmunoSensation lokale Netzwerke durch internationale Partnerschaften und Industriekooperationen. So hat das Cluster gemeinsam mit Wissenschaftler/-innen aus den USA eine völlig neue Molekülstruktur identifiziert (2´-5´-verknüpftes zyklisches Dinukleotid). Diese wird von dem immunsensorischen Rezeptor cGAS bei Erkennung von Fremd-DNA gebildet und aktiviert das Signalprotein STING. Diese Aktivierung setzt eine Immunantwort in Gang, durch die Krebszellen vom Immunsystem aufgespürt und eliminiert werden können. Das Patent für das Molekül wurde an die Firma Aduro Biotech lizensiert, die dessen klinische Entwicklung zur Krebstherapie vorantreibt. Eine weitere Entdeckung aus dem Cluster, die Identifizierung des Nukleinsäure-Liganden für den immunsensorischen Rezeptor RIG-I, wird in einer eigenen Ausgründung (Rigontec GmbH, groundbreaking technology [8]) klinisch entwickelt, und befindet sich in klinischen Studien zur Therapie von Tumorerkrankungen. Mit IFM Therapeutics erfolgte bereits die zweite Ausgründung mit Beteiligung von Wissenschaftler/-innen aus dem Cluster.  Diese drei Beispiele unterstreichen:
Kooperative Projekte können unmittelbar in die Entwicklung von neuen Medikamenten münden.
Ein besseres Verständnis der Zusammenhänge des Immunsystems eröffnet unerwartete Möglichkeiten für neue Therapieformen.
Auch zukünftig wird sich ImmunoSensation daher mit großer Energie für die weitere Entschlüsselung des immunsensorischen Systems einsetzen. Durch Bündeln von Disziplinen und Techniken und unter Einbeziehen der Expertise von Wissenschaftler/-innen internationaler Immunologie-Zentren werden große Syn­ergien erzeugt, um einen Beitrag für die Gesundheit und Lebensqualität unserer Gesellschaft zu leisten.

Literatur
1. youtu.be/Fvr_PhqfysA
2. www.trillium.de/zeitschriften/trillium-
diagnostik/archiv/2014/heft-2/titelthema.html
3. Schlee M, Hartmann G (2016). Discriminating self from non-self in nucleic acid sensing. Nat Rev Immunol, 16:566–580, PMID: 27455396.
4. Latz E, Xiao TS, Stutz A (2013). Activation and regulation of the inflammasomes. Nat Rev Immunol, 13:397–411, PMID: 23702978.
5. Heneka MT, Golenbock DT, Latz E (2015). Innate immunity in Alzheimer's disease. Nat Immunol, 16:229–236, PMID: 25689443.
6. Hölzel M, Bovier A, Tüting T (2013). Plasticity of tumour and immune cells: a source of heterogeneity and a cause for therapy resistance? Nat Rev Cancer, 13:365–376, PMID: 23535846.
7. Netea MG et al. (2016). Trained immunity: A program of innate immune memory in health and disease. Science 352, aaf1098, PMID: 27102489.
8. Bouchie A, DeFrancesco L (2016). Nature Biotechnology's academic spinouts of 2015. Nat Biotechnol, 34:484–492, PMID: 27153278

Dr. Catherine Drescher
Cluster Manager
ImmunoSensation Cluster of Excellence
University Hospital Bonn
Sigmund-Freud-Str. 25, 53127 Bonn

www.immunosensation.de