Tobias Bergner, der u. a. von 2015 bis 2020 als Koordinator für die außenpolitische Dimension globaler Gesundheitsfragen im Auswärtigen Amt tätig war, formuliert in seinem Beitrag „Umgang mit Krisen, über die Schwierigkeit, aus Krisen zu lernen und dennoch Lehren ziehen zu müssen“, dass Krisen nicht vorhersehbar und immer anders sind – und dennoch: Die Analyse der Folgen früherer Krisen kann das Krisenmanagement verbessern und eine vorausschauende Politik ihre zerstörerische Wirkung verringern [1]. Einige seiner Thesen lassen sich auf das Blutspendewesen und die Versorgung mit Blutprodukten übertragen. Zukünftige und auch aktuelle Krisen dürfen uns nicht mehr so unvorbereitet treffen wie die Coronavirus-Pandemie, daher wird im folgenden Artikel auf europäische Empfehlungen zur Sicherstellung der Blutversorgung im Krisenfall eingegangen.
Engpässe
Krisensituationen im Blutspendewesen bedeuten, dass nicht genügend Blutprodukte zur Verfügung stehen, um notwendige Bluttransfusionen durchführen zu können. Die Ursachen für solche Engpässe können vielfältig sein. Zum einen kann es sich um einen unerwarteten Mehrbedarf handeln, z. B. bei einem Massenanfall von Schwerstverletzten, bei Verkehrsunfällen, aber auch bei Amokläufen. Dies wäre dann ein akutes Ereignis, das zu einem temporären Mehrbedarf führt. Durch den Ukraine-Krieg müssen wir aber auch ein weiteres Szenario, nämlich die Versorgung mit Blutprodukten im Verteidigungs- oder Bündnisfall, zukünftig in Erwägung ziehen.
Schwerwiegender sind vor allem Engpässe durch mangelnde Spendenbereitschaft, wie wir sie in der Pandemie durch Erkrankung von Spender:innen beobachtet haben. Es kann aber auch zu einem Mangel an Spenden durch Personalmangel kommen, sei es durch Krankheit der Mitarbeiter:innen oder zukünftig durch Fachkräftemangel. Auch andere Einflussfaktoren können zu einem Mangel an Blutprodukten führen: Unterbrechung der Lieferkette von kritischem Material wie Blutbeutel, Apherese-Sets oder Testreagenzien. Zukünftig könnten klimatische Veränderung an Bedeutung für das Blutspendewesen gewinnen. Die Erfahrungen aus der Flutkatastrophe im Ahrtal haben uns gelehrt, dass plötzlich eine vorhandene Infrastruktur zerstört werden kann und von heute auf morgen keine Räumlichkeiten für die Durchführung von Blutspendeterminen mehr vorhanden sein können, Weitere Kollateralfolgen dieser Naturkatastrophe waren das Fehlen der ehrenamtlichen Rotkreuz-Mitarbeitenden für die Blutspendetermine, welche dann als Katastrophenhelfer im Einsatz waren.
Gesetzliche Grundlage
Ohne Blutprodukte fehlt ein wesentlicher Baustein in der Versorgung schwer kranker Patient:innen. Aus dieser Erkenntnis heraus hat der Gesetzgeber in dem bereits 1998 verabschiedeten Transfusionsgesetz in § 1 als Zweck die gesicherte und sichere Versorgung der Bevölkerung mit Blutprodukten genannt. Um die Blutversorgung sicherzustellen, wird in § 3 des Transfusionsgesetzes gefordert, dass die Blutspendeeinrichtungen zusammenarbeiten und sich insbesondere bei auftretenden Versorgungsengpässen gegenseitig unterstützen und dies in einer Vereinbarung festlegen. Die Gleichzeitigkeit komplexer Krisen erfordert jedoch mehr, weshalb Länder wie Kanada oder Großbritannien Notfallpläne für das Management von Versorgungsengpässen bei labilen Blutkomponenten erstellt haben, die alle an der Hämotherapie beteiligten Akteure berücksichtigen [2, 3]. Auch wenn seitens des Arbeitskreises Blut die Notwendigkeit solcher Preparedness-Pläne erkannt wurde [4], existieren derzeit keine derartigen Pläne in Deutschland. Auch in der Richtlinie zur Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen und zur Anwendung von Blutprodukten (Richtlinie Hämotherapie) findet sich kein Kapitel über eine mögliche Vorgehensweise bei Engpässen von labilen Blutprodukten. Als Erkenntnis aus den Engpässen während der Coronapandemie wurde durch den AK Blut eine Untergruppe „Monitoring“ gebildet mit dem Ziel, eine Plattform zur Datenerfassung des bundesweiten Bestandes an Erythrozytenkonzentraten zu etablieren [5].
Situation in Deutschland
Aufgrund der föderalen Struktur in Deutschland und der damit verbundenen regionalen Zuständigkeit der Aufsichtsbehörden für das Blutspendewesen ist ein bundesweit einheitliches Vorgehen in Krisensituationen, in denen zur Sicherstellung der Versorgung z. B. von den Richtlinien abgewichen werden müsste, äußerst schwierig bzw. nicht umsetzbar.
Die Existenz unterschiedlicher Organisationen im Blutspendewesen in Deutschland kann sich in Krisensituationen als nachteilig erweisen, insbesondere wenn unterschiedliche Kommunikationsstrategien oder unterschiedliche Aussagen zur Versorgungslage getroffen werden. In diesem Artikel soll die Struktur des deutschen Blutspendewesens nicht grundsätzlich infrage gestellt werden, jedoch möchte der Autor auf die Vorsorgepläne in anderen Ländern wie England und Kanada hinweisen. Wir müssen uns auf Mangelsituationen einstellen, da wir sie nie ganz vermeiden können; deshalb sollten wir uns auf solche Engpässe vorbereiten und alle am Blutspendewesen Beteiligten sollten Notfallpläne erstellen und auch regelmäßig üben. In vielen Bereichen wie z. B. Unternehmen gibt es Business-Continuity-Pläne, um Krisen zu bewältigen und den Betrieb aufrechtzuerhalten.
Empfehlungen des EDQM
Auf europäischer Ebene wurde die Notwendigkeit eines strukturierten Vorgehens im Falle eines Blutversorgungsengpasses erkannt. Das European Directorate for the Quality of Medicine & Health (EDQM) hat 2022 ein Dokument mit Empfehlungen und einem Modell zur Vorbereitung auf Blutversorgungsengpässe veröffentlicht, den Blood Supply Contingency and Emergency Plan (B-SCEP) [6]. Natürlich ist es die primäre Aufgabe der Blutspendedienste, eine sichere Versorgung mit Blutprodukten zu gewährleisten, aber die Coronavirus-Pandemie hat die Verwundbarkeit der gesamten Versorgungskette deutlich gemacht. Die Herstellung von Blutprodukten und die Testung der Spenden ist zu einem sehr komplexen Prozess geworden. Die Empfehlungen des B-SCEP beziehen sich daher auf alle Key Stakeholder im Bereich der Blutversorgung. Neben Aufsichtsbehörden und Lieferanten werden auch Maßnahmen für Einrichtungen der Patientenversorgung genannt, insbesondere für Blutdepots in Krankenhäusern werden als spezifische Empfehlungen die folgenden Punkte aufgeführt:
- Verfügt das Blutdepot über eine definierte Strategie zur Kontrolle und Verwaltung der örtlichen Bestände an Blutkomponenten und gibt es eine entsprechende Kommunikationsrichtlinie mit der Blutspendeeinrichtung, die für die Versorgung mit Blutkomponenten verantwortlich ist?
- Gibt es eine Verfahrensanweisung, in der beschrieben wird, wie die Leitung des Blutdepots mit den klinischen Anwendern der Blutprodukte kommuniziert, um eine optimale und selektive Verwendung von Blut und Blutbestandteilen als Reaktion auf eine Notfallsituation zu regeln?
- Ist das immunhämatologische Labor darauf vorbereitet, seine Kapazität der routinemäßigen immunhämatologischen Labormethoden wie Blutgruppenbestimmung, Antikörpersuchtest, Antikörper-Differenzierung und Verträglichkeitsprobe nach Bedarf zu erweitern?
- Sind in den Verträgen mit den Lieferanten von kritischer Ausrüstung und Labortests Maßnahmen festgelegt, um eine Bereitstellung von Material wie Einwegartikel, Testkits und ähnliche Produkte im Notfall sicherzustellen? Solche Maßnahmen können beispielsweise lokal gelagerte Sicherheitsbestände, reservierte Ersatzchargen und Ersatzgeräte sein.
Für eine bessere Planung wurden im B-SCEP verschiedene Alarmlevel definiert, die auch durch Farben entsprechend gekennzeichnet sind. Weiß bedeutet kein Alarm, Grün bedeutet niedrige Alarmstufe, Gelb mittlere Alarmstufe, Orange hohe Alarmstufe und Rot kritische Alarmstufe.
Für verschiedene Risikoszenarien sollten die Beteiligten die zu treffenden Maßnahmen festgelegen: In Tab. 1 werden beispielhaft für das Szenario „Störung oder Beschädigung von Gebäuden oder Einrichtungen“ die Maßnahmen auf höchster Ebene für alle Beteiligten, sortiert nach Alarmstufen dargestellt.