Blutversorgung in Krisenzeiten – Könnten wir uns besser vorbereiten?

DOI: https://doi.org/10.47184/td.2023.02.03

Obwohl die Notwendigkeit eines Managements für die Blutversorgung im Krisenfall anerkannt ist, existieren in Deutschland derzeit noch keine bundesweit abgestimmten Maßnahmenpläne für akute oder chronische Versorgungsengpässe. Letztere könnten sich beispielsweise am Blood Supply Contingency and Emergency Plan des European Directorate for the Quality of Medicine & Health (EDQM) von 2022 orientieren.

Schlüsselwörter: EDQM, B-SCEP, Blutspendewesen, Transfusionsgesetz, Engpass

Tobias Bergner, der u. a. von 2015 bis 2020 als Koordinator für die außenpolitische Dimension globaler Gesundheitsfragen im Auswärtigen Amt tätig war, formuliert in seinem Beitrag „Umgang mit Krisen, über die Schwierigkeit, aus Krisen zu lernen und dennoch Lehren ziehen zu müssen“, dass Krisen nicht vorhersehbar und immer anders sind – und dennoch: Die Analyse der Folgen früherer Krisen kann das Krisenmanagement verbessern und eine vorausschauende Politik ihre zerstörerische Wirkung verringern [1]. Einige seiner Thesen lassen sich auf das Blutspendewesen und die Versorgung mit Blutprodukten übertragen. Zukünftige und auch aktuelle Krisen dürfen uns nicht mehr so unvorbereitet treffen wie die Corona­virus-Pandemie, daher wird im folgenden Artikel auf europäische Empfehlungen zur Sicherstellung der Blutversorgung im Krisenfall eingegangen.

 

Engpässe

Krisensituationen im Blutspendewesen bedeuten, dass nicht genügend Blutprodukte zur Verfügung stehen, um notwendige Bluttransfusionen durchführen zu können. Die Ursachen für solche Engpässe können vielfältig sein. Zum einen kann es sich um einen unerwarteten Mehrbedarf handeln, z. B. bei einem Massenanfall von Schwerstverletzten, bei Verkehrsunfällen, aber auch bei Amokläufen. Dies wäre dann ein akutes Ereignis, das zu einem temporären Mehrbedarf führt. Durch den Ukraine-Krieg müssen wir aber auch ein weiteres Szenario, nämlich die Versorgung mit Blutprodukten im Verteidigungs- oder Bündnisfall, zukünftig in Erwägung ziehen.

Schwerwiegender sind vor allem Engpässe durch mangelnde Spendenbereitschaft, wie wir sie in der Pandemie durch Erkrankung von Spender:innen beobachtet haben. Es kann aber auch zu einem Mangel an Spenden durch Personalmangel kommen, sei es durch Krankheit der Mitarbeiter:innen oder zukünftig durch Fachkräftemangel. Auch andere Einflussfaktoren können zu einem Mangel an Blutprodukten führen: Unterbrechung der Lieferkette von kritischem Material wie Blutbeutel, Apherese-Sets oder Test­reagenzien. Zukünftig könnten klimatische Veränderung an Bedeutung für das Blutspendewesen gewinnen. Die Erfahrungen aus der Flutkatastrophe im Ahrtal haben uns gelehrt, dass plötzlich eine vorhandene Infrastruktur zerstört werden kann und von heute auf morgen keine Räumlichkeiten für die Durchführung von Blutspendeterminen mehr vorhanden sein können, Weitere Kollateralfolgen dieser Naturkatastrophe waren das Fehlen der ehrenamtlichen Rotkreuz-Mitarbeitenden für die Blutspendetermine, welche dann als Katastrophenhelfer im Einsatz waren.

Gesetzliche Grundlage

Ohne Blutprodukte fehlt ein wesentlicher Baustein in der Versorgung schwer kranker Patient:innen. Aus dieser Erkenntnis heraus hat der Gesetzgeber in dem bereits 1998 verabschiedeten Transfusionsgesetz in § 1 als Zweck die gesicherte und sichere Versorgung der Bevölkerung mit Blutprodukten genannt. Um die Blutversorgung sicherzustellen, wird in § 3 des Transfu­sionsgesetzes gefordert, dass die Blutspendeeinrichtungen zusammenarbeiten und sich insbesondere bei auftretenden Versorgungsengpässen gegenseitig unterstützen und dies in einer Vereinbarung festlegen. Die Gleichzeitigkeit komplexer Krisen erfordert jedoch mehr, weshalb Länder wie Kanada oder Großbritannien Notfallpläne für das Management von Versorgungsengpässen bei labilen Blutkomponenten erstellt haben, die alle an der Hämotherapie beteiligten Akteure berücksichtigen [2, 3]. Auch wenn seitens des Arbeitskreises Blut die Notwendigkeit solcher Preparedness-Pläne erkannt wurde [4], existieren derzeit keine derartigen Pläne in Deutschland. Auch in der Richtlinie zur Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen und zur Anwendung von Blutprodukten (Richtlinie Hämotherapie) findet sich kein Kapitel über eine mögliche Vorgehensweise bei Engpässen von labilen Blutprodukten. Als Erkenntnis aus den Engpässen während der Coronapandemie wurde durch den AK Blut eine Untergruppe „Monitoring“ gebildet mit dem Ziel, eine Plattform zur Datenerfassung des bundesweiten Bestandes an Erythrozytenkonzentraten zu etablieren [5].

 

Situation in Deutschland

Aufgrund der föderalen Struktur in Deutschland und der damit verbundenen regionalen Zuständigkeit der Aufsichtsbehörden für das Blutspendewesen ist ein bundesweit einheitliches Vorgehen in Krisensituationen, in denen zur Sicherstellung der Versorgung z. B. von den Richtlinien abgewichen werden müsste, äußerst schwierig bzw. nicht umsetzbar.

Die Existenz unterschiedlicher Organisationen im Blutspendewesen in Deutschland kann sich in Krisensituationen als nachteilig erweisen, insbesondere wenn unterschiedliche Kommunikationsstrategien oder unterschiedliche Aussagen zur Versorgungslage getroffen werden. In diesem Artikel soll die Struktur des deutschen Blutspendewesens nicht grundsätzlich infrage gestellt werden, jedoch möchte der Autor auf die Vorsorgepläne in anderen Ländern wie England und Kanada hinweisen. Wir müssen uns auf Mangelsituationen einstellen, da wir sie nie ganz vermeiden können; deshalb sollten wir uns auf solche Engpässe vorbereiten und alle am Blutspendewesen Beteiligten sollten Notfallpläne erstellen und auch regelmäßig üben. In vielen Bereichen wie z. B. Unternehmen gibt es Business-Continuity-Pläne, um Krisen zu bewältigen und den Betrieb aufrechtzuerhalten.

 

Empfehlungen des EDQM

Auf europäischer Ebene wurde die Notwendigkeit eines strukturierten Vorgehens im Falle eines Blutversorgungsengpasses erkannt. Das European Directorate for the Quality of Medicine & Health (EDQM) hat 2022 ein Dokument mit Empfehlungen und einem Modell zur Vorbereitung auf Blutversorgungsengpässe veröffentlicht, den Blood Supply Contingency and Emergency Plan (B-SCEP) [6]. Natürlich ist es die primäre Aufgabe der Blutspendedienste, eine sichere Versorgung mit Blutprodukten zu gewährleis­ten, aber die Coronavirus-Pandemie hat die Verwundbarkeit der gesamten Versorgungskette deutlich gemacht. Die Herstellung von Blutprodukten und die Testung der Spenden ist zu einem sehr komplexen Prozess geworden. Die Empfehlungen des B-SCEP beziehen sich daher auf alle Key Stakeholder im Bereich der Blutversorgung. Neben Aufsichtsbehörden und Lieferanten werden auch Maßnahmen für Einrichtungen der Patientenversorgung genannt, insbesondere für Blutdepots in Krankenhäusern werden als spezifische Empfehlungen die folgenden Punkte aufgeführt:

  1. Verfügt das Blutdepot über eine definierte Strategie zur Kontrolle und Verwaltung der örtlichen Bestände an Blutkomponenten und gibt es eine entsprechende Kommunikationsricht­linie mit der Blutspendeeinrichtung, die für die Versorgung mit Blutkomponenten verantwortlich ist?
  2. Gibt es eine Verfahrensanweisung, in der beschrieben wird, wie die Leitung des Blutdepots mit den klinischen Anwendern der Blutprodukte kommuniziert, um eine optimale und selektive Verwendung von Blut und Blutbestandteilen als Reaktion auf eine Notfallsituation zu regeln?
  3. Ist das immunhämatologische Labor darauf vorbereitet, seine Kapazität der routinemäßigen immunhämatologischen Labormethoden wie Blutgruppenbestimmung, Antikörpersuchtest, Antikörper-Differenzierung und Verträglichkeitsprobe nach Bedarf zu erweitern?
  4. Sind in den Verträgen mit den Lieferanten von kritischer Ausrüstung und Labortests Maßnahmen festgelegt, um eine Bereitstellung von Material wie Einwegartikel, Testkits und ähnliche Produkte im Notfall sicherzustellen? Solche Maßnahmen können beispielsweise lokal gelagerte Sicherheitsbestände, reservierte Ersatzchargen und Ersatzgeräte sein.

Für eine bessere Planung wurden im B-SCEP verschiedene Alarmlevel definiert, die auch durch Farben entsprechend gekennzeichnet sind. Weiß bedeutet kein Alarm, Grün bedeutet niedrige Alarmstufe, Gelb mittlere Alarmstufe, Orange hohe Alarmstufe und Rot kritische Alarmstufe.

Für verschiedene Risikoszenarien sollten die Beteiligten die zu treffenden Maßnahmen festgelegen: In Tab. 1 werden beispielhaft für das Szenario „Störung oder Beschädigung von Gebäuden oder Einrichtungen“ die Maßnahmen auf höchster Ebene für alle Beteilig­ten, sortiert nach Alarmstufen dargestellt.

Tab. 1: Risikoszenario: Störung oder Beschädigung von Gebäuden oder Einrichtungen (ins Deutsche übersetzt aus [6]).
Wichtige Stakeholder des Risikoszenarios: 
A. Nationale zuständige Behörde 
B. Blutspendeeinrichtung 
C. Krankenhaus-Blutbanken 
Weitere Beteiligte könnten sein: das Gesundheitsministerium, lokale/zivile Behörden, Überwachungsstellen für öffentliche Gesundheit oder Hämo­vigilanz, Lieferanten von Ausrüstungen/Materialien/Reagenzien, Spendertestlaboratorien, Transportunternehmen, Spender- oder Patientenverbände, Krankenhäuser/Krankenhaustransfusionsausschüsse, Rettungsdienste und die Streitkräfte. 

Alarmstufen

Wichtige

Stakeholder

Spezifische Maßnahmen der

Stakeholder für das Risikoszenario

Gewünschte Resultate

Keine

Alarmstufe (Weiß)

B, C

Überwachung der Blutvorräte

Erkennen von Trends/frühen Anzeichen einer möglichen Störung

Niedrige

Alarmstufe (Grün)

B oder C, abh. von der Lokalisation der Störung/des Schadens

Durchführung von Strategien zur Schadensbegrenzung und

-minderung des Ereignisses

Vermeiden einer Eskalation der Warnung, Rückkehr zur normalen/nicht vorhandenen Warnstufe

B, C

Mitteilung etwaiger Verzögerungen bei der Freigabe, Verteilung oder Herausgabe an die betroffenen Akteure

Sensibilisierung für mögliche Verzögerungen; Sicherstellen, dass die Auswirkungen auf die Versorgung bei Transfusionsentscheidungen berücksichtigt werden

B, C

Verstärkte Überwachung der Blutbestände

Sicherstellen einer ausreichenden Versorgung; Vorbereitung auf die Notwendigkeit einer möglichen Umverteilung zwischen
Krankenhausblutbanken

B oder C, abh. von der Lokalisation der Störung/des Schadens

Sicherstellen einer ordnungsgemäßen Dokumentation des Vorfalls

Verfügbarkeit angemessener und aktueller Informationen über die Situation

Mittlere

Alarmstufe (Gelb)

B

Umsetzung von Strategien, um bei Bedarf Unterstützung bei bestimmten Blutbestandteilen oder Blutgruppen von Blutspendenden oder anderen Blutspendezentren zu erhalten

Milderung der Auswirkungen auf die Blutversorgung

B

Umsetzung von Strategien zur Erhöhung oder Anpassung der Spende oder Verarbeitung

Milderung der Auswirkungen auf die Blutversorgung

B

Umsetzung von Backup-Strategien für reduzierte Kapazitäten oder Einrichtungen für Spenden, Verarbeitung oder Lagerraum

Milderung der Auswirkungen auf die Blutversorgung

B, C

Kommunikation mit den betroffenen Akteuren über die laufenden Maßnahmen zur Schadensbegrenzung und die erwarteten Folgen des Schadens/der Störung für die Blutversorgung

Sicherstellen, dass alle Beteiligten informiert sind und zusammenarbeiten; Sicherstellung eines effektiven Patient-Blood-Managements

A, B

Sicherstellen einer ordnungsgemäßen Meldung an die Aufsichts-behörden, soweit erforderlich

Ermittlung des Bedarfs für regulatorische Aufsicht

Hohe

Alarmstufe (Orange)

B

Umsetzen von Strategien, um umfangreiche Unterstützung mit Blut und Blutbestandteilen von Blutspendenden oder anderen Blut­spendeeinrichtungen zu erhalten

Sicherstellen, dass Blut und Blutbestandteile für alle wichtigen Transfusionen zur Verfügung stehen

B

Umsetzen von anwendbaren Kontingenzvereinbarungen mit anderen Blutspendeeinrichtungen

Sicherstellen, dass Blut und Blutbestandteile für alle wichtigen Transfusionen zur Verfügung stehen

B

Umsetzung von Strategien zur Personalverteilung, soweit zutreffend

Sicherstellen, dass Blut und Blutbestandteile für alle wichtigen Transfusionen zur Verfügung stehen

B, C

Gewährleistung einer wirksamen und regelmäßigen Kommunikation mit allen betroffenen Akteuren über die laufenden Maßnahmen zur Schadensbegrenzung und die Folgen des Schadens/der Störung für die Blutversorgung, einschließlich der Notwendigkeit einer möglichen Absage von elektiven Eingriffen/einer Umleitung von Patient:innen

Sicherstellen, dass alle Beteiligten informiert sind und zusammenarbeiten; Sicherstellen eines effektiven Patient-Blood-Managements, einschließlich Rationalisierung und optimaler Verwendung

A, B

Bei Bedarf Gewähren von Ausnahmen von behördlichen

Genehmigungen

Sicherstellen, dass Blut und Blutbestandteile für alle wichtigen Transfusionen zur Verfügung stehen

A, B

Zusammenarbeit mit anderen zuständigen nationalen Behörden und anderen nationalen Einrichtungen, z. B. mit dem nationalen Gesundheitsdienst oder dem Gesundheitsministerium

Sicherstellen, dass geeignete Abhilfemaßnahmen unterstützt und bei Bedarf eskaliert werden; Sicherstellen der Bereitschaft für die Bereitstellung intensivmedizinischer Patientenversorgung

Kritische

Alarmstufe (Rot)

B

Zuteilung von Spende-, Verarbeitungs- und Personalressourcen an andere Blutspendeeinrichtungen je nach Bedarf und entsprechend den Notfallvorkehrungen

Sicherstellen, dass Sofortmaßnahmen ergriffen werden, um Blut und Blutbestandteile für die intensivmedizinische Versorgung
bereitzustellen

C

Kommunikation der Notwendigkeit einer Umleitung von Patient:innen

Sicherstellen, dass Notfallverfahren für die intensivmedizinische Versorgung von Patient:innen durchgeführt werden

A, B

Einleitung der erforderlichen Verfahren für internationale Hilfe, einschließlich der Unterstützung durch andere zuständige nationale Behörden

Sicherstellen, dass Notfallverfahren für die intensivmedizinische Versorgung von Patient:innen durchgeführt werden

Wieder-

herstellung 

B, C

Umsetzung von Strategien zur Rückkehr zur normalen/

nicht vorhandenen Warnstufe

Sicherstellen einer angemessenen/ausgewogenen Rückkehr zur
Routine; Vermeidung eines erneuten Auftretens des abgeschwächten Szenarios oder neuer Risiken

B

Informieren der Beteiligten über den Rückkehrprozess

Sicherstellen einer angemessenen/ausgewogenen Rückkehr zur
Routine; Vermeidung eines erneuten Auftretens des abgeschwächten Szenarios oder neuer Risiken

A, B, C

Durchführen angemessener nicht dringender Dokumentation

Gewährleisten einer ordnungsgemäßen Dokumentation der während des Risikoszenarios ergriffenen Maßnahmen und Verfahren

A, B, C

Bewertung der Wirksamkeit der durchgeführten Maßnahmen und entsprechende Aktualisierung des B-SCEP

Einführen neuer, verbesserter Bereitschaftsmaßnahmen

So sollten die Maßnahmen der höheren Alarmstufen der Liste der bereits durchgeführten Maßnahmen der niedrigeren Alarmstufen hinzugefügt werden, sofern sie nicht durch eine neue Maßnahme ersetzt werden.

In diesem Beispiel eines fiktiven Risikoszenarios werden die Maßnahmen von drei Beteiligten (A – zuständige Behörde, B – Blutspendeeinrichtung, C – Krankenhausblutbank) ermittelt. Die Hauptakteure und Maßnahmen sind hier nur als Beispiele aufgeführt.

 

Schlussfolgerung

Die Versorgung mit Blutprodukten ist ein wesentlicher Bestandteil bei der Versorgung schwer kranker Personen und muss sichergestellt werden. Aufgrund der weltweit zunehmenden Krisen bedarf es nationaler Notfallpläne für Versorgungsengpässe, die es allen Beteiligten ermöglichen, sich auf entsprechende Engpässe vorzubereiten, um die negativen Folgen zu reduzieren. Als Beispiel wird auf die Empfehlungen des European Directorate for the Quality of Medicine & Health (EDQM) von 2022, den Blood Supply Contingency and Emergency Plan (B-SCEP) verwiesen.  

Autor
Dr. med. Andreas Opitz
DRK-Blutspendedienst Rheinland-Pfalz und Saarland gGmbH