Das Konzept der Referenzintervalle (abgekürzt RI) wurde vor über einem halben Jahrhundert entwickelt [1] und hat sich als Interpretationshilfe von Laborwerten in der Medizin fest etabliert. Deshalb ist die Angabe geeigneter Grenzwerte im Befundbericht nach Rili-BÄK und ISO 15189 zwingend vorgeschrieben, und auch die Quelle muss in der Verfahrensbeschreibung jedes angebotenen Analyten dokumentiert werden [2].
In aller Regel werden die Referenzintervalle aus Herstellerangaben oder der Fachliteratur übernommen. Dies ist durchaus zulässig, doch die medizinische Verantwortung für die Gültigkeit der Angaben liegt ausschließlich beim Labor. Daraus leitet sich die Forderung ab, dass jeder Anbieter von Laborleistungen in der Lage sein muss, die Übertragbarkeit extern ermittelter Referenzintervalle anhand eigener Messungen zu überprüfen [2–4].
Gerade die Angaben auf den Beipackzetteln der Hersteller sind oft veraltet und in Bezug auf bestimmte Altersgruppen (Säuglinge, Senioren) lückenhaft. Oder sie passen nicht zu den lokalen präanalytischen und analytischen Gegebenheiten wie z. B. Probentransport, Blutentnahme im Krankenhaus (vorwiegend morgens am liegenden Patienten) versus Arztpraxis (meist tagsüber im Sitzen), sowie zum Einfluss des Analysegeräts, der Antikörpercharge (bei Immunoassays) usw. Die Variabilität dieser Faktoren ist so groß, dass man sie bei der Übertragung der Grenzwerte von einem Labor auf ein anderes kaum alle berücksichtigen kann.
Indirekte Verfahren
Über das Ob einer lokalen RI-Prüfung gibt es also – zumindest in Deutschland – kaum noch Diskussionen, wohl aber über das Wie. Definitionsgemäß umfassen Referenzintervalle die zentralen 95 % der Messwerte von „offensichtlich gesunden Individuen“ [3], aber die leitliniengerechte Identifizierung und Rekrutierung solcher Personen ist in der Praxis aus Zeit- und Kostengründen nicht realisierbar [4].
Deshalb wurden in den letzten Jahren zahlreiche indirekte Verfahren beschrieben, die es erlauben, aus Routinewerten mithilfe statistischer Modellannahmen die „vermutlich nichtpathologischen“ Werte zu identifizieren und deren nicht direkt ablesbare Referenzgrenzen über mathematische Parameter wie Mittelwert und Standardabweichung zu schätzen (zur Nomenklatur siehe Glossar).