Plasmazellen außer Kontrolle

Multiples Myelom – Plasmozytom

Das Multiple Myelom ist eine maligne hämatologische Erkrankung, verursacht durch die Proliferation entarteter Plasmazellen. Die Diagnostik umfasst neben Anamnese und körperlicher Untersuchung vor allem Blut- und Urintests sowie Knochenmarkausstriche, welche auch zur Stadieneinteilung und Verlaufskontrolle dienen. Die Entscheidung für eine systemische Therapie erfolgt in der Regel erst, wenn Organschäden eingetreten sind oder kurz bevorstehen. Die Therapie wird individuell u. a. anhand von biologischem Alter, Ko-Morbiditäten und Laborbefunden des Patienten festgelegt.
Schlüsselwörter: Multiples Myelom, M-Gradient, Immunfixation, freie Leichtketten, Plasmazellen

Das Multiple Myelom (MM) ist eine derzeit noch meist unheilbare, maligne hämatologische Systemerkrankung, die in der Sys­tematik der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu den lymphoproliferativen B-Zellerkrankungen gerechnet wird [1]. Ihre Inzidenz liegt weltweit bei etwa 6–7 Fällen pro 100.000 Ein­wohnern pro Jahr; in Deutschland zählt das Multiple Myelom damit zu den 20 häufigsten Tumorerkrankungen. Pathophysiologische Grundlage ist die unkontrollierte Vermehrung monoklonaler Plasmazellen, weshalb die Erkrankung auch als Plasmozytom bezeichnet wird. Die Proliferation ist i. d. R. auf das Knochenmark beschränkt und führt zu einer Produktion von intakten, aber funktionslosen Immun­globulinen und/oder freien leichten Ketten eines Immunglobulins [2].
Pathogenese und Klinik
Das Multiple Myelom (MM) wird zwar als eine Krankheitsentität gesehen, ist aber genetisch und klinisch sehr heterogen. Die wichtigsten Untergruppen sind die MGUS (Monoklonale Gammopathie Unklarer Signifikanz), das „schwelende Myelom“ (Smoldering Myeloma, SMM)  und das klinisch manifeste MM (Tab. 1). Bei MGUS kann im Blut ein Paraprotein, also ein monoklonaler Antikörper nachgewiesen werden; die Patienten zeigen jedoch keine Krankheitszeichen. Das Risiko für den Übergang von einer MGUS in ein Multiples Myelom liegt bei 1 bis 1,5% pro Jahr. 
Beim Smoldering Myelom ist zwar der Anteil pathologischer Plasmazellen im Knochenmark deutlich erhöht oder ein Paraprotein stark vermehrt, jedoch ohne klinische Symptome oder Zeichen einer Organbeteiligung.
Die Auslöser der Entartung der Plasmazellen sind weitgehend unbekannt, doch bei immerhin etwa 40% der Patienten findet man zytogenetisch Trisomien verschiedener Chromosomen. Translokatio­nen mit Beteiligung des Immunglobulin-Schwerkettengens (IgH) treten bei vielen nicht-hyper­diploiden Myelomen im Chromosom 14q32 auf. Häufig sind auch reziproke Translokationen wie z. B. t(11;14), t(4;14) oder t(14;16). Diese primären genetischen Aberrationen können auch bei Patienten mit MGUS nachgewiesen werden. Die genetischen Aberrationen haben Einfluss auf das klinische Bild, die Prognose und das Ansprechen auf verschiedene Therapien.
Patienten mit Multiplem Myelom suchen den Arzt häufig wegen unspezifischer Symptome, die meist schon über einen längeren Zeitraum bestehen, auf (Tab. 2). Die Diagnostik des Multiplen Myeloms ist eine Domäne der Labormedizin, umfasst aber neben der wegweisenden Anamnese und körperlichen Untersuchung auch die Bildgebung. Diese dient vor allem zur Erfassung von Knochenveränderungen. Hier wurde das konventionelle Ganzkörperröntgen nach „Pariser Schema“ weitgehend durch die „low dose“-Ganzkörper-Computertomografie oder die deutlich sensitivere Ganzkörper-Magnetresonanztomografie abgelöst.

Labordiagnostik

Die Labordiagnostik stellt einen ganz wichtigen Aspekt in der Primärdiagnostik, aber auch in der Stadieneinteilung, Verlaufsbeobachtung und Beurteilung von Remissionen unter der Therapie dar. Bei jedem klinischen Verdacht auf ein MM sollte eine Basisdiagnostik durchgeführt werden (Tab. 3).
Die spezifische Diagnose eines Multiplen Myeloms basiert auf der Untersuchung von Serum und Urin auf ein Paraprotein, also den monoklonalen Antikörper, der von den entarteten monoklonalen Plasmazellen produziert wird. Dafür stehen verschiedene Verfahren zur Verfügung.
Die Basismethode ist die Serumelektrophorese. Hier können Paraproteine als „M-Gradient“ (M steht für monoklonales Immunglobulin) festgestellt werden, zu erkennen an der charakteristischen „Zacke“ im Elektropherogramm (Abb. 1).

Die spezifische Diagnose eines Multiplen Myeloms basiert auf der Untersuchung von Serum und Urin auf ein Paraprotein, also den monoklonalen Antikörper, der von den entarteten monoklonalen Plasmazellen produziert wird. Dafür stehen verschiedene Verfahren zur Verfügung.
Die Basismethode ist die Serumelektrophorese. Hier können Paraproteine als „M-Gradient“ (M steht für monoklonales Immunglobulin) festgestellt werden, zu erkennen an der charakteristischen „Zacke“ im Elektropherogramm (Abb. 1).
Diese Methode wurde schon in den Anfängen der Labormedizin etabliert, ist relativ billig und wird auch heute noch zum Screening eingesetzt. Allerdings muss man wissen, dass falsch negative und falsch positive Ergebnisse häufig sind: Einerseits können verschiedene Proteine und auch Medikamente einen M-Gradienten vortäuschen (s. Tab. 4), andererseits ist die analytische Sensitivität der Elektrophorese im Vergleich zu den heute verfügbaren und im Folgenden beschriebenen Verfahren gering.
Um den Faktor 10 sensitiver ist die Immun­fixation, und nochmal deutlich sensitiver die Bestimmung der freien Leichtketten im Immunoassay (Tab. 4). Mittlerweile gibt es auch einen Immunoassay, der Paraproteine aus kompletten monoklonalen Antikörpern quantifizieren kann.

Mit der Immunfixation wird der Isotyp des gebildeten monoklonalen Immun­globulins einschließlich der dazugehörigen Leichtkette bestimmt. Das Ergebnis dient auch der Einteilung des Multiplen Myeloms nach Paraproteintyp. Die Häufigkeit der Para­proteine folgt der physiologischen Konzentration der Isotypen: So ist das IgG-Plasmozytom das häufigste, gefolgt von IgA mit einer gemeinsamen Inzidenz von etwa 80% der MM. Seltener findet man IgM-Myelome (M. Waldenström). IgD-/IgE-Myelome sind Raritäten, die in der Basisuntersuchung nur vermutet werden können, da hier keine Differenzierung von IgD und IgE vorgenommen wird. Hinweisend sind leichte Ketten im Serum ohne Nachweis von Bence-Jones-Protein im Urin.
Sehr selten sind schließlich Patienten mit asekretorischen Myelomzellen. Bei den Leichtkettenmyelomen werden lediglich inkomplette Immunglobuline, eben Leichtketten vom Typ Kappa oder Lambda, gebildet. Etwa 20% der Myelomerkrankungen fallen in diese Kategorie.
Als sensitivste Methode zum Nachweis von Paraproteinen hat in den letzten Jahren die immunologische Bestimmung von freien Leichtketten Einzug in die Routine­diagnostik gehalten und nun auch Eingang in die Leitlinien [3] gefunden. Sie ist zudem gut automatisierbar und standardisierbar und liefert einen quantitativen Wert, sodass sich das Verfahren auch für das Monitoring in der Verlaufskontrolle eignet. Von einem kompletten Ansprechen auf die Therapie (Complete Response, CR) sprach man bisher, wenn die Immunfixation negativ wird. Mit den neuen Testmöglichkeiten gelingt es aber auch, eine minimale Resterkrankung beim MM zu erfassen (Minimal Residual Disease, MRD). Wie schon bei anderen malignen hämatologischen Systemerkrankungen, insbesondere der CML (chronisch myeloische Leukämie) ist es durchaus interessant, auch eine minimale Belastung mit verbliebenen Tumorzellen im Auge zu behalten, um gegebenenfalls schnell wieder mit der Therapie zu eskalieren. Neben dem Nachweis bzw. dem Verschwinden der freien Leichtketten wird hier auch die Anzahl der klonalen Plasmazellen im Knochenmark untersucht.
Für das Staging haben sich zwei einfache Parameter gut etabliert, die mit der Prognose – insbesondere mit der medianen Überlebenszeit – stark assoziiert sind. Dabei handelt es sich um das Serum­albumin und das β2-Mikroglobulin (Tab. 5). Weitere Laborparameter sind wichtig, um den Kliniker bei der Entscheidung für den Beginn einer Therapie zu unterstützen. Dabei unterscheidet man zwischen Laborwerten, die dafür sprechen, dass Organschäden unmittelbar bevorstehen (SLiM-Kriterien) oder bereits eingetreten sind (CRAB-Kriterien) (Tab. 6).

Paraproteine können auch klinisch in Erscheinung treten, wenn sie bestimmte Eigenschaften aufweisen. Einige von ihnen, die sog. Kryoglobuline, präzipitieren in der Kälte und können zu Raynaud-artigen akralen Durchblutungsstörungen führen. Da diese bei routinemäßiger Verarbeitung der Serumproben vorzeitig ausfallen, dann unbemerkt mit abzentrifugiert werden und nicht mehr nachgewiesen werden können, ist Prä­analytik hier von besonderer Bedeutung: Das Blut muss in einem vorgewärmten Serum-Röhrchen abgenommen werden, mit 37 °C in das Labor gelangen und sofort in einer vorgewärmten Zentrifuge abzentrifugiert werden. Eine Portion des Serums wird in den Kühlschrank gestellt, wo die Kryoglobuline als milchiges Sediment ausfallen.
Durch Polymerbildung, Präzipitation, Ablagerung bzw. Bindung an Blutzellen oder Gerinnungsfaktoren können manche Paraproteine zu klinischen Manifes­tationen wie Hyperviskositätssyndrom, AL-Amyloidose, Polyneuropathien, Blutungsneigung oder Autoimmunhämolytischen Anämien führen. Hier ist zu beachten, dass die Konzentrationen der Paraproteine oft so niedrig sind, dass sie in der Serumelektrophorese nicht auffallen, d. h. bei entsprechender Klinik muss unbedingt auch bei unauffälliger Serum­elektrophorese eine Immunfixation oder der Nachweis freier Leichtketten über einen Immunoassay geführt werden.

Vorbeugung und Früherkennung

Die aktuelle Leitlinie der DGHO [3] weist noch keine Evidenz für wirksame Maßnahmen zur Vorbeugung aus. Folglich wird eine Früherkennung auf der Basis einer labordia­gnostisch nachweisbaren monoklonalen Gammopathie unklarer Signifikanz nicht empfohlen. Sie wäre nur dann sinnvoll, wenn die frühe Diagnose und Therapie eines MGUS oder eines Multiplen Myeloms eine verbesserte Prognose bedingte. Dies ist jedoch bisher nicht belegt. Hinzu kommt, dass mit zunehmendem Alter der Nachweis geringer Mengen von Paraprotein nicht selten ist. Bei 1–5% der über 60-Jährigen ist ein Paraprotein ohne Klinik – also ein MGUS – als Zufallsbefund nachweisbar, wovon nur wenige eine klinische Manifes­tation erleben werden.
Unter Führung der Universität Island läuft gerade eine groß angelegte MGUS Screening-Studie (iStopMM – Iceland Screens, Treats or Prevents Multiple Myeloma), die Blutproben von etwa 140.000 Isländern ab dem 40. Lebensjahr umfasst. Getestet wird mit Elektrophorese-Methoden und einem Immunoassay zum Nachweis monoklonaler freier Leichtketten im Plasma. Begleitend dazu werden zwei Therapiestudien (CESAR “Cure” trial und ASCENT “Cure” trial) durchgeführt, die abklären sollen, ob eine frühe Therapie, evtl. bereits im Stadium eines MGUS oder Smoldering Myeloms, einen Vorteil für die betroffenen Personen – es sind ja laut aktueller Einschätzung noch keine Patienten – hat (www.myeloma.org/istopmm).

Autoren
Prof. Dr. med. Rudolf Gruber
Mitglied der Redaktion
Dr. med. Bernhard Heilmeier
Krankenhaus der Barmherzigen Brüder Regensburg, Klinik für Onkologie und Hämatologie