Zu hohe Erwartungen?

Etwa 6.000 Publikationen pro Jahr belegen, dass sich um die Mikrobiom­forschung in den letzten Jahren ein wahrer Hype entwickelt hat. Auch auf den Kongressen der medizinischen Mikrobiologie ist das Thema inzwischen sehr präsent, denn mittels Genomsequenzierung hat man jenseits der kultivierbaren Mikro­organismen eine Vielzahl bisher kaum zugänglicher und unbekannter Bakterien, Viren, Pilze und Protozoen entdeckt. Diese Erkenntnisse könnten die klinische Mikrobiologie revolutionieren.

Bislang stand die Rolle der Mikroben als Krankheitserreger im Vordergrund, doch nun scheint die Musik vor allem bei den Kommensalen und Sym­bionten zu spielen. Den unglaublichen Datenmengen der Mikrobiomforschung stehen riesige Erwartungen gegenüber, dass man über eine gezielte Beeinflussung mikrobieller Habitate Einfluss auf unsere gesamte gesundheitliche Entwicklung nehmen könne. Die pathogenen Erreger geraten dabei fast zur „kakofonen Begleitmusik".

Bei allem Enthusiasmus muss man bedenken, dass die zum Teil faszinierenden Untersuchungsergebnisse vom Zeitpunkt der Probennahme, dem Aufschlussverfahren, der Primerauswahl und anderen kaum standardisierten Faktoren abhängen, und dass die Mechanismen der Wechselbeziehung zwischen Mikrobiota und Wirt nur in Ansätzen bekannt sind. Hier kommt noch viel Basisarbeit auf uns zu, ehe die Mikrobiomdiagnostik Relevanz im klinischen Alltag erlangt.


Dr. med. Dr. rer. nat. Anton Hartinger

Mitglied des Fachbeirats