Die alte Dame bleibt attraktiv

Aktuelle Entwicklungen in der Hämatologie

In der Hämatologie kamen Anfang 2017 mehrere interessante Neu- und Weiterentwicklungen auf den Markt. Sie betreffen vor allem die Automation im großen und kleinen Labor sowie die Analysen- und Färbetechnik. Wegen methodischer Unterschiede sollte jedes Labor die vom Hersteller angegebenen Referenzintervalle selbst überprüfen.

Schlüsselwörter: Hämatologie, Automation, Durchflusszytometrie, Färbung, Referenzintervalle

Innovationen in der Labormedizin beschränken sich keineswegs auf multiparametrische Zukunftstechniken wie Massenspektrometrie oder Hochdurchsatzsequenzierung. Auch in den scheinbar ausgereiften klassischen Disziplinen der Hämatologie und Klinischen Chemie kamen 2017 neue Gerätelinien auf den Markt, die einen höheren Automationsgrad und noch mehr Bedienungskomfort für mittlere bis große Labore bieten (z. B. S. 140).

Vor allem der Anschluss von Hämatologiegeräten inklusive Färbeautomaten und automatisierter Mikroskopie an eine Probenstraße wird im oberen Marktsegment zunehmend zum Standard (S. 112). Aber auch im Kleinen schreitet die Vollautomation voran: Immer mehr Hämatologiegeräte machen das Blutbild und ausgewählte klinisch-chemische Parameter für die patientennahe Sofortdiagnostik auf Knopfdruck verfügbar (S. 115), oder liefern sogar ein hochwertiges 5-part-Differenzialblutbild (S. 111).

Auch hinsichtlich der Analysentechnik bleibt die alte Dame Hämatologie durch Neuentwicklungen wie zum Beispiel digitale Zellzählung und -klassifikation sowie zunehmende Integration von laser- und fluo­reszenzbasierten Verfahren in Standard-Blutbildgeräte attraktiv. Hervorzuheben ist hier die technische Herausforderung, Fluo­reszenzfärbungen innerhalb sehr kurzer Messzeiten durchzuführen; dies gelingt z. B. durch spezielle Lysereagenzien, die die Zellmembran für Farbstoffe durchlässiger machen. Zum Stammzellscreening auf einem Routinegerät finden Sie Informationen auf der hinteren Umschlagseite.

 

Parametervielfalt

Aber was heißt schon „multiparametrische Zukunftstechniken"? Auch das in der täglichen Routine etablierte maschinelle Blutbild hat sich vom „3-part-" und „5-part-Differential" zu einem Datensatz mit zum Teil mehr als 50 gemessenen und berechneten Größen entwickelt, deren Zahl durch die zunehmende Verschmelzung von klassischen Zähl- und Messverfahren mit der Durchflusszytometrie noch weiter zunehmen dürfte.

Viele dieser Parameter kommen eher für wissenschaftliche Fragestellungen zum Einsatz (RUO = research use only), aber diejenigen, die von nahezu allen Herstellern unterstützt werden, haben sich inzwischen auch in der Routine etabliert. So verbessert die Erythrozytenverteilungsbreite (Standardabweichung, Variationskoeffi­zient) im Vergleich zum MCV die Einordnung von Anämien, und die Verteilungsbreite der Thrombozyten erlaubt Aussagen über deren Aktivierungszustand im Rahmen von Gerinnungsvorgängen. Allerdings sind hier methodenspezifische Referenzwerte zu beachten, da die Verfahren nicht identisch sind.

 

Kenngrößen

Rotes BB

HbA, G, L, Ery (RBC)A, G, L, HktG, MCVA, H, L, MCHA, MCHCG, H, RDWH, Reti%H

Weißes BB

Leu (WBC)G, NeutG, LymphG, MonoG, H, EoG, H, BasoH

Thrombo

THR (PLT)G, H, MPVH

Tab. 1: Abhängigkeit der Referenzintervalle für häufig gemessene Kenngrößen des maschinellen Blutbilds von folgenden Faktoren: A = Alter, G = Geschlecht, H = Hersteller, L = Labor (nach Nebe et al.[1]).

  

Systemvergleich

In einer multizentrischen Studie unter-suchten 2011 neun hämatologische Labore zwischen München und Rostock, inwieweit die Referenzintervalle des maschinellen Blutbilds neben Alter und Geschlecht auch durch das Analysensystem bzw. lokale Gegebenheiten des jeweiligen Labors bestimmt werden[1]. Die Essenz ist in Tab. 1 zusammengefasst. Aus der Übersicht wird klar, dass zahlreiche Kenngrößen aus allen drei Zellreihen von System zu System signifikante Unterschiede aufweisen können; beim roten Blutbild zeigen sich zudem vom Analysensystem unabhängige Differenzen zwischen einzelnen Zentren, die möglicherweise auf Besonderheiten der Kalibration zurückzuführen sind. Daraus resultiert, dass jedes Labor seine Verfahren sehr gut evaluieren und die vom Hersteller angegebenen Referenzintervalle mit einem direkten oder indirekten Verfahren[2] überprüfen sollte. Dies gilt umso mehr für tiefergehende, zum Teil herstellerspezifische Parameter, etwa „immature granulocytes" oder „large unstained cells"; solche Kenngrößen sind als Warnhinweise vor allem nützlich, um eine detaillierte mikroskopische bzw. immunologische Analyse zu veranlassen.

So bleibt trotz aller technischen Fortschritte beim maschinellen Blutbild der gefärbte Blutausstrich eine unverzichtbare Säule der hämatologischen Diagnostik. Leider entspricht die Vergütung längst nicht mehr dem manuellen Aufwand, und deshalb ist es erforderlich, die Arbeitsabläufe so rationell wie möglich zu gestalten – sei es durch vorkonfektionierte Reagenzien für gelegentliche Färbungen (S. 111) oder durch weitestgehend automatisierte Verarbeitung von Blut- und Knochenmarkausstrichen bei mittleren bis hohen Probendurchsätzen (S. 113).

 

Literatur:
[1] Nebe T et al. J Lab Med 2011; 35(1):3–28
[2] Zierk J et al. CCLM 2013; 51(4):863–72

Dr. rer. nat. Gabriele Egert

Prof. Dr. med. Georg Hoffmann

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