Eine Vision wird zur Kassenleistung

Kontinuierliche Glukosemessung

Nach langer Vorlaufzeit ist die kontinuierliche Glukosemessung heute technisch gelöst. Sechs Systeme mit unterschiedlichen Konzepten für die Analytik und subkutane Platzierung sind im Markt. Sie können zu einer Verbesserung der Stoffwechsellage – insbesondere bei instabilen Typ-1-Diabetikern – beitragen.
Schlüsselwörter:  Kontinuierliche Glukosemessung, CGM, FGM, Typ-I-Diabetes

Prinzipiell ist die kontinuierliche Glukosemessung (engl. Continuous Glucose Monitoring, CGM) seit Jahrzehnten im Gespräch und erzielte auch immer wieder hohe mediale Aufmerksamkeit. In der Tat wurde das erste „Closed-Loop Arti­ficial Pancreas“, das CGM auf spektakuläre Weise mit einer Insulinpumpe und einem Computer von der Größe eines Fernsehers kombinierte, schon in den 1970er-Jahren von der amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) zugelassen – und verschwand wegen technischer und vor allem medizinischer Bedenken wieder in der Versenkung (zitiert in [1]).
Inzwischen sind die Ansprüche realistischer und die Systeme ausgereifter, sodass CGM gut etabliert und die Kombination mit einer computergesteuerten Insulinpumpe in greifbare Nähe gerückt ist. Und im Juni 2016 beschloss der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) sogar, dass die Krankenkassen die Kosten für CGM bei Diabetespatienten mit intensivierter Insulintherapie künftig übernehmen sollen[2].

Diese Patienten – meist mit einem Dia­betes vom Typ 1 – passen bislang die applizierten Insulindosen an den Kohlen­hydratgehalt, die Zusammensetzung und den Zeitpunkt ihrer Mahlzeiten an und müssen dabei den (diskontinuierlich gemessenen) präprandialen Blutglukosespiegel berücksichtigen. Hier können kontinuierlich messende Systeme zu einer Verbesserung beitragen, denn sie erfassen auch die postprandialen Glukose­verläufe, und helfen damit, die aktuelle Stoffwechsellage wesentlich genauer zu kontrollieren[3].
Zudem ermöglichen CGM-Systeme Echtzeitalarme für zu niedrige oder zu hohe Glukosekonzentrationen. Dies ist insbesondere bei instabilen Typ-1-Diabetikern mit lebensbedrohlichen nächtlichen Hypoglykämien sowie bei Patienten mit einer Wahrnehmungsstörung für Unterzuckerung hilfreich.

Ausgefeilte Technik
Neben CGM-Systemen gibt es auch ein FGM-(Flash-Glucose-Monitoring-)System. FGM unterscheidet sich von CGM nur dadurch, dass bei FGM die gemessenen Glukosekonzentrationen im Sensor gespeichert werden und spätes­tens alle 8 Stunden ausgelesen werden müssen; eine Alarmierung ist dabei nicht möglich.
Neben der Unterstützung bei der Diabeteseinstellung profitieren Menschen, die ihren Blutzucker mehrmals täglich konventionell messen müssen, auch davon, dass sie sich seltener stechen müssen und die aktuellen Werte im Alltagsleben viel diskreter ablesen können.
Die Glukosemessung erfolgt meist mittels Glukoseoxidase-Reaktion, wobei Wasserstoffperoxid an der Sensor­elektrode oxidiert und der daraus resultierende Stromfluss registriert wird[4]. Das CGM-System von Senseonics führt eine fluoreszenz­optische Messung durch, deren Signal drahtlos an einen Transmitter übertragen wird.
Grundsätzlich werden minimal-invasive Nadelsensoren durch die Haut ins Unterhautfettgewebe eingestochen, sodass sie nicht wirklich den Blutzucker messen, sondern vielmehr die Glukosekonzentration in der Subkutanflüssigkeit. Deshalb wird die Stromstärke beim klassischen CGM mehrmals täglich gegen eine konventionelle Blutglukosemessung kalibriert. Beim FGM-System entfallen diese Messungen durch eine werksseitige Vorkalibration. Eine weitere Entwicklung zur Entlastung des Patienten stellen subkutan implantierbare CGM-Systeme dar; sie sind etwas dicker, können dafür aber länger liegen bleiben.
Die Übereinstimmung der Messergebnisse zwischen Blut und Unterhautfettgewebe verändert sich mit der Zeit durch Degradation der Glukoseoxidase. Bei den CGM-Systemen wird dieser Effekt durch die häufige Kalibration ausgeglichen. Beim fabrikkalibrierten FGM-System ist eine solche Anpassung nicht möglich; allerdings weisen die bisher vorliegenden Daten darauf hin, dass die Algorithmen die Sensoralterung ausreichend gut berücksichtigen, sodass es zu keinen relevanten Messabweichungen kommt.
Bei konstanten oder sich nur langsam ändernden Glukosekonzentrationen korrelieren die interstitiell gemessenen Werte gut mit denen im Blut, doch bei raschen Konzentrationsschwankungen hinken die CGM- und FGM-Werte in der Regel bis zu mehrere Minuten hinterher, da das Unterhautfettgewebe verzögert reagiert. Zusätzlich zu diesem physiologischen Zeitversatz gibt es einen technischen Zeitversatz, da das Messsignal durch Filteralgorithmen rauschärmer gemacht werden soll[4].
Aufgrund der jeweiligen Sensor- und Senderarchitekturen der verschiedenen Hersteller fallen die Sensoren unterschiedlich groß aus. Die Dexcom-Sensoren beispielsweise sind rechteckig und 38 mm lang, 23 mm breit und 13 mm hoch, während der scheibenförmige FreeStyle-Libre-Sensor mit 35 mm Durchmesser und 5 mm Höhe etwas kleiner ausfällt.

Ein wachsender Markt
Lange Zeit war die Messgenauigkeit von CGM-Systemen schlechter als die von POCT- und Selbsttestgeräten für die Blutzuckermessung. Deshalb waren sie nur als Therapieergänzung zulässig, d. h. vor jeder Anpassung der Insulindosis sollten die Patienten eine konventionelle Blutglukosemessung durchführen. In den letzten Jahren hat sich die Messgenauigkeit jedoch deutlich verbessert, und zudem wurden manche der Systeme in Verbindung mit einem Smartphone wesentlich benutzerfreundlicher. Das CGM-System Dexcom G5 und das FGM-System FreeStyle Libre sind mittlerweile vom Hersteller dafür vorgesehen, die Blutzuckermessung in vielen Situationen des täglichen Lebens von Diabetikern zu ersetzen. All dies sind Signale für ein zu erwartendes Wachstum dieses Nischenmarkts, die durch die Kostenübernahme der Krankenkassen noch verstärkt werden. 


Dr. med. Guido Freckmann, Stefan Pleus
Institut für Diabetes-Technologie GmbH
an der Universität Ulm