C4d-Test im Wandel der Zeit

Antikörper-vermittelte Transplantatabstoßung

Während die zelluläre Abstoßung von Organtransplantaten seit Langem bekannt ist, wurde die Möglichkeit einer Antikörper-basierten Immunreaktion bis vor 20 Jahren kaum in Erwägung gezogen. Erst der immunhistologische C4d-Test ebnete den Weg zum heutigen Verständnis humoraler Immunreaktionen in der Transplantationsmedizin. Sie verlaufen häufig besonders schwer und benötigen eine differenzierte Therapie.
Schlüsselwörter: Humorale Transplantatabstoßung, Komplementsystem, C4d-Test

 Die endotheliale Auskleidung eines vaskularisierten Organtransplantats bildet die Grenzfläche zwischen „selbst“ (Empfänger) und „fremd“ (Transplantat). Wird das Organ vom Immunsystem des Empfängers als ausreichend fremd erkannt, um es abzustoßen, so sind also dessen Endothelzellen das primäre Ziel dieser immunologischen Attacke. Bei der Abstoßung heften sich die Kombattanten des zellulären Immunsys­tems (vornehmlich T-Lymphozyten) zunächst an die Endothelzellen, unterwandern diese, verlassen das Gefäßbett und infiltrieren das Interstitium des Transplantats.
Für Histologen und Immunologen gehört die Charakterisierung dieser Abfolge von Ereignissen seit über 20 Jahren zum gesicherten Wissen, denn die infiltrierenden Lymphozyten waren mikroskopisch von jeher leicht erkennbar und die verschiedenen Stadien bzw. Schweregrade solcher Abstoßungsreaktionen konnten in einer Biopsie problemlos analysiert werden (sie­he hierzu die erste „Banff-Klassifikation“ von 1993[1]).
Ganz anders verhält es sich bei einer humoralen Attacke durch Alloantikörper und Komplementfaktoren. Lebende Endothelzellen können Antikörper und in der Folge Komplementfaktoren, nachdem diese sich an Moleküle des HLA-Systems, an Blutgruppen-Determinanten oder andere Oberflächenantigene angeheftet haben, binnen kurzer Zeit wieder abschütteln (capping, shedding, Internalisierung). Zudem wird die Endothel-Oberfläche andauernd durch den Blutstrom und die darin enthaltenen proteolytischen Enzyme gereinigt; dabei gehen die degradierten Fragmente wieder in Lösung.
Ein Hinweis am Rande: Diese Situation ist nicht zu vergleichen mit derjenigen bei Immunkomplex-Erkrankungen, wie etwa Glomerulonephritiden, bei denen Immunglobulin- und Komplement-Ablagerungen auf „leblosen“ Basalmembranen, die auch nicht direkt den Klärmechanismen des Blutstroms ausgesetzt sind, länger verweilen können.

Komplementkaskade
Nun weist die klassische (das heißt durch Antikörper induzierte) Komplementkaskade einige Besonderheiten auf, die lange Zeit nicht erkannt wurden. Einmal in Gang gesetzt, werden nach dem C1-Komplex die Komponenten C4, C2, C3 und schließlich C5–9 aktiviert. C4 und C3 besitzen im Zentrum einen internen, hochreaktiven Thioester, der die Spaltprodukte C4d und C3d kovalent im Gewebe verankern kann. C4d und C3d werden sodann nicht weiter abgebaut.
Aufgrund der kovalenten Bindung können diese Endprodukte vom Endothel nicht einfach abgeschüttelt werden, wodurch sie, im Unterschied zu Immunglobulinen und anderen Komplementfaktoren, auch in den Kapillaren längere Zeit nachweisbar sind. Dem C4d konnte bislang keine eigene biologische Funktion zugeschrieben werden; umso interessanter ist deshalb die jüngste Beschreibung eines zellulären Rezeptors für lösliches C4d[2].
Erstaunlicherweise reagierte keines der in der Immunpathologie früher gebräuchlichen, kommerziell erhältlichen Komplement-Antiseren mit dem Spaltprodukt C4d. Daher waren vaskuläre, humorale Immunreaktionen in Transplantat-Biopsien unsichtbar, obwohl in der Zirkulation oftmals Donor-spezifische Antikörper (DSA) nachgewiesen werden konnten. Jahrelang glaubte man deshalb, das humorale Immunsystem spiele bei Abstoßungsreaktio­nen keine große Rolle und Transplantate würden hauptsächlich von T-Lymphozyten angegriffen. Erst der Einsatz von monoklonalen Antikörpern gegen C4-Spaltprodukte führte zur Entdeckung des kapillären C4d (Abb. 1 und 2). Danach musste allerdings die alte Einschätzung grundlegend revidiert und der Stellenwert der humoralen Alloreaktivität in der Transplantationsmedizin neu definiert werden[3].

Abb. 1: Transplantiertes Herz mit humoraler Abstoßung; C4d-positive Kapillaren in der Endomyokardbiopsie.Abb. 2: C4d-Färbung einer Transplantatniere mit humoraler Abstoßung; interstitielle und glomeruläre Kapillaren C4d-positiv; viele intrakapilläre Leukozyten.

Der C4d-Test
Die grundlegenden Forschungsarbeiten zum kapillären C4d wurden am Institut für Immunologie der LMU München geleistet und bereits Anfang der 90er-Jahre publiziert, aber letztlich nicht wahrgenommen. Erst nach zehnjährigem Dornröschenschlaf wurde C4d in der Banff-Klassifikation von 2003 als neues Kriterium für eine humorale Abstoßung eingeführt[4]. Die Renaissance der humoralen Abstoßung konnte beginnen[5].
In dieser Klassifikation wurde die Antikörper-vermittelte Abstoßung von Nierentransplantaten erstmals als eigenständige Kategorie mit eigener Nummer (Banff 2) festgeschrieben. Damit trug man der Erkenntnis Rechnung, dass das immunhistologische Bild nicht gut mit den bekannten Läsionen korrelierte, insbesondere nicht mit zellulären Abstoßungen (Banff 4).
Es konnte durchaus vorkommen, dass eine scheinbar normale Histologie oder ein Mischbild aus Ischämie und zellulären Immunreaktionen in Wahrheit mit einer starken humoralen Reaktion einherging. Diese Diskrepanz machte vielen Pathologen zu schaffen und erschwerte die Akzeptanz des kapillären C4d-Konzepts. Am ehesten korrelierte das kapilläre C4d noch mit Zeichen einer minimalen Endothelialitis und Kapillaritis, die der Diagnose aber meist entgangen waren.
Der raschen, weltweiten Verbreitung des C4d-Tests stand zunächst noch entgegen, dass monoklonale Anti-C4d-Antikörper nur auf Gefrierschnitten anwendbar waren. Hierfür mussten Biopsiezylinder also entweder geteilt oder separat gewonnen werden. Die Wiener Arbeitsgruppe brachte einen Paraffin-gängigen polyklonalen Anti-C4d-Antikörper auf den Markt, der in der Pathologieroutine einsetzbar war. Er besaß allerdings eine deutlich geringere Sensitivität, verglichen mit Immunfluoreszenz- oder Immunperoxidase-Methoden in Gefrierschnitten.
Der Konsens der Banff-Konferenzen war jedenfalls, dass kapilläres C4d humorale Abstoßungen anzeigt, ausgelöst durch Spender-spezifische Antikörper (zumeist Antikörper gegen HLA). Da diese schwerere Verläufe aufweisen als zelluläre Abstoßungen, bedürfen sie einer intensiveren und spezifischeren immunsuppressiven Therapie. Die Assoziation von kapillärem C4d mit einem schlechteren Transplantat-Überleben ist mittlerweile in vielen Studien belegt worden[6], auch in der Herz-, Leber-, Lungen- und Pankreas-Transplantation.

 

   Fortsetzung


Prof. Dr. Helmut E. Feucht
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