Wie ein Waldbrand

Zytokinsturm

Infektionen können höchst unterschiedlich verlaufen – von der in­apparenten Ausheilung bis zum tödlichen „Zytokinsturm“, der wie ein Waldbrand über den ganzen Körper hinwegfegt. Die Frage, wodurch ein schwerer Verlauf letztlich getriggert wird, ist trotz intensiver Forschung noch immer nicht restlos geklärt.

Regulierte Abwehr
Zytokine sind eine große Proteinfamilie, deren Mitglieder das Wachstum und die Kommunikation von Zellen steuern. Eine zentrale Rolle spielen dabei die Interleukine (IL), die sich auf die Regulation von Immunzellen spezialisiert haben. Bei einer Überflutung des Körpers mit Krankheitserregern, aber auch bei Verbrennungen und anderen Bedrohungen der körperlichen Integrität, wird die Immunabwehr durch eine Untergruppe entzündungsfördernder („proinflammatorischer“) Zytokine wie etwa IL-1β, IL-6 und IL-8 sowie TNF-α auf den Plan gerufen. Kurz darauf sorgt die Ausschüttung entzündungshemmender Botenstoffe, zum Beispiel IL-10 und TGF-β, für eine Beruhigung und Stabilisierung des aufgeheizten Zustands.
Beim Zytokinsturm wird dieses regulatorische Gleichgewicht gewissermaßen überrannt, indem lokal freigesetzte Botenstoffe massenhaft Abwehrzellen anlocken, die ihrerseits neue Botenstoffe freisetzen und so noch mehr Abwehrzellen herbeirufen. Diesen hochgefährlichen Zustand könnte man mit einem Katastropheneinsatz vergleichen, bei dem die Helfer durch die ständig steigende Zahl „hilfsbereiter Schaulustiger“ machtlos werden.
Seit Jahren sind Forscher auf der Suche nach dem zentralen Auslöser des Sturms. 2014 analysierten Ärzte aus Texas umfangreiche Laborprofile von schwerst verbrannten Kindern, konnten aber unter den „üblichen Verdächtigen“ (IL-6, -8, -10, TNF-α usw.) keinen Auslöser erkennen[1]. Es wurde lediglich bestätigt, dass Zytokinspiegel im Vergleich zu allen anderen Organ- und Stoffwechselmarkern bei tödlichen Verläufen die „stürmischsten“ Veränderungen aufwiesen.

IL-3 – ein heißer Kandidat?
Eine neue Arbeit, die Harvard-Wissenschaftler in der Fachzeitschrift Science publizierten, lässt jedoch aufhorchen[2]: Demnach könnte das bislang weitgehend unbeachtete IL-3 eine zentrale Rolle bei der Auslösung des Zytokinsturms spielen. Es zeigte sich, dass Sepsispatienten mit hohen IL-3-Spiegeln besonders schlechte Überlebens­chancen haben, was aber für sich allein genommen noch kein Beweis für eine ursächliche Rolle ist.
Entscheidend war vielmehr ein Experiment mit Knockout-Mäusen, die kein IL-3 bilden konnten: Sie erlitten unter Sepsis-auslösenden Bedingungen keinen Zytokinsturm; sobald man ihnen externes IL-3 zuführte, wurden sie wieder anfällig. Umgekehrt bildeten normale Mäuse, bei denen die Bindung von IL-3 an seinen Rezeptor blockiert wurde, bei Sepsis weniger Zytokine und hatten fast doppelt so gute Überlebenschancen.
Dass dieser Zusammenhang so lange übersehen wurde, liegt möglicherweise daran, dass IL-3 nicht gleich IL-3 ist. Die Forscher identifizierten eine ganz bestimmte Zelllinie als möglichen Ursprungsort des Sturms, die sogenannten IRA-B-Lymphozyten (IRA = Innate Response Activator). Diese produzieren neben IL-3 auch dessen Antagonisten GM-CSF – und in der Tat erwiesen sich genmani­pulierte Mäuse, deren IRA-B-Zellen kein GM-CSF bilden konnten, als besonders sepsisempfindlich.
Von der Knockout-Maus zur klinischen Anwendung ist noch ein weiter Weg, aber immerhin gibt es nun Anhaltspunkte, in welche Richtung die gezielte Suche gehen könnte: Warum neigen manche Patienten zur Entwicklung schwerer septischer Komplikatio­nen, andere dagegen nicht? Ist womöglich ihre genetische Konstitution oder die Fähigkeit ihrer IRA-B-Zellen zur Expression von IL-3 bzw. GM-CSF dafür verantwortlich? Und welche therapeutischen Optio­nen, beispielsweise mit GM-CSF, IL-3-Blockern oder IL-3-Rezeptor­antagonisten, ergeben sich daraus?
Die Antworten auf diese Fragen sind von weit mehr als akademischem Interesse, denn immerhin stirbt weltweit alle drei bis vier Sekunden ein Mensch an Sepsis – und eine ursächliche Therapie gibt es bislang nicht.


Prof. Dr. Georg Hoffmann
Mitglied der Redaktion

 

Literatur