Neue Risiken für den Menschen

LA-MRSA CC398

Weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit gewinnen MRSA aus Mast- und Schlachtbetrieben sowie aus Tierkliniken zunehmend an Bedeutung für den Menschen.

Bei Methicillin-resistenten Stämmen von Staphylococcus aureus (MRSA) beobachten wir derzeit zwei gegenläufige Trends: Während die innerhalb des Gesundheitswesens verbreiteten Hospital-acquired MRSA (HA-MRSA) rückläufig sind, nimmt der sog. Livestock-associated MRSA (LA-MRSA), der zwischen Tieren und Menschen übertragen werden kann, in einigen Regionen Deutschlands zu. Bei Aufnahmescreenings in Krankenhäusern erreicht er bereits einen Anteil von bis zu 23% in Gegenden mit intensiver Nutztierhaltung. Die in der gesunden Bevölkerung (unabhängig von medizinischen Maßnahmen) detektierten Community acquired MRSA (CA-MRSA) sind dagegen in Deutschland vergleichsweise selten.

Genetische Klone

Die Population von S. aureus ist weitgehend klonal aufgebaut, d. h., nur selten erfolgt ein Austausch von Teilen des Genoms zwischen verschiedenen Stämmen. Aufgrund einer Multilocus-Sequenz-Typisierung (Nachweis von sieben konservierten Genen des Grundstoffwechsels) ordnet man Isolate, die für mindestens fünf Allele die gleichen Sequenzprofile zeigen, einem gemeinsamen klonalen Komplex (CC) zu. Beim Menschen gehören knapp 90% aller S. aureus-Isolate (Besiedlungen und Infektionen) den Komplexen CC1, CC5, CC8, CC12, CC15, CC22, CC25, CC30, CC45, CC45, CC51 und CC121 an. Daraus entwickelten sich HA-MRSA und CA-MRSA unabhängig voneinander durch Erwerb von mobilen genetischen Elementen, den sog. SCCmec-Kassetten. Mec-Gene (zumeist mecA, seltener mecC) kodieren für ein zusätzliches Penizillin-Bindeprotein, das nur geringe Affinität für ß-Laktam-Antibiotika besitzt und somit Resistenz gegen nahezu alle Vertreter dieser Substanzklassen verleiht.

Zuordnung zu Ökovaren

Bei der Betrachtung von LA-MRSA stellt sich die Frage nach der Wirtsspezifität von Staphylococcus aureus. Bereits vor fast 50 Jahren durchgeführte vergleichende Untersuchungen an S. aureus-Isolaten von Mensch und Tier führten mittels phänotypischer Methoden  zu einer Unterscheidung der sog. „Standortvarietäten“ (Ökovare) hominis, bovis, ovis und gallinae.
Die Genom-basierten Methoden ermöglichen nun eine weitaus feinere Zuordnung zu bestimmten klonalen Komplexen, die wirtsspezifisch vorwiegend beim Menschen und bei verschiedenen Tieren verbreitet sind. Als Ausdruck einer ausgeprägten Wirtsspezifität sind die klonalen Linien ST97 und ST151 vorwiegend mit Wiederkäuern, die klonale Linie ST385 ausschließlich mit Mastgeflügel assoziiert. Im Gegensatz  dazu stehen andere Klone, die im Zuge einer erweiterten Wirtsadaptation als Besiedler und Infektionserreger sowohl beim Menschen als auch beim Tier nachgewiesen werden.
Vergleichende Genomanalysen für Methicillin-empfindliche Isolate (MSSA) der klonalen Linie ST5 von Menschen und vom Mastgeflügel und MSSA/MRSA des klonalen Komplexes CC398 weisen darauf hin, dass unter dem Einfluss der Intensivierung der Masttierhaltung eine Adaptation ursprünglich beim Menschen vorkommender klonaler Linien an Masttiere erfolgte. Die damit verbundenen genetischen Veränderungen betreffen weniger das core-Genom, sondern vielmehr mobile genetische Elemente, wie z. B. Prophagen und genomische Pathogenitätsinseln. Derartige LA-MRSA haben offenbar ein Pathogenitätspotenzial für den Menschen behalten. Von den bei Masttieren bisher bekannten LA-MRSA ist CC398 am weitesten verbreitet. Im Folgenden wird dieser klonale Komplex beispielhaft näher erläutert.

Verbreitung in Mastbetrieben

Nach dem ersten Bekanntwerden von LA-MRSA CC398 bei Schweinen in konventionell geführten Mastanlagen in den Niederlanden im Jahr 2005 folgten in kurzen zeitlichen  Abständen weitere Berichte aus europäischen Ländern mit Intensivtierhaltungen, später auch aus Nordamerika. Das große Problem dabei: Während die Masttiere bisher überwiegend asymptomatisch kolonisiert sind, können LA-MRSA CC398 neben Besiedlungen auch Infektionen bei Pferden, kleinen Haustieren und Menschen hervorrufen.
Inzwischen wissen wir, dass der Keim in etwa der Hälfte aller konventionell geführten Schweinemastanlagen in Deutschland gefunden wird. Eine vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) koordinierte, umfangreiche Studie wies LA-MRSA später auch bei anderen Masttieren nach. Die Nachweis-Häufigkeit korreliert positiv mit der Bestandsgröße, wobei die Verbreitung von CC398 zwischen den Mastbetrieben über Zu- und Verkauf von Ferkeln aus spezialisierten Reproduktionsbetrieben oder auch während der Tiertransporte und innerhalb der Wartezeiten am Schlachthof erfolgen kann.
Bei Schweinen aus 24 alternativen Mastbetrieben der Neuland-Vereinigung  waren LA-MRSA deutlich seltener oder gar nicht nachweisbar.  Dieser Verband zeichnet sich durch ein geschlossenes System (kein Zukauf von Tieren), geringe Tierbestandsgröße, fehlende metaphylaktische Antibiotika­anwendung und hofinterne Vermarktung aus. Die Daten werden durch eine niederländische Studie bestätigt. Dort wurden in Biobetrieben deutlich weniger MRSA detektiert als in konventionell geführten Mastanlagen (17% versus 71%).

Nachweis in Fleischprodukten

Im Verlauf der verschiedenen Verarbeitungsprozesse (z. B. Brühen, Entbors­ten) kommt es zu einer Keimreduktion, weshalb der quantitative Nachweis von LA-MRSA am Schlachtkörper und an den Rohfleischprodukten niedriger liegt als die MRSA-Prävalenzen für Mastschweine und -rinder auf Einzeltierebene. In Deutschland sind immerhin 2,8% der Endprodukte aus Schweinen kontaminiert, in den Niederlanden lagen die Nachweishäufigkeiten für Schweine- und Rind-/Kalbfleisch über 10%.
Besonders hoch ist die Belastung  beim Mastgeflügel. In einer von uns 2011 durchgeführten Stichprobenerhebung wurde LA-MRSA im Auftauwasser von rund 30% der untersuchten Masthähnchen nachgewiesen – und zwar in deutlichen Quantitäten von 100 bis 1.000 Kolonie-bildenden Einheiten pro ml – ohne Anreicherung!

Infektionen bei Tieren

HA-MRSA wurde zunächst bei kleinen Haustieren bekannt, die die Infektion bei ihren Haltern erworben und während der Behandlung in Tierkliniken eingeschleppt hatten. Ab 1976 zunächst sporadisch, ab 2004 gehäuft folgten Berichte über Ausbrüche von MRSA-Infektionen in nord­amerikanischen Pferdekliniken, und in den Folgejahren wurde auch in einigen europäischen Ländern über hohe MRSA-Prävalenzen bei Pferden berichtet. Bei der klinisch-epidemiologischen Untersuchung dieser Ausbrüche fand sich häufig auch eine nasale Kolonisation beim Veterinärpersonal (infektiöser Hospitalismus aufgrund der wechselseitigen Transmission).
Mehr als 90% der in Tierkliniken aufgetretenen MRSA waren resistent gegen Gentamicin (GEN), ein Unterschied zu HA-MRSA aus Krankenhäusern sowie LA-MRSA aus der Community und der Tiermast. Die in Nordamerika und in den Jahren 2006 bis 2010 in mehreren europäischen Ländern in Pferdekliniken am häufigsten detektierten MRSA zeigten das Typisiermuster ST8, spa-Typ t064, SCCmec IV, GEN. Der Nachweis von MRSA mit diesen Merkmalen in Australien weist auf eine mittlerweile weltweite Verbreitung hin, die wahrscheinlich von Krankenhäusern in Kanada ausging (der dort früher häufiger vertretene Canadian MRSA CC5 zeigt die gleichen Merkmale).

Die Rolle des Menschen
Wie die Genom-basierte weiterführende Analyse zeigte, bilden neuere in Pferdekliniken verbreitete MRSA (ST398, spa-Typ t011 oder t6867, SCCmec IV, GEN (canonical SNP 1748T) eine eigene „pferdespezifische“ Subpopulation innerhalb von CC398. Eine von der Autorin in Kooperation mit dem Diagnostiklabor Dr. Böse GmbH durchgeführte Studie in Deutschland bestätigt aktuelle Daten auf der Grundlage der Typisierung von 272 MRSA-Isolaten behandelter Pferde und 349 Abstrichen aus dem Nasenvorhof des entsprechenden Veterinärpersonals. Im Durchschnitt betrug die MRSA-Prävalenz beim Veterinärpersonal 18,4%. Diese Besiedlungshäufigkeit ist hoch im Vergleich zu Tierärzten insgesamt (ca. 9%) und zu Pflegepersonal und Ärzten in Krankenhäusern (ca. 2%). Da die nasale Kolonisa­tion vorwiegend über die Hände erfolgt, ist strikte Einhaltung der Basishygiene die beste Vorsichtsmaßnahme.

Hohe Wachsamkeit gefordert

Bisher ist der Anteil der in Pferde­kliniken verbreiteten MRSA in Deutschland noch gering (unter 1% von 10.864 Isolaten). Dies könnte auf eine geringe  Verbreitung  außerhalb der Kliniken hinweisen, doch ist auch mit einer hohen Dunkelziffer zu rechnen, da in Deutschland nur Isolate aus Blutkulturen und Liquores meldepflichtig sind. Hier ist also hohe Wachsamkeit gefordert, denn LA-MRSA CC398 haben die gleiche Pathopotenz und verursachen die gleichen Krankheitsbilder wie S. aureus-Infektionen allgemein.
Besondere Aufmerksamkeit erfordert bei der zukünftigen interdisziplinär angelegten Überwachung von MRSA bei Mensch und Tier auch die zunehmende Zahl positiver Nachweise von HA-MRSA (ST22 und ST247) sowie der erstmalige Nachweis von MRSA ST1660 und ST130. Letzterer kann wegen seiner geringen Wirts-Spezifität auch von Mensch zu Mensch übertragen werden und schwere Infektionen auslösen.  



Dr. med. vet. Christiane Cuny und
Prof. Dr. Wolfgang Witte
Robert Koch-Institut, Nationales Referenz­zentrum für Staphylokokken und Enterokokken