Das virtuelle Mikroskop

Digitale Pathologie

Die digitale Pathologie bietet enorme Vorteile für Wissenschaft und Routine. Bei der Umsetzung in die Praxis sind noch technische und organisatorische Hürden zu überwinden.

Die Digitalisierung der Pathologie hat die Funktionalität des Lichtmikroskops in einer Weise erweitert, die noch vor wenigen Jahren unvorstellbar gewesen wäre. Und ein Ende ist nicht absehbar.
Will der Pathologe zum Beispiel das gleiche Präparat in unterschiedlichen Färbungen mikroskopieren, so erfordert dies bislang einen Präparatewechsel mit aufwendiger Relokalisierung der gesuchten Stelle. Da die manuell erstellten Gewebeschnitte aber in der Regel leicht gedreht oder verschoben sind und auch gespiegelt sein können, muss er ständig unterschiedliche Bildeindrücke im Kopf zur Deckung bringen – ein für Auge und Geist ermüdender Prozess, den man durchaus einem Computer übertragen kann.
Die digitale Pathologie nutzt dafür sogenannte Whole Slide Images (WSI), die mit einem Scanner eingelesen, elektronisch abgespeichert und mittels Software analysiert werden. Dieses „virtuelle Mikroskop“ eröffnet Möglichkeiten, wie wir sie vom Smartphone beim Navigieren in Stadtplänen kennen: Die gesuchte Stelle kann punktgenau angesteuert, verschoben und gedreht werden.
Eine andere, vor allem wissenschaftlich interessante Funktions­erweiterung zeigt das obige Bild: In einem Magenschnitt hat der Computer maligne Areale automatisch erkannt und Her2-positive Stellen rot, Her2-negative grün markiert. Dies ist beispielsweise nützlich für Biobanken: Im Schnellschnitt erfolgt die Diagnostik meist unter Zeitdruck; deshalb enthalten nur die tatsächlich untersuchten Proben dokumentierte Tumorareale. Aber für klinische Studien sind alle Präparate wertvoll. Eine Software kann automatisch sämtliche interessanten Bereiche markieren und für die spätere Suche katalogisieren.

Klare Vorteile
Die virtuelle Mikroskopie bietet zudem
• ein mehrfach größeres Gesichtsfeld als das konventionelle Mikroskop;
• Fenstertechnik zur gleichzeitigen Betrachtung verschiedener Färbungen in unterschiedlichen Vergrößerungen;
• transparente Überlagerung von zwei und mehr Bildern;
• Markierung bereits untersuchter Areale und Kennzeichnung auch kleinster Objekte als Diskussionsgrundlage;
• Quantifizierung von Farbintensitäten.
Weitere nützliche Funktionalitäten ergeben sich durch die Kombination mit externer Informations-, Kommunikations- und Präsentationssoftware, wie sie etwa in einem Pathologie-Informationssystem enthalten ist. So kann man Vorbefunde einblenden, ohne die entsprechenden Glasobjektträger aus dem Archiv heraussuchen zu müssen, im Rahmen der Telepathologie mit Partnern innerhalb und außerhalb der eigenen Institution kommunizieren, oder die Fälle bei Tumorkonferenzen optisch ansprechend präsentieren.

Praxisprobleme

Für die Anbieter solcher Systeme scheint die Zukunftspersepktive klar zu sein: Schon 2012 fand man beim Kongress der European Society for Pathology auf der Industrieausstellung kaum noch konven­tionelle Mikroskope. Sucht man aber in einem modernen Pathologieinstitut nach ihrem virtuellen Pendant, so muss man feststellen – Fehlanzeige. Woran liegt das?
Ein Kollege des Universitätskrankenhauses Coventry und Warwickshire berichtete 2014 auf dem Digital Pathology Congress in London über einen umfangreichen Praxistest, der neben durchaus positiven Effekten einen erstaunlichen Produktivitätsrückgang der dortigen Pathologen ergab. Dafür wurden drei Dinge verantwortlich gemacht: Die Hightech-Anlage war in die übrige IT-Landschaft nur ungenügend integriert, die Bedienung des WSI-Programms verzögerte die Arbeitsabläufe, und wegen unscharfer Bilder mussten zu viele Scans wiederholt werden.

Lösungsansätze
Beginnen wir mit Punkt 3: In London wurde nicht selten die Frage „How many rescans do you need?“ gestellt. Histologische Schnitte und Färbungen können von sehr unterschiedlicher Qualität sein, was sich in den digitalen Eigenschaften der WSI niederschlägt. Deshalb sollten je nach Gewebeart Schnittdicke, Färbung etc. vom Scanner vorab Algorithmen und Einstellungen optimal ausgewählt werden. Dafür ist eine konstante technische Kette von online angebundenen Schneide- und Färbegeräten hilfreich.
Auch sogenannte Schärfekarten (siehe Abbildung unten) helfen, Wiederholungs-Scans zu vermeiden. Wir haben im Rahmen unserer Scanner Contests 2010 und 2012 solche Berechnungen für alle WSI durchgeführt und Algorithmen für die automatisierte Qualitätsbewertung entwickelt.
Die mangelnde Integration spezialisierter Software in die IT-Landschaft ist nichts Neues. Erinnern wir uns an die Anfänge der digitalen Radiologie, als das leidige Thema „RIS/PACS-Integration“ ein paar Jahre lang die Diskussion dominierte. In der digitalen Pathologie ist es nun mit zehn Jahren Verzögerung dasselbe: Jeder Präparatescanner kommt mit eigener Software daher, teilweise bis hin zu einer kompletten Daten- und Workflowverwaltung. Aber wer will schon mit dem Kauf eines Scanners gleich das ganze Pathologie-Informationssystem austauschen?
Eigentlich sind die Kommunikationsstandards durch DICOM und IHE vorgegeben; sie werden aber nur ungenügend umgesetzt. Hier besteht Handlungsbedarf seitens der Industrie. Sie muss gemeinsam mit Pilotkunden Schnittstellen zu relevanten PACS und Pathologie-Informationssystemen schaffen und dabei die genannten Standards berücksichtigen.
Bleibt die Beseitigung des Geschwindigkeitsproblems beim Umgang mit virtuellen Mikroskopen. Dass Maus und Tastatur für die komplexe Steuerung eines so hoch technisierten Systems nicht optimal sind, haben die Hersteller längst erkannt. Sie bieten deshalb unterschiedliche Zusatzgeräte von Touchpads und Touchscreens über Joysticks bis hin zur Gestensteuerung mit Kameras an. Wir haben diverse Kombinationen getestet und kommen zu dem Schluss: Kein System ist für alle Nutzer ideal, und der Wechsel zwischen mehreren Lösungen wird häufig als angenehm empfunden. Die bes­ten Erfahrungen haben wir mit einer Mischung von Touchpad und Gestensteuerung gemacht, wie sie in der nebenstehenden Abbildung schematisch dargestellt ist. Für die einfache Menüauswahl und Cursorsteuerung eignet sich das Touchpad, während Gesten aufwendigere Handgriffe, etwa zur Einstellung des Mikroskops, zum Verschieben und Zoomen von Bildern oder zur Interaktion mit dem Pathologie-Informationssystem, besser unterstützen.
In der Forschung wird die digitale Pathologie inzwischen bereits intensiv genutzt: Kaum jemand wertet Tissue Microarrays noch ohne Digitalisierung aus, Biobanken benötigen die Technik für die Qualitätskontrolle und Katalogisierung, und die 3D-Rekostruktion von Gewebestrukturen bietet ganz neue Einsichten in die Entwicklung von Tumoren. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann auch die Routinediagnostik von den unbestreitbaren Vorteilen der virtuellen Mikroskopie profitiert. An der Lösung der noch bestehenden Probleme wird an vielen Stellen gearbeitet, und deshalb rechnen wir mit rasch spürbaren Fortschritten.  

Systeme für die digitale Pathologie im Überblick


Prof. Dr. Peter Hufnagl

Charité Berlin, Institut für Pathologie