Der Consumer-Markt gibt den Takt vor

Mobile IT-Applikationen

Mobile Computing mit Smartphones und Tablets gehört inzwischen zum medizinischen Alltag. Das nächste Schlagwort heißt Wearable Computing und verspricht eine Überwachung des Gesundheitszustands auf Schritt und Tritt.

Die Geschwindigkeit, mit der sich die mobile Computertechnik im Gesundheits- und Medizinbereich derzeit weiterentwickelt, ist beeindruckend. Noch vor wenigen Jahren war der Laptop auf dem Visitenwagen der letzte Schrei, inzwischen wirkt er fast steinzeitlich und wird zunehmend durch das Tablet verdrängt. Kein KIS-Hersteller, der nicht eine entsprechende App für den mobilen Abruf der elektronischen Krankenakte im Programm hätte.

Ablaufsteuerung im OP
Prinzipiell lassen sich per Tablet aber auch zahlreiche Arbeitsabläufe im Krankenhaus steuern. An einer Leipziger Klinik läuft ein Pilotprojekt mit zwei Softwaresystemen GOM (General Operation Manager) und SPM (Surgical Procedure Manager), die fast 50 chirurgische Behandlungspfade abbilden und deren Einhaltung minutiös überwachen (kma April 2015). Die Programme stellen zum Beispiel sicher, dass bei der OP alle wichtigen Befunde vorliegen; sie informieren über Terminverschiebungen und geben Anweisungen zur Operationstechnik.

Mobile Laborinformation

Auch für die Anbieter von Laborinforma­tionssystemen sind mobile Applikationen zur Kommunikation zwischen Einsender und Labor inzwischen selbstverständlich (s. u. Beispiel „Labor Cockpit“). Über gesicherte Verbindungen werden Labordaten auf Smartphones oder Tablets übertragen und stehen so jederzeit am Krankenbett bzw. in der Arztpraxis zur Verfügung – selbstverständlich mit der üblichen Kennzeichnung pathologischer Resultate, Anzeige von Vorbefunden usw.
Auch eine mobile Testanforderung ist inzwischen bei den meisten Laborsystemen möglich, und für den Laborarzt gibt es Programme, die die Freigabe und Sperrung von Laborwerten im Rahmen der Qualitätskontrolle von unterwegs aus ermöglichen.

Neue Darstellungsformen
Als problematisch für die Arbeit mit dem Smartphone erweist sich das kleine Anzeigenfeld. Hier sind für die Zukunft neue, platzsparende Darstellungsformen gefordert, beispielsweise die Ausgabe von Laborwerten durch abgestufte Farben statt Zahlen zur schnellen Orientierung (Rottöne für erhöht, Blautöne für erniedrigt).
Die kleinen Displays sollten auch ein Anreiz sein, künftig mehr Entwicklungs­kapazität in diagnostische Pfade zu stecken. Dann könnte man mit einem einzigen Knopfdruck eine intelligente und leitliniengerechte Abfolge von Labortests anfordern, statt sich mühsam durch einen Leistungskatalog zu klicken.

Consumer-Markt macht Druck
Schrittmacher all dieser Entwicklungen war jedoch gar nicht so sehr die Medizintechnik, sondern die rasante Verbreitung von Smartphones und Tablets im privaten Bereich. Dies übte enormen Erwartungsdruck auf die Entwickler professioneller medizinischer Software aus, und man kann davon ausgehen, dass auch in den nächsten Jahren technische Neuerungen im Verbrauchermarkt den Takt bei mobilen Medizin­applikationen vorgeben werden.
Das neue Schlagwort nach dem Mobile Computing lautet Wearable Computing. Gemeint ist Computerhardware, die man ständig bei sich am Körper trägt. Der Markt wird bereits überschwemmt von Fitnessarmbändern und Smartwatches, die kontinuierlich Schritte und Herzschläge zählen – aber das ist erst der Anfang.
Im April 2015 startete der Verkauf der Apple Watch, die neben zahlreichen anderen Funktionen den Blutzuckerspiegel anzeigen kann. Dazu wird ein von der US-Behörde FDA für Typ-1-Diabetiker zuge­lassener Chip der Firma DexCom unter der Bauchhaut platziert. Er nimmt alle fünf Minuten eine enzymatische Messung mit einem Nadelsensor vor und sendet die Ergebnisse an die Smartwatch.
Wirklich revolutionär ist diese Technik nicht, denn kontinuierliche Glukosemessungen gibt es seit Jahren (u. a. Freestyle libre von Abbott und Glucoday von Menarini). Neu ist nur, dass der Chip von DexCom die Werte nicht mehr nur an ein Smartphone, sondern auch an eine Smartwatch sendet. Mit Sicherheit wird bald auch eine Übertragung auf Kopfdisplays wie etwa Google Glass erfolgen, sodass man die Werte tatsächlich ständig im Blick hat.
Ebenfalls im ersten Quartal 2015 soll der InfraV Vital Signs Monitor von Indiegogo herauskommen (in der Abbildung rechts). Er überwacht mit nicht-invasiven Verfahren eine ganze Reihe vitaler Messgrößen wie Glukose und Sauerstoffsättigung im Blut, Puls und Blutdruck, Körpertemperatur und Hydrationsgrad.

Neue Qualität

Es ist zu vermuten, dass mit derartigen Geräten in Zukunft auch viel Unsinn gemessen wird und dass die Werte in puncto Richtigkeit und Präzision zu wünschen übrig lassen. Aber durch die eng­maschige zeitliche Kontrolle bieten sie eine neue Form der Sicherheit: Sie zeigen auffällige Unterschiede an und verhalten sich somit ähnlich wie unser menschliches Sensorium, dass ja ebenfalls nicht absolut misst, sondern nur bei plötzlichen Veränderungen von Blutzucker, Blutdruck etc. Alarm schlägt.

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