Darmflora bestimmt Darmkrebsrisiko

Die erstaunliche Beobachtung, dass kolorektale Karzinome bei eingeborenen Afrikanern mit weniger als einem Fall pro 100.000 Einwohner 100 mal seltener als bei Amerikanern vorkommen, geht auf D. P. Burkitt (1971) zurück. 1983 machten wir eine überraschende Entdeckung, die viele Jahre später zur Klärung dieses Phänomens beitragen sollte: Eingeborene Schwarzafrikaner atmen weniger Sauerstoff und mehr Methan aus als in Afrika lebende Amerikaner. Das brachte uns auf die Idee, mögliche Kanzerogene nicht in der Nahrung, sondern in den Stoffwechselprodukten der Darmflora zu suchen.
2007 fanden wir in der Risikogruppe tatsächlich einen Zusammenhang zwischen 7α DH Clostridien und gesteigerter Zellproliferation[1]. Da diese Bakterien bekanntermaßen bei fettreicher Kost vermehrt auftreten und Gallensäuren aus der Leber in kanzerogene Sekundärprodukte umwandeln, lag die Annahme nahe, dass wir hier – ähnlich wie bei anderen Krebsarten – einen infektiösen Auslöser samt dazu passendem Pathomechanismus gefunden hatten.
Unklar blieb aber weiterhin, warum die Eingeborenen ein weit unter dem Weltdurchschnitt liegendes Darmkrebsrisiko aufwiesen. Deshalb suchten wir in aufwendigen metabolischen Studien, bei denen wir den gesamten Darminhalt von über 50 Personen aufarbeiteten, nach  möglicherweise protektiv wirksamen Substanzen. Und wir wurden in der Tat fündig: Der Darm der eingeborenen Afrikaner war wesentlich reicher an kurzkettigen Fettsäuren (Acetat, Propionat, Butyrat) sowie den Vitaminen Folat und Biotin[2] als derjenige von Amerikanern, die in Afrika (Kontrollgruppe 1) oder den USA (Kontrollgruppe 2) lebten. Allerdings konnten wir kein spezielles Bakterium identifizieren, das für diesen Effekt verantwortlich war.
In unserer neuesten, 2013 publizierten Studie[3] verglichen wir deshalb die Genome aller im Darm lebenden Bakterien – das sogenannte Mikrobiom. Das Ergebnis legt den Schluss nahe, dass das Darmkrebsrisiko nicht durch einzelne Keime bestimmt wird, sondern durch die Balance zwischen protektiven und schädlichen Bakterien. Erstere wandeln (unter anderem) toxischen Sauerstoff in schützendes Methan um, doch dies ist nur einer von vielen Effekten.
Unpublizierte Versuche zeigen, dass eine Ernährungsumstellung auf afrikanische Ernährung mit Betonung von weißem statt rotem Fleisch und ungemahlenen Körnern statt Mehlprodukten innerhalb von zwei Wochen ein günstiges Milieu erzeugt. Allerdings ist von kurzfristigen Diäten kein Effekt auf die Darmkrebshäufigkeit zu erwarten, denn dieser entwickelt sich über Jahrzehnte. 

[1] O‘Keefe et al. Why do African Americans Get More Colon Cancer than Native Africans? J Nutr 2007;137:175–182
[2] O‘Keefe et al. Products of the Colonic Microbiota Mediate the Effects of Diet on
Colon Cancer Risk. J Nutr 2009;2044–2048
[3] Ou J et al. Diet, microbiota, and microbial metabolites in colon cancer risk in rural Africans and African Americans.
Am J Clin Nutr 2013;98:111–20


Prof. Dr. med. Stephen O ‘Keefe

University of Pittsburgh