Molekulare Infektionsdiagnostik am Krankenbett

Wenn es schnell gehen muss

Immer mehr einfach bedienbare Geräte für patientennahe Nukleinsäurenachweise kommen auf den Markt. Sie machen die Infektionsdiagnostik schneller und die Antibiose sicherer.

Kaum ein Krankheitsbild erfordert bei hospitalisierten Patienten so rasches Handeln wie eine plötzlich auftretende Infektion. Aber leider zwingt auch kaum ein Krankheitsbild den behandelnden Arzt zu so großer Geduld: 12 bis 24 Stunden vergehen, bis der Keim in der Kultur identifiziert ist, und weitere 24 Stunden werden für das Antibiogramm benötigt.
So lange zu warten kann für den Patienten tödlich sein, und deshalb ist die kalkulierte Antibiose die Strategie der Wahl. Dabei wird je nach Bedrohlichkeit und Infektionsherd ein mehr oder weniger breit wirksames Antibiotikum gewählt. Die Risiken der Unwirksamkeit und der Resis­tenzbildung müssen dabei stillschweigend in Kauf genommen werden. Einen Ausweg bietet die molekulare Infektionsdiagnostik, die ohne Kultur auskommt und deshalb nur die reine Analysenzeit benötigt. Diese liegt derzeit im Bereich weniger Stunden.
Was aber bleibt, ist die Transportzeit ins Labor. Und die kann dann doch wieder erheblich sein, da die meisten deutschen Krankenhäuser über keine eigene Mikrobiologie verfügen. Aber auch hier zeichnet sich Entspannung ab, denn die Point-of-Care-Technologie (POCT) zur Erregerdia­gnostik schreitet rasch voran und schafft die Voraussetzungen für sofortige Sicherheit am Krankenbett. Immer mehr Geräte finden derzeit ihren Weg aus den Entwicklungslaboratorien in den Dia­gnostikmarkt[1].
Voraussetzung für den erfolgreichen Einsatz von POCT für alle mikrobiologischen und virologischen Analysen ist allerdings die sachgerechte Handhabung durch geschultes medizinisches Personal. Dabei müssen insbesondere die Probengewinnung (Abstriche), die ordnungsgemäße Einbringung in das POCT-Gerät und die Durchführung von qualitätssichernden Maßnahmen geschult und beherrscht werden.

Immunologische Tests
Viele mikrobiologische Schnelltests basieren auf immunologischen Nachweisverfahren von spezifischen Erregerantigenen. Neben der photometrischen Messung der Partikelagglutination kommen zunehmend immunchromatografische Streifentests zum Einsatz (Lateral Flow Assays), die mit POCT-Geräten oder auch mit freiem Auge abgelesen werden können. Sie erlauben sowohl den qualitativen Nachweis eines Erregerantigens als auch die semiquantitative Bestimmung seiner Konzentration.
Da die Sensitivitäten und Spezifitäten immunologischer Tests häufig sehr hoch sind, können diese zur diagnostischen Orientierung, zur Aufdeckung von Infektionsketten und bei der Entscheidung für eine frühzeitige Antibiotika-Therapie hilfreich sein. Trotzdem muss vor unkontrollierter Einführung dieser Tests ohne fachliche Begleitung gewarnt werden: So lässt die Leistungsfähigkeit älterer POCT-Systeme zu wünschen übrig, oft fehlen Daten zur Erregerempfindlichkeit, und es besteht ein erhöhtes Infektionsrisiko für das Personal. Unzureichende Qualifikation der Mitarbeiter erhöht zudem die Gefahr, dass Doppel- und Mehrfachinfektionen (im Vergleich zur Erregerkultur) übersehen werden.

Nukleinsäurenachweise

Eine immer häufiger eingesetzte Alternative stellen die Nukleinsäure-Amplifikations-Tests (Nucleid Acid Tests, NAT) dar, die heute zumeist mittels Realtime-PCR durchgeführt werden. Weiterentwickelt und automatisiert wurden in den letzten Jahren insbesondere die Arbeitsplattformen für die vier Prozessschritte Anreicherung, Nukleinsäure-Extraktion, Amplifikation und Detektion. Mit der Einführung von Vollautomaten wurde die PCR-Technik mittlerweile so vereinfacht, dass sie prinzipiell für eine patientennahe Diagnostik in der Aufnahmestation oder am Krankenbett infrage kommt. Im Gegensatz zur Blutkultur können NAT-Verfahren auch dann eingesetzt werden, wenn eine antibiotische Therapie bereits begonnen wurde.
In den letzten Jahren gelang der Brückenschlag zur patientennahen Anwendung durch Einzeltest-Kartuschensysteme, die alle Teilschritte vom Probenaufschluss bis zur Detektion in einem geschlossenen Reaktionsgefäß vereinigen. Die Abarbeitung erfolgt in einem Vollautomaten, der – einmal beschickt – den gesamten Prozess eigenständig nach dem Walk-away-Prinzip ausführt und so mikrobiologische Tests rund um die Uhr vor Ort verfügbar macht.
Wenn rasche Entscheidungen über die Therapie oder auch über Isolierungsmaßnahmen im Vordergrund stehen, sind solche Tests extrem wertvoll. So konnte in einer englischen Studie durch den Einsatz von POCT zur Detektion von Methicillin-resis­tentem Staphylococcus aureus (MRSA) die Zeit bis zur Diagnose um durchschnittlich über zehn Stunden reduziert werden[2]. Bei Fragestellungen, die weniger zeitkritisch sind, dürfte ein kultureller Nachweis im mikrobiologischen Labor nicht zuletzt auch aus Kostengründen weiterhin Standard bleiben.
Neben der Identität der Erreger lassen sich auch Resistenzdeterminanten oder Virulenzfaktoren auf molekularer Ebene detektieren. So weist ein Tuberkulose-Kartuschentest nicht nur den Erreger, sondern auch eine etwaige Rifampicin-Resistenz bei multiresistenten Stämmen nach (MDR-TB). Mit der Multiplex-PCR lassen sich mittlerweile auch mehrere Erreger in einem einzigen Arbeitsgang identifizieren. Fortgeschrittene Testsysteme können heute beispielsweise bereits 90 Prozent aller Sepsiserreger abdecken. Es ist anzunehmen, dass ähnlich umfassende Tests in Kürze auch für POCT-Systeme entwickelt werden.
Neuartige isothermale Amplifikationsverfahren – zum Beispiel die Rekombinase Polymerase Amplification (RPA), Helicase-dependent Amplification, Loop-mediated Isothermal Amplification (LOOP), Strand Displacement Amplification (SDA) oder Nicking Enzyme Amplification Reaction (NEAR) – ermöglichen im Vergleich zur bereits etablierten PCR nicht nur eine einfachere Instrumentierung, sondern auch kürzere Reaktionszeiten (10–20 Min. vs. 50–60 Min.), was den Ansprüchen des klinischen POCT-Anwenders entgegenkommt. Isothermale Amplifikationsverfahren könnten also die nächste entscheidende Weiterentwicklung der molekularen POCT-Infektionsdiagnostik sein.
NAT-Diagnostik mittels POCT wird für den Patienten nur dann einen Vorteil bringen, wenn die bisherigen, auf kalkulierter Antibiose basierenden Behandlungspfade unter Berücksichtigung der epidemiologischen Situation angepasst werden. Dazu sind ganzheitliche Konzepte und eine enge Kooperation zwischen Kliniker und Labor zwingend erforderlich.
Dann aber besteht hohes Potenzial: In einer französischen Notaufnahme mit einem breiten Spektrum mikrobiologischer POC-Tests wurde die Behandlung von beinahe jedem zehnten der neu aufgenommenen Patienten durch die patientennahe Diagnostik unmittelbar beeinflusst. Und im Vergleich zur konventionellen Diagnostik konnten fast dreimal so viele Patienten ohne stationäre Aufnahme entlassen werden[3]

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Literatur
[1] Stürenburg E, Junker R. Patientennahe Dia­gnostik in der Mikrobiologie. Dtsch Ärzteblatt 2009;106:48-54.
[2] Brenwald N P, Baker N, Oppenheim B. Feasibility study of a real-time PCR test for meticillin-resistant Staphylococcus aureus in a point of care setting. Journal of Hospital Infection
2010; 74.3:245-249.
[3] Cohen-Bacrie S et al. Revolutionizing clinical microbiology laboratory organization in hospitals with in situ point-of-care. PloS one 2011; 6.7:e22403.

 

 Dr. med. Andreas Bietenbeck
Prof. Dr. med. Peter Luppa
Technische Universität München

 

Gastkommentar

Nicht nur Weihrauch

„Wenn es schnell gehen muss“ – siehe nebenstehende Überschrift – dann denken viele Kliniker an Point-of-Care-Tests und speziell in der Infektiologie an Nukleinsäure-Amplifikations-Techniken. In der Tat gibt es hier begrüßenswerte technische und methodische Fortschritte, doch all zu große Fortschrittsgläubigkeit gilt es zu relativieren: POCT-Ergebnisse haben, wie die Autoren richtig anmerken, bis zur Bestätigung durch die konventionelle Kultur lediglich orientierenden Charakter.
Insbesondere eine zuverlässige Resistenzvorhersage ist aus der bloßen An- oder Abwesenheit bestimmter Gene oder Mutationen nicht immer möglich. Oft liegen komplexe Stoffwechselprozesse zugrunde, die sich simpler Nuklein­säurediagnostik entziehen (zum Beispiel ESBL). Und die für klinische Proben typischen Misch­populationen können bei molekularer Testung aus Nativmaterial die entscheidende Zuordnung von Resis­tenzgenen zur entsprechenden Spezies verhindern.
Weitere Limitationen wären zu nennen – die fehlende Lebend-Tot-Unterscheidung, die geringe Empfindlichkeit von Multiplex-PCR-Assays für Bakterien und Pilze, die Gefahr der Fehlinterpretation isoliert erhobener Befunde – doch an dieser Stelle mag der Hinweis genügen, dass man bei aller Freude am technischen Fortschritt nicht nur Weihrauch im Köcher haben darf. Die konventionelle Mikrobiologie bleibt weiterhin unverzichtbar.

 

Prof. Dr. rer. nat. Udo Reischl
Universitätsklinikum Regensburg (UKR)