Onkologisches Symposium 2023

Präzisionsonkologie: Liquid Biopsy und Gewebebiopsie ergänzen sich

Für die Präzisionsonkologie braucht es laut Prof. Rainer Claus, Augsburg, prädiktive Biomarker, um bestmögliche Therapieentscheidungen treffen zu können. Um diese zu gewinnen, könnten sich seiner Meinung nach die Gewebebiopsie und die Liquid Biopsy ergänzen, wie er beim Onkologischen Symposium 2023 in München – ausgerichtet von Trillium GmbH Medizinischer Fachverlag – darstellte.

Die räumliche und zeitliche Heterogenität von Tumoren würde es erschweren, prädiktive Biomarker zu identifizieren, denn eine Gewebebiopsie repräsentiere nicht die Gesamtheit des Tumors; zudem verändere sich der Tumor mit der Zeit, erklärte Claus. „Genau dort hat die Liquid Biopsy eine ganz wichtige Rolle, da sie komplementäre Informationen zur Gewebebiopsie bietet: Sie ist minimalinvasiv, häufig auch schneller und man kann sich die Veränderungen des Tumors zu verschiedenen Zeitpunkten immer wieder anschauen“, sagte er. Mithilfe der Liquid Biopsy kann man aus Körperflüssigkeiten wie Blut, Urin oder Liquor Informationen über den Tumor gewinnen, zum Beispiel anhand von zirkulierender Tumor-DNA (ctDNA), zirkulierenden Tumorzellen, Vesikeln, Proteinbiomarkern oder auch RNA. „Zu ctDNA gibt es aber bisher die meisten Daten zu klinischer Nützlichkeit“, wusste Claus.

Blinde Flecke der Gewebebiopsie mit Liquid Biopsy ausfüllen

In den japanischen SCRUM-Japan GI-SCREEN and GOZILA-Studien bei gastrointestinalen Tumoren sei die Konkordanz zwischen der Gewebe- und der Flüssigkeitsbiopsie zur Detektion genomischer Biomarker in den meisten Fällen sehr hoch gewesen [1], stellte Claus fest. Hingegen war in einer Studie aus den USA und Italien die Liquid Biopsy der Gewebebiopsie in der Detektion von Resistenzmutationen überlegen: Resistenzalterationen, die mithilfe der Liquid Biopsy gefunden worden waren, wurden in 78 % der Fälle nicht mittels der Standardbiopsie erkannt [2]. „Die Liquid Biopsy bietet die Möglichkeit, breiter zu schauen und blinde Flecke, die wir durch die Gewebebiopsie haben, zu überkommen“, folgerte Claus. Allerdings gebe es beispielsweise beim nichtkleinzelligen Lungenkarzinom (NSCLC) auch genetische Varianten, die man entweder nur im Gewebe oder nur im Plasma finden könne [3]. Deshalb das Fazit von Claus: „Die Liquid Biopsy und die Gewebebiopsie sind keine exklusiven, sondern komplementäre Methoden, die sich durchaus ergänzen können.“ Ein großer Vorteil der Liquid Biopsy sei nämlich die Möglichkeit des Therapiemonitorings. Als Beispiel nannte Claus die CHRONOS-Studie beim Kolorektalkarzinom (CRC) [4]. Darin erhielten CRC-Patient:innen mit RAS-Wildtyp eine Anti-EGFR-Therapie bis zum Progress der Erkrankung, die mit der Entwicklung von RAS-positiven Klonen verbunden war, wie man mittels Liquid Biopsy herausgefunden hatte. Die Betroffenen wurden deshalb im weiteren Verlauf mit Chemotherapie ohne Anti-EGFR-Therapie weiterbehandelt. Beim nächsten Progress wurde anhand der Liquid Biopsy festgestellt, dass bei 69 % der Behandelten die resistenzvermittelnde RAS-Mutation aufgrund des fehlenden Selektionsdrucks wieder verloren gegangen war. „Daraufhin hat man die therapeutische Konsequenz gezogen, dass man die Patient:innen erneut einer EGFR-gerichteten Therapie zugeführt hat, was bei einem Viertel zu einem objektiven Ansprechen geführt hat. Longitudinales Profiling ist für die Therapieentscheidung durchaus relevant“, meinte Claus.

Ist die Liquid Biopsy schon auf dem Weg in die klinische Praxis?

Doch die Liquid Biopsy ist auch mit Limitationen behaftet (Tab. 1). So sei die ctDNA mit einer sehr kurzen Halbwertszeit im Bioorganismus von ungefähr 1,5–2 Stunden ein zeitlich sehr sensitiver Biomarker. Zudem sei die ctDNA nicht in jeder Tumorentität im gleichen Ausmaß zu finden, darüber hinaus korreliere die Größe des Tumors und das Tumorstadium mit der Menge an ctDNA im Blutplasma [5].

Tab. 1: Limitationen der ctDNA-Analyse [nach Vortrag von Rainer Claus]

Falsch-negative Ergebnisse

Falsch-positive Ergebnisse

Detektionsgrenze des Assays

Sequenzierungsfehler

geringe Tumorlast der Erkrankung

Heterogenität des Tumors

geringe oder keine ctDNA-Abgabe (aufgrund Tumorlokalisation, Vaskularisierung oder Histologie der Tumorläsion)

cfDNA-Abgabe nicht vom Tumor, sondern von einer anderen zellulären Quelle

zu niedrige Allelfrequenz

klonale Hämatopoese

Als problematisch sieht Claus außerdem, dass die Präanalytik noch inkonsistent sowie Assays extrem heterogen ohne Harmonisierung und Standardisierung seien. Zusätzlich fehle die Inkorporation in Leitlinien und vor allem sei die Kostenerstattung weitgehend ungelöst. „Derzeit ist noch unklar, in welchem Setting der klinische Stellenwert der Liquid Biopsy liegt“, erklärte er.

Claus und Kolleg:innen wollen deshalb den Stellenwert der Liquid Biopsy im klinischen Alltag noch besser definieren und haben aus diesem Grund die Augsburg Longitudinal Plasma(ALP)-Studie gestartet, in deren Rahmen Patient:innen über ihren klinischen Verlauf mit der Liquid Biopsy begleitet werden. Die Augsburger Forschenden erstellen dabei laut Claus anhand von Plasma, Keimbahnmaterial und Gewebebiopsien ein ALPS Liquid Banking kombiniert mit einem klinischen Register.

Sabrina Kempe

Quelle: Bericht vom Onkologischen Symposium „Vom Biomarker zur Therapie“ am 06.10.2023 in München.