European Cancer Congress 2015, Wien: Die Immunonkologie bleibt weiterhin im Fokus

Beim Europäischen Krebskongress (ECC), veranstaltet von mehr als einem halben Dutzend europäischer Fachgesellschaften unter Federführung der European CanCer Organisation (ECCO) und der European Society for Medical Oncology (ESMO), treffen sich einmal im Jahr tausende europäische Onkologen mit dem Ziel, Prävention, Diagnose und Therapie von Krebserkrankungen voranzubringen. Beim diesjährigen Kongress in Wien gab es wieder ein weitgespanntes Programm, aus dem wir nur einige wenige interessante Themen wiedergeben können.

Lungentumoren:

Immuncheckpoint-Inhibitoren bei NSCLC: wirksam und gut verträglich

Wie im vergangenen Jahr in Madrid beherrschte auch in Wien wieder die Immunonkologie einen nicht unerheblichen Teil des Programms. Bekanntlich sind die Immun-Checkpoint-Inhibitoren bei Tumoren aller möglichen Organsysteme wirksam, und das wurde bei dem Kongress sehr deutlich. Am weitesten fortgeschritten ist die Entwicklung dieser Substanzen bisher neben dem Melanom beim nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom (NSCLC), wo ein erster PD-1-Inhibitor (Nivolumab) auch bereits die Zulassung bekommen hat (für die Zweitlinientherapie des Plattenepithelkarzinoms nach vorangegangener Chemotherapie). Nivolumab wurde für die beiden hauptsächlichen Histologien des NSCLC – plattenepithelial und nicht-plattenepithelial – getrennt geprüft, bei dem anderen PD-1-Inhibitor Pembrolizumab wird die Entwicklung unabhängig von der Histologie vorangetrieben.
Die bisherige Zulassung für Nivolumab beruht auf der CheckMate-017-Studie, in der der Antikörper bei Patienten mit vorbehandeltem Platten­epithelkarzinom das Überleben gegenüber Docetaxel signifikant von median 6,0 auf 9,2 Monate verlängern konnte (Hazard Ratio 0,62; p = 0,0004) – bei gleichzeitig geringerer Toxizität. Die Auswertung der von den Patienten selbst erhobenen Lebensqualitäts-Daten, die die Dimensionen Mobilität, Selbstversorgung, normale Aktivitäten, Schmerzen und Angst/Depression umfassten, präsentierte in Wien Martin Reck, Großhansdorf [Abstract #3011]: Demnach ging der Überlebensvorteil mit einer signifikanten und klinisch relevanten Verbesserung des gesamten Gesundheitszustands während des ersten Jahres der Therapie einher; in der Docetaxel-Gruppe blieben die Werte über diesen Zeitraum bestenfalls konstant.
In der CheckMate-057-Studie wurde die gleiche Fragestellung (Nivolumab versus Docetaxel bei Progression nach vorangegangener Erstlinien-Chemotherapie) bei Patienten mit NSCLC und nicht-plattenepithelialer Histologie untersucht. Primärer Endpunkt war das Gesamtüberleben, so Leora Horn, Nash­ville [Abstract #3010], und auch hier schnitt der Nivolumab-Arm signifikant besser ab – mit einer Verlängerung von median 9,4 auf 12,2 Monate (HR 0,73; p = 0,0015), beim progressionsfreien Überleben von 2,3 auf 4,2 Monate (HR 0,92; p = 0,393). Nach einem Jahr lebten unter Nivolumab noch mehr als doppelt so viele Patienten progressionsfrei als unter Docetaxel (18,5% vs. 8,1%). Auch bei den Gesamtansprechraten war Nivolumab mit 19,2% vs. 12,4% signifikant überlegen (p = 0,0235).
Auch hier war der Checkpoint-Inhibitor viel besser verträglich als die Chemotherapie: Im Nivolumab-Arm wurden bei 10,5% der Patienten Nebenwirkungen vom Grad 3–5 registriert, im Docetaxel-Arm bei immerhin 53,7%. Wegen Nebenwirkungen musste die Therapie mit Nivolumab bei 4,9% der Patienten unterbrochen werden, die Chemotherapie bei 14,9%. Fazit: Nivolumab verbessert beim NSCLC gegenüber einer Docetaxel-Zweitlinientherapie das Überleben unabhängig von der Histologie signifikant.
Bei der klinischen Entwicklung des zweiten PD1-Antikörpers Pembrolizumab wird beim NSCLC nicht nach der Histologie differenziert: In der Studie KEYNOTE-001 erhielten 449 Patienten mit NSCLC drei verschiedene Dosierungen (2 mg/kg alle drei Wochen oder 10 mg/kg alle drei bzw. alle zwei Wochen). Außerdem wurde immunhistochemisch der Anteil der Tumorzellen bestimmt, die auf ihrer Oberfläche den PD1-Liganden PD-L1 exprimieren, wie Jean-Charles Soria, Villejuif, erläuterte [Abstract #33LBA].
Beim Ansprechen war ebenso wenig ein signifikanter Unterschied zwischen den einzelnen Dosisgruppen zu erkennen (für alle Patienten 18,7%) wie beim progressionsfreien (median 3,0 Monate) und beim Gesamtüberleben (median 10,7 Monate). Verbessert wurden die Ergebnisse aber durch eine hohe PD-L1-Expression: Wies mindestens die Hälfte der Tumorzellen PD-L1 auf, so sprachen 35,5% der Patienten an; die Dauer ihres Ansprechens lag bei median 23,3 Monaten, die progressionsfreie Überlebenszeit bei 5,8 und das Gesamtüberleben bei 14 Monaten.
In der randomisierten Phase-II/III-Studie KEYNOTE-010 werden nun zwei Dosierungen von Pembrolizumab (2 und 10 mg/kg alle drei Wochen) mit Docetaxel (75 mg/m2 alle drei Wochen) verglichen. Die Rekrutierung der über 900 Patienten ist abgeschlossen, erste Ergebnisse werden in Kürze erwartet [NCT01905657].

EGFR-Inhibitor wirksam auch gegen Hirnmetastasen?

Mehr als die Hälfte der Hirnmetastasen bei onkologischen Patienten stammt von Lungentumoren, und umgekehrt entwickeln bis zu 43% aller NSCLC solche Hirnfiliae. Diese Patienten haben eine mediane Überlebenszeit von kaum viel mehr als vier Monaten. Die Chirurgie kann nur einem kleinen Teil der Patienten helfen, die Ganzhirnbestrahlung wirkt relativ kurz bei starker v. a. kognitiver Toxizität. Überprüfte systemische Therapien gibt es nur wenige, vor allem weil Patienten mit Hirnmetastasen in den meisten klinischen Studien ausgeschlossen sind. Beim ECC gab es zwei interessante Studien zum Thema:
Bei der Chemotherapie ist die Auswahl nicht sehr groß, weil die meisten Zytostatika die Blut-Hirn-Schranke kaum passieren. Das Alkylans Temozolomid allerdings hat beim Glioblastom gezeigt, dass es, zusätzlich zu einer Strahlentherapie gegeben, das Überleben si­gnifikant verlängert. Mirjana Rajer, Ljubljana, und Kollegen testeten diesen Ansatz daher in einer randomisierten Phase-II-Studie bei 108 Patienten mit NSCLC und Hirnmetastasen [Abstract #3008]. Neben einer Ganzhirnbestrahlung mit 35 Gy erhielt die Hälfte von ihnen randomisiert für die Dauer der Strahlentherapie täglich 75 mg/m2 Temozolomid. Das Ergebnis war enttäuschend: Weder beim primären Endpunkt progressionsfreies Überleben noch beim Gesamtüberleben war ein signifikanter Unterschied zwischen beiden Armen zu sehen.
Anders bei Rociletinib, einem neuen, irreversiblen Drittgenerations-Inhibitor des Rezeptors für epidermalen Wachstumsfaktor (EGFR), der auch bei Vorliegen von EGFR-Mutationen wie L858R, Del19 und T790M wirksam ist. In der Phase-I/II-Studie TIGER-X waren 401 Patienten mit fortgeschrittenem NSCLC eingeschlossenen, die bereits EGFR-Inhibitoren erhalten hatten und die T790M-Mutation aufwiesen und von denen 170 (42%) asymptomatische Hirnmetastasen aufwiesen.
Rociletinib (in einer Dosierung von 500, 625 oder 750 mg zweimal täglich gegeben) hatte im Gesamtkollektiv eine Ansprechrate von 67% erreicht. In einer Interimsanalyse, die Andrea Varga, Ville­juif, vorstellte [Abstract #3009], wiesen die 170 Patienten mit Hirnmetastasen eine Gesamtansprechrate von 41% auf. Bei 42 von ihnen wurde die Behandlung auch nach einer Progression fortgesetzt; bei denjenigen, die mindestens zwei Wochen lang bei der Therapie blieben, lag die mediane Behandlungsdauer nach Progression bei 89 Tagen (bis zu maximal 336 Tage). 22 der Patienten aus dieser Subgruppe erhielten außerdem eine Ganzhirnbestrahlung (während der Rociletinib abgesetzt wurde) und konnten die Behandlung im Median 120 Tage nach Progression fortsetzen (bis zu 336 Tage). Für die Auswertung des progressionsfreien Überlebens ist es noch zu früh, so Varga. An Toxizitäten traten unter Rociletinib vor allem Hyperglykämie, Diarrhö und Nausea auf.
Patienten mit Hirnmetastasen sollten also künftig nicht mehr von vorneherein von einer Teilnahme an klinischen Studien ausgeschlossen werden: Zumindest mit den neuen, niedermolekularen, zielgerichteten Medikamenten stehen die Chancen gut, auch eine Wirkung auf zerebrale Filiae zu erzielen. Darüber hinaus könnten sich die neuen Drittgenerations-EGFR-Inhibitoren gut für kombinierte Ansätze mit anderen Therapien eignen.

Urologische Tumoren: Nierenzellkarzinom

Das fortgeschrittene Nierenzellkarzinom wird in der Erstlinie am häufigsten mit Tyrosinkinaseinhibitoren behandelt, die sich gegen den Rezeptor für vaskulären endothelialen Wachstumsfaktor (VEGFR) richten. Für die Zweitlinie ist unter anderem der mTOR-Inhibitor Everolimus zugelassen. Weil beim Nierenzellkarzinom auch der MET- und der AXL-Rezeptor verstärkt exprimiert werden und für die Entwicklung einer Resistenz gegen VEGFR-Inhibitoren verantwortlich gemacht werden, wurde der MET- und VEGFR-Inhibitor Cabozantinib in dieser Situation getestet, der bereits zur Therapie des fortgeschrittenen medullären Schilddrüsenkarzinoms zugelassen ist. Nach vielversprechenden frühen klinischen Studien erhielten 658 Patienten mit fortgeschrittenem Nierenzellkarzinom, die binnen höchstens sechs Monaten nach einer Behandlung mit einem VEGFR-Inhibitor progredient gewesen waren, in der METEOR-Studie randomisiert entweder Cabozantinib (60 mg/d) oder Everolimus 10 mg/d; [Choueiri T et al. ECC 2015, Abstract #LBA4, Choureiri T et al. N Engl J Med 2015; ]). 71% der Patienten hatten eine, die übrigen mindestens zwei Vortherapien bekommen, erläuterte
Toni Choueiri, Boston. Bei den ersten 375 Patienten wurde der primäre Endpunkt progressionsfreies Überleben, bei der Gesamtpopulation der sekundäre Endpunkt Gesamtüberleben analysiert.
Der primäre Endpunkt wurde durch Cabozantinib von 3,8 auf 7,4 Monate nahezu verdoppelt (HR 0,58; p < 0,001), d. h. das Risiko für Progression oder Tod um 42% reduziert. Die Ansprechraten in der Population für die Auswertung des progressionsfreien Überlebens lagen bei 21% für Cabozantinib und bei 5% für Everolimus (p < 0,001). Komplette Remissionen wurden nicht registriert. Nachdem erst 202 Patienten aus der Gesamtpopulation verstorben waren, konnten noch keine Medianwerte für das Gesamtüberleben errechnet werden, so Choueiri, aber das Mortalitätsrisiko wurde durch den Multikinaseinhibitor um 33% reduziert (HR 0,67; p = 0,005). Die endgültige Auswertung des sekundären Endpunkts ist nach 408 Todesfällen geplant.
Dass Cabozantinib wirksamer gewesen sein dürfte als Everolimus, lässt sich auch daran ablesen, dass die Patienten im ersten Arm 7,6, die im Everolimus-Arm hingegen nur 4,4 Monate lang behandelt wurden –und das, obwohl unter Cabozantinib mehr Nebenwirkungen (bei 68% versus 58% der Patienten) beobachtet und vor allem bei mehr als doppelt so vielen Patienten die Dosis reduziert werden musste (60% vs. 25%); Therapieabbrüche waren hingegen mit 9% (Cabozantinib) gegenüber 10% (Everolimus) etwa gleich oft erfolgt. Am häufigsten traten unter Cabozantinib Hypertonie, Diarrhö, Fatigue und Hyperglykämie, unter Everolimus Anämie, Fatigue und Hyperglykämie in schwerer Form auf.

Josef Gulden


18th ECCO – 40th ESMO European Cancer Congress, 25.–29.9.2015, Wien.