Direct to Consumer Testing (DTCT): Was spricht dagegen?

DOI: https://doi.org/10.47184/td.2023.01.05

Die digitale Revolution mit Selbstmessung und Selbstquantifizierung [1] führt auch zu einem größeren Einsatz von Direct to Consumer Testing (DTCT). Sowohl die Stärkung der Patient:innen („P4-Medizin“) [2] als auch die Geschäftsmöglichkeiten des DTCT stellen die traditionelle Laboratoriumsmedizin infrage. Dabei wird den Verbraucher:innen nahegelegt, dass die Erhebung von Gesundheitsdaten die Fähigkeit einer Person, ihren Gesundheitszustand zu verstehen und vorherzusagen, grundlegend verbessern kann und dass DTCT sogar medizinische, verwertbare Informationen generiert [3]. Durch die sehr hohe Zahl der weltweit durchgeführten Labortests und des etablierten medizinischen Nutzens von In-vitro-Tests [4] sind viele Laien bereit, DTCT zu verwenden.

Beim DTCT werden viele gesetzliche Vorgabe des Gesundheitswesens, die dem Schutz der Patient:innen dienen, infrage gestellt [5]. So ist beispielsweise die Werbung für Gesundheitsdienstleistungen stark reguliert [6]. Im Gegensatz zu anderen medizinischen Disziplinen mit direktem Patientenkontakt ist in der Laboratoriumsmedizin der Schutz von Patient:innen vor Quacksalberei oder Benutzerfehlern, die die Testergebnisse bei In-vitro-Tests beeinträchtigen, sehr kompliziert. Offensichtlich irreführende und betrügerische Produkte oder Dienstleistungen wie „Sinktests“ (d. h. das Ausdenken von Laborergebnissen) [7], die berüchtigte Theranos-Geschichte [8] oder kürzlich die Ausgaben in Deutschland in Höhe von mehr als einer Milliarde Euro für offensichtlich nicht durchgeführte SARS-CoV-2-Schnelltests [9] zeigen, wie einfach Betrug bei IVD-Tests ist und wie dramatisch die potenziellen Schäden für die Kund:innen bzw. Patient:innen sind.

 

Gesetzliche Regelungen

Eine Besonderheit des Gesundheitswesens im Vergleich zu den meisten anderen Dienstleistungen ist die Regelung auf nationaler Ebene (in Deutschland sogar auf Bundeslandebene). Daher unterscheiden sich die gesetzlichen Vorgaben zwischen Mitgliedstaaten der Europäischen Union [10]. Artikel 168 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union erlaubt es zwar der EU, die Reagenzien für die IVD-Tests als solche zu regeln (das ist die Zulassung durch die benannten Stellen mit der CE-Markierung im Rahmen der IVDR), nicht aber die Testdurchführung. Durch die Unterschiede der nationalen gesetzlichen Regelungen für die IVD-Testdurchführung ist es schwierig, Standards für eine universelle Strategie festzulegen, die zum Schutz der Patient:innen und der Verbraucher:innen erforderlich wären. Im Allgemeinen wird die Patientensicherheit bei der IVD durch eine komplexe Struktur gewährleistet, die z. B. die Qualifizierung der Person (u. a. Mindeststandards für die Aus- und Weiter­bildung von Labormediziner:innen), die Sicherstellung der Qualität eines Labors durch die Regierung und/oder Akkreditierungsagenturen (u. a. auch Arbeitnehmerschutz, Umweltschutz und Infektionskontrolle) sowie die laufende Überwachung der Untersuchungen durch die interne und externe Qualitätssicherung umfasst. Für Labortests, die außerhalb des Gesundheitswesens durchgeführt werden (z. B. für Lifestyletests und gewerbliche Tests), bestehen in den meisten Ländern keine spezifischen Qualifikationen oder formalen Genehmigungen, die für Testdienstleistungen oder auch für Anbieter von Testkits für Lifestyle- (d. h. für nicht-medizinische) Zwecke erfüllt werden müssen. Für Laien ist es nahezu unmöglich, irreführende Produkte wie gefälschte oder fehlende CE-Kennzeichnungen zu erkennen, insbesondere wenn Testkits oder Gutscheine für Testungen über das Internet bezogen werden. Darüber hinaus sind unwissenschaftliche Methoden (z. B. durch „Quantum Response Technique“ oder durch Pendeln), die beispielsweise als Mikronährstofftests aus Haaren angeboten werden [11], für Verbraucher zugänglich, die verbrämt als orthomolekulare Techniken, in Deutschland unter dem Schutz der Heilpraktikergesetzgebung, angeboten werden.

 

Das Kleingedruckte

Viele DTCT-Produkte enthalten Kleingedrucktes, das die Tests als „nur für Lifestyle“, „nicht für diagnostische Zwecke” oder „diese Tests dürfen nicht zur Diagnose von Krankheiten durchgeführt werden“ beschreibt. Es wird aber gleichzeitig auch erwähnt, dass die Testung durch diese DTCT den Verbraucher:innen einen Besuch in der Arztpraxis erspart oder dass dadurch wichtige Lebensentscheidungen ermög­licht werden. Wenn DTC-Testergebnisse, die denen echter medizinischer Testbefunde ähneln, zusammen mit Empfehlungen z. B. für die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln übermittelt werden, kann dies leicht mit einer individuellen medizinischen Beratung verwechselt werden. (Mittels DTCT können nur Testergebnisse ohne medizinische Interpretation erbracht werden, da Befunde zwingend nur von ärztlichem Personal ausgestellt werden können [12]).

Die Werbung für DTCT suggeriert oft, dass ein richtiger medizinischer Test angefordert und abgerechnet wird, während die Haftungsausschlüsse im Kleingedruckten widerspiegeln, dass die durchgeführte DTCT keineswegs für medizinische Zwecke geeignet ist. Die Nichteignung eines bestimmten Tests kann von der Verwendung eines ansonsten geeigneten Tests für einen über die Spezifikationen des Produkts hinausgehenden Verwendungszweck wie die Verwendung bestimmter Kapillarglukosestreifen für die Diabetesdiagnose [13] bis hin zur Verwendung von kompletter Quacksalberei für die angebliche Quantifizierung von Biomarkern reichen.

 

Die Nebenwirkungen

Da DTCT im Allgemeinen nicht für den Einsatz im klinischen Umfeld (Gesundheitswesen) vorgesehen ist, besteht die Zielgruppe oft aus gesunden Proband:innen, mit deren Hilfe neue Märkte erschlossen und Gewinne erzielt werden sollen. Die Nebenwirkung besteht darin, ansonsten gesunde Menschen zu medikalisieren (und zu pathologisieren) – beginnend mit der Idee der Optimierung der Gesundheit und fortgesetzt mit Prävention und Screening auf Krankheiten [14]. Die Nachfrage nach diesen Tests wird z. B. durch die Präsentation bestimmter Tests über Social Media und Influencer getrieben (z. B. werden Standardtests wie Ferritintests als sehr wertvolle Tests angepriesen und in einem „Apple-Shop-ähnlichen Setting“ angeboten [15]) und durch partizipatives Kommentieren der Testergebnisse durch „Peers“ (d. h. andere Kunden dieses Tests), die dann oft für diesen Kommentar einen Rabatt auf ihre eigenen Testergebnisse erhalten (ähnlich einem „Schneeballsystem“ [16]). Es besteht auch eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass Tests keinen Nutzen, sondern nur einen medizinischen, psychologischen und wirtschaftlichen Schaden für die Nutzer:innen haben und eine Schädigung für das Gesundheitssystem als Ganzes darstellen können, insbesondere durch Folgeuntersuchungen, die durch die zahlreichen falsch-positiven DTCTs ausgelöst werden[14, 17]. Im Konzept der „Medical Commons“ sind die Ressourcen der Gesundheitsversorgung endlich und es liegt in der Verantwortung der Angehörigen der Gesundheitsberufe, die Ressourcen des Gesundheitssystems optimal zu verwenden [18].

 

Fazit

Der Anteil der unsachgemäßen Verwendung von Tests ist in den letzten Monaten durch Selbsttests auf SARS-CoV-2-Anti­gen exponentiell gestiegen [19]. Es gibt offensichtliche Vorteile für Selbsttests von symptomatischen Personen, und in einigen Ländern konnten diese Testsysteme mit Selbsttests (viele davon als DTCT) nützlich eingesetzt werden. In anderen Ländern wurden diese Tests aber überwiegend zum Testen asymptomatischer Personen verwendet und die Testungen von Laien durchgeführt. Darüber hinaus wurde die Gültigkeit eines (negativen) Testergebnisses (24 Stunden) z. B. von der Bundesregierung auf 48 Stunden verlängert. Dies entspricht nicht dem Verwendungszweck dieser Tests und wird durch die Prüfleis­tungsmerkmale nicht unterstützt. Die Spezifikationen der meisten dieser Tests bei asymptomatischen Personen, selbst wenn sie von Fachleuten unter optimalen Bedingungen durchgeführt wurden, war weitaus schlechter als die erforderlichen Mindeststandards [10, 21]. Dies führte zu der paradoxen Situation, dass ein Testkit – offensichtlich ungeeignet für diesen Zweck – auf direkte Anordnung der Regierung hin verwendet werden darf, wenn die Testung von Laien durchgeführt wird, während – richtigerweise – das identische Testkit nicht von Fachärzt:innen für Laboratoriumsmedizin für den gleichen Zweck verwendet werden darf – denn Ärzt:innen dürfen nur geeignete Testkits verwenden [12]. 

Autor
Priv.-Doz. Dr. Matthias Orth
Mitglied des Fachbeirats
Aus der Rubrik