Etablierte und neue Marker

Risikoprädiktion bei stabiler koronarer Herzkrankheit

Bei ungefähr einem Fünftel der KHK-Patienten tritt innerhalb von fünf Jahren ein weiteres koronares Ereignis auf. Troponine und natriuretische Peptide, aber auch GDF-15 und hsCRP versprechen eine verbesserte Risikoprädiktion.

Schlüsselwörter: koronare Herzkrankheit, residuales kardiovaskuläres Risiko

Obwohl in den letzten Jahrzehnten in den USA und Europa intensivere Präventionsmaßnahmen, neue medikamentöse Konzepte sowie eine verbesserte Diagnostik und medizinische Versorgung des akuten Myokardinfarktes durch eine rasche mechanische Intervention zu einer wesentlichen Senkung der kardiovaskulären Mortalität führten, stellen Herz-Kreislauf-Erkrankungen in diesen Ländern immer noch die häufigste Todesursache dar. Daten des GRACE-Registers (Global Registry of Acute Coronary Events) zeigen, dass etwa 20% der Patienten mit einer koronaren Herzkrankheit (KHK) innerhalb von fünf Jahren nach einem primären Ereignis einen erneuten Herzinfarkt, Schlaganfall oder kardiovaskulären Tod erleiden. Diese Folgen des akuten Koronarsyndroms (ACS) treten häufiger nach der Initialphase auf, und sind bei Patienten ohne ST-Streckenhebung besonders ausgeprägt [1]. Laut Daten des schwedischen nationalen Registers liegt die Inzidenz für wiederholte kardiovaskuläre Endpunkte 12 oder 36 Monate nach einem koronaren Ereignis interessanterweise ebenfalls bei 20% [2]. Diese hohe Ereignisrate ist vor dem Hintergrund einer leitliniengerechten medikamentösen Therapie zur Sekundärprävention bei der Mehrzahl dieser Patienten besonders bemerkenswert [1, 2]. Auch die Daten der SMART-Studie (Second Manifestation of Arterial Disease) zeigen, dass bei Einhaltung aller durch die Leitlinien empfohlenen Vorgehensweisen (Nikotin­abstinenz, Erreichen des Zielwertes von < 70mg/dl für das LDL-Cholesterin, eine optimale Blutdruckeinstellung, Einnahme von Thrombozytenaggregationshemmern oder Antikoagulanzien, körperliche Aktivität und Normalisierung des Gewichts), doch bei jedem zehnten Patienten mit manifester kardiovaskulärer Erkrankung ein substanzielles Risiko für ein erneutes Ereignis besteht.
Bei diesen Patienten wurde zudem eine beträchtliche Variabilität bezüglich des 10-Jahres-Risikos für wiederholte Ereignisse festgestellt: Während dieses bei 18% aller Gefäßpatienten auf der Basis des SMART-Scores unter 10% lag, wiesen 22% der Studienteilnehmer ein 10-Jahres-Risiko über 30% auf [3]. Diese Ergebnisse zeigen eindrucksvoll, dass Patienten mit manifester kardiovaskulärer Erkrankung nicht als homogene Gruppe betrachtet werden können. Die Entwicklung neuer Modelle für eine personalisierte Medizin ist daher von essenzieller Bedeutung.
Nun stellt sich die Frage, welche Maßnahmen zu einer Verbesserung der Risikoprädiktion bei Patienten mit einer KHK führen und inwieweit im Blut zirkulierende Biomarker hierfür hilfreich sind.

hsTnT, hsTnI und (NT-pro)BNP

Im klinischen Alltag haben vor allem die hochsensitiven kardialen Troponine (­hsTnT und hsTnI) in der Diagnosestellung und im Management des ACS und die natri­uretischen Peptide (NT-proBNP, BNP) bei Verdacht auf Herzinsuffizienz, bei akuter kardialer Dekompensation bzw. eventuell zur Erfolgskontrolle der medikamentösen Therapie bei Hochrisikopatienten einen hohen Stellenwert. Auch in der Sekundärprävention ist ihre Rolle eindeutig belegt. Die prospektive STABILITY -Studie (The Stabilization of Atherosclerotic Plaque by Initiation of Darapladib Therapy) zeigt, dass NT-proBNP, gefolgt vom hsTnT, bei KHK-Patienten ein deutlich größeres Potenzial besitzt, einen künftigen kardiovaskulären Tod vorherzusagen, als traditionelle Risikofaktoren, bestehende oder frühere Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder andere humorale Biomarker wie z. B. hoch-sensitives C-reaktives Protein (hsCRP). In dieser Studie wurde zudem ein neues Modell zur Risikoabschätzung der kardiovaskulären Mortalität (das sogenannte „ABC-Coronary Heart Disease(CHD)“-Modell: A = Age, B = Bio­marker, C = Clinical History) entwickelt, welches neben Alter und den klinischen Charakteristika auch Troponin- und NT-proBNP-Werte berücksichtigt. Das Modell zeigt mit einem C-Index von 0,81 eine hohe Diskriminierung der kardialen Mortalität [4]. Auch in der PLATO-Studie (The Platelet Inhibition and Patient Outcomes) [5], welche die Wirksamkeit von Ticagrelor versus Clopidogrel nach perkutaner koronarer Intervention im ACS verglich, wurden insgesamt sechs Biomarker hinsichtlich ihrer prognostischen Bedeutung für verschiedene tödliche Endpunkte untersucht: Cystatin-C, Growth Differentiation Factor-15 (GDF-15), hsCRP, hsTnT und hsTnI sowie NT-proBNP. Letzteres zeigte sich wiederum als der stärkste Prädiktor; nicht nur für die Gesamtmortalität nach ACS, sondern auch für die Mortalität bez. der Herzinsuffizienz oder des plötzlichen rhythmogenen Herztodes (Hazard Ratios (HR) von 2,96; 8,20 ; bzw. 3,89 bei Vergleich der obersten mit der untersten Quartile (Q) nach multivariabler Adjustierung) [5]. Diese Studie legt nahe, dass NT-proBNP nicht nur als potenter Prädiktor der Mortalität, sondern möglicherweise auch als Entscheidungshilfe für die Therapieoptimierung dienen kann.

GDF-15

Überraschenderweise identifizierte die gleiche Studie GDF-15 als aussagekräftigen Prognosefaktor für einen tödlichen Herzinfarkt und andere vaskuläre und nicht-vaskuläre Todesursachen (HR 2,79; 3,86 bzw. 2,79 für Q4 versus Q1, voll-adjustiert) [5]. GDF-15 war als einziger Biomarker in der Lage, fatale Ereignisse aufgrund von Blutungskomplikationen vorherzusagen
(HR 4,91). Die zugrundeliegenden Mechanismen für diese Assoziation sind aber noch unklar.
GDF-15 ist ein Zytokin der TGF-β-Superfamilie und wird als Vorläuferprotein synthetisiert [6]. Unter physiologischen Bedingungen wird der Faktor kaum exprimiert; Hypoxie, oxidativer Stress, inflammatorische Prozesse oder Gewebeschädigungen können zu einem starken Anstieg der GDF-15-Expression führen [6]. Allerdings sind die genauen Signalwege noch nicht eindeutig identifiziert.
Auch bei Patienten mit stabiler KHK zeigte sich GDF-15 als unabhängiger Biomarker einer ungünstigen Prognose. In der oben bereits erwähnten STABILITY-Studie [7], war GDF-15 mit allen in der Studie erfassten harten Endpunkten assoziiert: Die HR für den kombinierten Endpunkt (eine Kombination aus Myokardinfarkt, Schlaganfall oder kardiovaskulärem Tod) lag bei 1,8 für Q4 versus Q1; für den kardio­vaskulären Tod bei 2,6; den plötzlichen Herztod bei 3,1; und den Herzinsuffi­zienz-bedingten Tod bei 4,3; sowie für eine Hospitalisierung aufgrund von Herzinsuffizienz bei 5,8. Zudem war eine erhöhte GDF-15-Konzentration bei der Basisuntersuchung mit nicht-kardiovaskulärer Mortalität sowie  Tod aufgrund einer Krebserkrankung vergesellschaftet [7]. Diese Effekte waren unabhängig von anderen Störgrößen wie wichtigen klinischen Variablen und anderen prognostischen Biomarkern (z. B. NT-proBNP, hsCRP, Cystatin C oder TnT). Obwohl GDF-15 schwerwiegende unerwünschte kardiale Ereignisse zuverlässig voraussagen kann, besitzt es auch eine starke prognostische Aussagekraft für nicht-kardiale Todesursachen, insbesondere tödliche Neoplasien. GDF-15 ist also möglicherweise nur ein Indikator für eine zugrundeliegende zelluläre Schädigung, und nicht kausal in den Atherogeneseprozess involviert.

hsCRP

Auch hsCRP kann die Risikostratifizierung bei KHK-Patienten verbessern. Obwohl für hsCRP als prognostischem Marker in der Primär- und Sekundärprävention kardiovaskulärer Erkrankungen bereits seit Langem eine solide Datenbasis existiert [8], rückte dieses Protein durch die Veröffentlichung der CANTOS-Studie (Canakinumab Antiinflammatory Thrombosis Outcome Study) im Jahr 2017, welche die Inflammationshypothese der Atherothrombose eindeutig belegte, erneut in den Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses. Bei Herzinfarktpatienten mit einer persistierenden inflammatorischen Antwort, definiert anhand einer hsCRP-Konzentration ≥ 2 mg/l trotz optimierter Statintherapie, führte eine selektive Hemmung des IL-1β mit 150 mg Canakinumab nicht nur zu einer ca. 40 bis 60%igen Senkung der hsCRP- und der ­IL-6­-­Konzentration, sondern auch zu einer 15%igen Reduktion des primären MACE (major adverse cardiovascular event)-Endpunktes (kardiovaskulärer Tod, Infarkt, Schlaganfall) [9].
In einer Subgruppen-Analyse aus ­FOURIER [10] und SPIRE [11] wurde kürzlich gezeigt, dass eine chronische, geringgradige Entzündung auch bei den Patienten mit LDL-Cholesterinkonzentrationen von 20 bis 30 mg/dl das zukünftige kardiovaskuläre Risiko modulieren kann. So wiesen Patienten mit einer hsCRP-Konzentration über 3 mg/l eine höhere Inzidenz für den primären MACE-Endpunkt auf, als diejenigen, deren hsCRP unter 1 mg/l lag. Diese Daten weisen klar darauf hin, dass trotz sehr niedriger LDL-Cholesterin-Konzentrationen unter einer bestehenden Therapie mit Statinen und PCSK9-Inhibitoren, weiterhin ein residuales inflammatorisches Risiko (RIR) besteht. Auch bei Patienten, die sich einer perkutanen koronaren Intervention unterzogen und bei denen wiederholt hsCRP bestimmt wurde, wiesen 38% ein erhöhtes RIR bei dauerhaft erhöhtem hsCRP auf (d. h. hsCRP-Konzentration ≥ 2 mg/l bei Baseline und Follow-up nach vier Wochen) [12]. Diese persistierende inflammatorische Antwort war mit einem 2- bis 3-fach erhöhten Risiko für die Gesamtmortalität assoziiert (adjustiertes HR von 3,22 oder MACE von 1,72), verglichen mit denjenigen, die ein niedriges RIR (hsCRP unter 2 mg/l bei beiden Zeitpunkten) zeigten. Interessanterweise erlitten Patienten mit einer Senkung des hsCRP-Plasmaspiegels nach 4 Wochen weniger kardiovaskuläre Ereignisse [12].

Ausblick

Personalisierte Medizin hat zum Ziel,  für den einzelnen Patienten möglichst die Therapie mit dem größten Nutzen bei nur geringen Nebenwirkungen zu identifizieren. Die Bestimmung verschiedener zirkulierender Biomarker führt nicht nur zu einer verbesserten Risikostratifikation bei KHK-Patienten, sondern beeinflusst möglicherweise auch die Therapieentscheidungen in der Sekundärprävention (Abb. 1).
Obwohl hsTnT und hsTnI zusammen mit BNP und NT-proBNP bereits in der Risikobewertung eingesetzt werden, empfehlen die aktuellen Leitlinien für das Management der stabilen KHK wiederholte Messungen nur zum Ausschluss myokardialer Nekrosen (IA Empfehlung für Tn) oder bei Patienten mit Verdacht auf Herzinsuffizienz (IC Empfehlung für natriuretische Peptide). Nach der derzeitigen Studienlage können diese und andere Biomarker, wie hsCRP und GDF-15, aber auch künftige kardiovaskuläre Ereignisse bei KHK-Patienten zuverlässig vorhersagen. Auch die Identifizierung neuer Biomarker mithilfe der Analysen des Proteoms und Metaboloms stellt einen vielversprechenden Ansatz dar, um die Risikostratifikation von Patienten mit stabiler KHK zu verbessern.    

Autoren
Dr. med. Natalie Arnold
Zentrum für Kardiologie
JGU Universitätsmedizin Mainz
Prof. Dr. med. Wolfgang Koenig
Deutsches Herzzentrum München
Deutsches Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung
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