Genetische Multiplex-Tests

Neue Wege der Blutgruppenbestimmung

 

Molekularbiologische Verfahren halten zunehmend Einzug in die Transfusionsmedizin – nicht nur zur Bestimmung von Pathogenen, sondern auch als Ergänzung zur Hämagglutination bei der Blutgruppenbestimmung.

In Blutspendediensten spielt heute die genombasierte Charakterisierung von Blutgruppensystemen mittels PCR in Ergänzung zur serologischen Bestimmung eine wichtige Rolle und wird oft durch Sequenzierung der entsprechenden Gene ergänzt. PCR-Methoden sind indiziert in Fällen, die serologisch allein nicht befriedigend zu lösen sind, insbesondere bei der Charakterisierung von Polymorphismen und/oder abgeschwächten Reaktionen, zum Beispiel im Bereich des Rh-Blutgruppensystems. Die genaue Identifizierung hat klinische Bedeutung für Spender, die später selbst einmal Blutprodukte erhalten.

Partial und weak Rh-D
Die Rh-Proteine werden durch zwei Gene reguliert, dem RHD-Gen und dem RHCE-Gen. Beide sind entgegengesetzt orientiert, bestehen aus ca. 60 Kilobasen (kb) und sind durch ein Intron von 30 kb voneinander getrennt. Die jeweils 417 Aminosäuren umfassenden Proteine RhD und RhCcEe haben sechs extrazelluläre Schleifen, die für die Bildung von Rhesus­antikörpern bei der Immunisierung eine große Rolle spielen.
Bei den verschiedenen Partial-D-Phänotypen liegen Veränderungen an den extrazellulären Proteinsegmenten vor, sodass eine Bildung von Allo-Anti-D möglich wird. Daher sind Menschen mit diesem Phänotyp im Spenderausweis besonders zu kennzeichnen, damit im Falle einer Transfusion nur Rh-negative Erythrozyten- bzw. Thrombozytenkonzentrate verabreicht werden: Als Empfänger von Blutprodukten erhalten sie das Merkmal Rh-negativ, als Spender dagegen Rh-positiv.
Bei schwacher Ausprägung des RhD-Merkmals spricht man von weak-D. Diese Menschen haben in der Regel Mutationen im RHD-Gen, die zu  einem Aminosäureaustausch in transmembranären oder intrazelluären Proteinsegmenten führen und somit keine Allo-Anti-D Bildung auslösen. Das gilt nach dem gegenwärtigen Stand des Wissens zumindest für die weak-D-Subtypen 1-3. Für diese Personen vergibt man als Spender wie auch als Empfänger das Merkmal Rh-positiv. Bei anderen weak-D-Subtypen (ab 4) wurden in Einzelfällen Allo-Immunisierungen beobachtet oder es liegen zu wenige Erfahrungswerte vor, sodass diese Spender als Empfänger von Blutprodukten vorsorglich Rh-negative Blutprodukte erhalten sollten. Die Klärung dieser komplexen Zusammenhänge bei der Rh-Charakterisierung unterstreicht somit auf besonders schöne Weise die Bedeutung genetischer Tests als Ergänzung der serologischen Blutgruppenbestimmung.

Inhouse-Tests und Kits
Weitere Indikationen zur molekularen Testung ergeben sich bei vortransfundierten Patienten sowie zur Identifikation möglichst optimaler (Antigen-passender) Spender bei chronisch transfusionsbedürftigen Patienten. Neben Erythrozyten­antigenen spielen thrombozytäre, granulozytäre und neutrophile Antigene eine wichtige Rolle.
Auch wenn hierfür inzwischen kommerzielle Kits verfügbar sind, wird in diesem Bereich häufig noch mit „inhouse“-Reagenzien gearbeitet. Ein Sonderfall ist die Bestimmung fetaler RHD-DNA im mütterlichen Blut von Rh-negativen Frauen (dd), für die es IVD-Kits auf Basis der Realtime-PCR und Sequenzierung gibt.
Standardisierte Multiplex-Techniken eröffnen der Automation beim Blutgruppen-Genotyping neue Horizonte. So wurden DNA-Arrays (sogenannte „Biochips“) für die parallele Analyse mehrerer Merkmale von Erythrozyten und anderen Blutzellen entwickelt. Sie erlauben es zum Beispiel, ein Kontingent an Spendern zu erfassen, bei denen die Zusammensetzung einer Vielzahl von Blutgruppenantigenen genau bekannt ist. Dank solcher Datenbanken mit erweiterter Antigencharakterisierung kann man Patienten mit positivem Antikörpernachweis maßgeschneiderte („gematchte“) Blutprodukte verabreichen und so einer weiteren Alloimmunisierung vorbeugen.

Ein echter Vollautomat

Das Fernziel wäre ein „Biochip-Automat“ für die gleichzeitige Erfassung aller relevanten Blutgruppenmerkmale und infektiö­sen Pathogene aus einer einzigen Vollblutprobe (siehe Kasten). Bis dahin ist allerdings wegen unterschiedlicher internationaler transfusionsmedizinischer Gesetze und Verordnungen noch ein weiter Weg.
Da die genetische Information für Blutgruppenmerkmale in den kernhaltigen Leukozyten enthalten ist, läge für die molekulare Analyse immerhin genügend Material vor, sodass die analytische Sensitivität bei hoher DNA-Konzentration keine Herausforderung darstellen würde. Die Systeme müssten jedoch eine klare Differenzierung zwischen Genotyp und Phänotyp ermöglichen. Zumindest bei der Erstbestimmung wäre daher in der Regel eine serologische Ergänzung unverzichtbar.
Beim Screening auf transfusionsmedizinische Pathogene (zum Beispiel HBV, HCV, HIV-1 oder Bakterien) müssen die Nachweissysteme in Bezug auf die analytische Sensitivität optimiert werden, um möglichst jedes Pathogen detektieren und damit das diagnostische Fenster minimieren zu können. Daher ist eine simultane Bestimmung gegenwärtig zwar dem Grundsatz nach möglich, von der praktischen Routineanwendung jedoch noch einige Jahre entfernt.

Was ist schon heute machbar?
Während die Blutgruppenbestimmung bei Erst- und Zweitspendern einschließlich der Serumgegenprobe mit der Bestimmung der Isoagglutinine in den Richtlinien und Leitlinien der Bundesärzteammer vorgeschrieben ist, dient sie bei Mehrfachspendern einer sicheren Identitätskontrolle. Bei diesen Spendern, die in Deutschland über 90  Prozent ausmachen, kann man sich auch schon heute ein kostengünstiges automatisiertes PCR-Screening vorstellen.
Gegenwärtig befindet sich die IVD-Direktive in der Bearbeitung durch die europäische Kommission. Geplant ist eine Überführung in eine IVD-Regulation, die somit unmittelbar gesetzlich bindenden Charakter für alle EU-Mitgliedsstaaten hätte. Es ist vorgesehen, eine neue Risikogruppierung einzuführen und das Thema „inhouse“-Testung dahingehend neu zu definieren, dass bei einer CE-Zertifizierung Untersuchungs­geräte, Testreagenzien und Testassays gemeinsam zu betrachten sind. Dies würde dazu führen, dass es den Herstellern künftig nicht mehr erlaubt wäre, einen Screeningroboter zur Verfügung zu stellen, mit dem der Anwender Antiköper und Blutzellen unterschiedlicher Dritt­anbieter verarbeitet. Stattdessen kämen bereits bei Erst- und Zweitspendern Komplettlösungen für die serologische Blutgruppenbestimmung zum Einsatz, und die große Anzahl von Mehrfachspendern würde dann mit vollautomatisierten, CE-zertifizierten PCR-Systemen analysiert.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass das Genotyping die Transfusionsmedizin erheblich bereichert hat – auch wenn es vorläufig noch eher um die Beantwortung von Spezialfragen geht. Auf die mit Sicherheit rasante Weiterentwicklung darf man sehr gespannt sein.

Produktübersicht


Gastkommentar

„Elektronische“ Kreuzprobe?

Der SHOT-Report 2013 (Serious Hazards of Transfusion) des britischen Blutspendedienstes hat es wieder klar gezeigt: Schwere hämolytische Reaktionen durch erworbene Antikörper des Empfängers gegen Spenderantigene stellen immer noch eine bedeutende Ursache für Transfusionszwischenfälle dar. Die Häufigkeit dieser Allo-Antikörper liegt bei 1 bis 3 Prozent und kann bei Patienten mit langfristigem, wiederholtem Transfusionsbedarf auf 70 Prozent ansteigen.
Vor diesem Hintergrund erscheint die molekularbiologische Blutgruppenbestimmung von Patient und Spender durchaus indiziert, um eine personalisierte Auswahl kompatibler Blutkonserven in weiterführenden Blutgruppensys­temen – also jenseits der standardmäßig geprüften AB0- und Rh D-Kompatibilität – treffen zu können. Noch verhindern hohe Kosten und (für Routinezwecke) unzureichende Automation ein flächendeckendes Screening, doch die technische Entwicklung schreitet rasch voran.
Könnte man eines Tages alle relevanten Blutgruppen auf Spender- und Patientenseite mit „Biochips“ (DNA-Microarrays) einfach und kostengünstig erfassen, so wäre es denkbar, die Blutgruppengenotypen vorab im Computer abzugleichen – gewissermaßen eine „elektronische“ Kreuzprobe als Ergänzung zur Serologie, um der Allo-Immunisierung gezielter entgegenzuwirken.

 

Prof. Dr. med. Torsten Tonn
Lehrstuhl für Transfusionsmedizin
Med. Fakultät Carl Gustav Carus, TU Dresden
DRK-Blutspendedienst Nord-Ost gGmbH


Autoren:

Prof. Dr. med. Michael Schmidt


Dr. med. Christof Geisen